schmetterling

(Martin Jones) #1

Also der jetzige –
Ein Uhu nivelliert ihre Gedanken. Nicht weit im Geäst, ein lakonischer
Beobachter, der sie natürlich sieht, so wie alles sie sieht, und sie sieht
niemanden. Kein für Menschen wahrnehmbares Licht fällt aus der Infrarot-
Leuchte. In der sich vertiefenden Dunkelheit symbolisiert das Ding nur die
Sinnlosigkeit ihrer Suche. Dornbüsche verstellen ihr den Weg, in den
Wipfeln rauscht es aufgebracht, als äußere der Wald seinen Unmut über ihr
Hiersein. Verschwinde, sagt er. In meinem Grund sind Dinge, die nicht für
deine Augen bestimmt sind.
Komm morgen wieder.
Einen Scheiß werde ich!
Die leuchtenden Blutrückstände führen um die Buschbarriere herum und
finden sich unversehens in dichterer Ansammlung. Etwas hat hier gelegen.
Oder wurde abgelegt. Ruth zieht die kleine Halogenlampe aus ihrer Koppel,
knipst sie an, und aufgeweichter, zerwühlter Boden wird sichtbar. Jemand hat
eine beträchtliche Fläche Erdreich umgegraben, Humus, Zweige und Geröll
wurden übereinandergehäuft und festgetreten. Obwohl die Stelle nicht mal
hundert Meter vom Haus entfernt ist, eignet sie sich in idealer Weise, um
etwas zu verstecken und vor fremdem Zugriff zu bewahren. Niemand käme
ohne Grund hier herauf. Kleine, tiefbraune Käfer krabbeln durch schwarze
Rinnsale, aufgeschreckt vom Schein der Lampe. Ameisen huschen hektisch
umher, ein Tausendfüßler windet sich aus der lockeren Erde wie aus einem
Grab und flieht vor dem grellen Licht. Alles macht sich davon, wie bei
verbotenem Tun erwischt. Ruth geht in die Hocke, saugt den Geruch nach
Pilzen und Beeren ein, nach modernden Kiefernnadeln und Harz, das den
frischen Bruchstellen der Äste entsteigt.
Sie klemmt die Lampe in einen Busch und beginnt zu graben.

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