schmetterling

(Martin Jones) #1

wahrscheinlich der Fuchsschwanz-Kiefer, in die sie gestürzt ist. Deren Äste
haben klaffende Wunden gerissen, in denen Fliegen und winzige Maden
häuslich geworden sind und emsig fortführen, was Bakterien schon vor
Stunden in Angriff genommen haben. Grüne Stilette spicken ihr Fleisch, über
Stirn und Wangen verlaufen haarfeine Schnitte, die heftig geblutet haben,
sodass sie eine rostige Maske zu tragen scheint, aus der die Augen
unnatürlich herausleuchten. Totenflecken und aufprallbedingte Blutergüsse
gehen ineinander über, das linke Bein – vielleicht gebrochen –
Nein, ganz sicher gebrochen.
Aber woran ist sie gestorben?
Luther fährt in die Taschen ihrer Jeans, hebt ihre Hüfte an und untersucht
auch die Gesäßtaschen. Noch ist die Leichenstarre auf Augenlider und
Gesichtsmuskeln beschränkt, sodass ihr Körper nachgiebig reagiert. Nichts
als ein paar Dollar in Scheinen. Ihr rechter Fuß ist nackt, der linke steckt in
einem schlammverschmierten Turnschuh – das Pendant dürfte am Grund der
Schlucht liegen. Er wendet den Kopf und erblickt ein Paar stockartige Beine,
gehüllt in Strumpfhosen von lebensnegierendem Graubraun, wie Marianne
Hatherley sie zu tragen pflegt. Der Sanitäter platziert ihren Arztkoffer im
Gras und hebt zwei Finger zum Gruß.
»Hi, Luther.«
»Hi, Ted.« Luther richtet sich auf, womit er gewaltig über die maushaarige
Frau hinauswächst. »Guten Morgen, Marianne.«
»Wüsste nicht, was an dem Morgen gut ist.«
»Freut mich auch, dich zu sehen.«
»Ja, ja.« Sie schnaubt. »Hast du nichts Besseres zu tun, als meine Arbeit zu
machen?«
Luther verordnet sich ein Lächeln. Die Gerichtsmedizinerin ist gar nicht so
alt, wie sie scheint – noch unter siebzig, glaubt er sich zu erinnern –, sieht
aber aus, als sei sie selbst ein Fall für den Forensiker. Sie hat einen käsigen
Teint und riecht nach lange nicht gewechselter Kleidung. Zwischen ihren

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