schmetterling

(Martin Jones) #1

»Ich kenn dich ja kaum anders.«
Unvermittelt steht ihr am Rand einer tristen Ebene. Ein aufgegebenes
Land, übersät von abgestorbenen Gefühlen. Das Terrain eures Scheiterns. Ein
Ort, den man nicht betritt, bestenfalls anschaut im Wissen, dass die Welt
größer ist als die Erinnerung. Ihre Augen, honigfarben wie ihr Haar. Nicht
der mindeste Vorwurf. Auf ihren Wimpern sammelt sich das warme, gelbe
Küchenlicht.
»Glaub mir«, sagst du, »ich bin so müde, das Scheißding zu tragen«, aber
bist du das wirklich? Du liebst deinen Job. Nein, du bist müde, einen Panzer
zu tragen.
»Es schützt dich, Luther.«
»Ich hatte wenigstens immer was, das mich schützt. Du hattest nichts.«
»Hab meine Weste innen getragen.«
»Ziemlich overdressed, wir beide.«
Lachfältchen knittern in ihren Augenwinkeln. Sie berührt deine Hand.
»Nachtisch?«
»Und die Staatsanwaltschaft?«, fragst du beim Schokoladeneis, dein
karges Wissen zur Schau stellend. »Haben die endlich was für dich?«
»Oh, ich hatte ein ganz gutes Gespräch, während du weg warst!«
»Toll.«
»Vielleicht schon nächsten Herbst.«
»Das wär doch super.«
»Wie war überhaupt dein Urlaub?«
Diesmal bist du vorbereitet. Dank Ruth weißt du, wohin du wolltest, dank
der Quittungen und Prospekte in deinem Rucksack, wo du warst. Jodie
lauscht mit sichtlicher Faszination: verkrustete Rücken, die sich wie Inseln
aus dem Meer erheben. Vogelschwärme in der Dämmerung, deren Schnattern
und Kreischen mit den Fischen zieht, Sturzflugmanöver nach Insekten. Der
Himmel am Abend, von Wolken marmoriert, die eine hochofenrote Sonne
tiefer reichen. Pazifischer Nebel, der lautlos heranfließt und die Uferwälder

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