schmetterling

(Martin Jones) #1

Der Rest ist Ermessenssache.
Hundertfünfundsechzig Meilen östlich, in der Hochebene des Sierra
Valleys, ruht das Quantenhirn, mit dem er gerade herumplänkelt. Was er
wohl nicht mehr könnte, wäre A.R.E.S. nicht den zellulären Algorithmen auf
die Spur gekommen, die den Tod seit dem Hadaikum zur gottgewollten
Sache erhoben haben. Gewollt von einer bloßen Idee. Die Außerkraftsetzung
der Altersgrenze ist der größte kommerzielle Erfolg von EditNature, der
Anbruch eines neuen mythologischen Zeitalters. Ob die unsäglich teuren und
nur für Superreiche erschwinglichen Therapien wirklich Unsterblichkeit
bringen, vermag noch niemand zu sagen – dafür bedürfte es eines
Unsterblichen –, doch die vorläufigen Ergebnisse, drei Jahrzehnte praktischer
Anwendung immerhin, lassen ein bis ins Unendliche verlängertes Leben
erwarten.
Wir haben die Sterblichkeit besiegt.
Nicht aber das Sterben.
Wir haben den Tod entmachtet, aber nur, solange wir uns nicht töten oder
getötet werden.
Er schaut hinaus auf die Bucht, auf die im Hang kriechenden Nebel und
das erwachende Leben in Sausalito. Plötzlich drängt es ihn, dorthin zu gehen
und sich unter die Menschen zu mischen. Vor den Piers zu surfen, in einem
der zahlreichen Cafés zu frühstücken, seinen ersten Cappuccino zu trinken.
Man kann so viele schöne und gefahrvolle Dinge tun, wenn man weiß, dass
das Leben endlich ist, dass es sowieso endet, heute, morgen oder in Erfüllung
des statistischen Mittelwerts. Doch die Unsterblichkeit einem Unfall, einer
Fehlfunktion, einem vermeidbaren Zufall zu opfern – so wie eine defekte
Druckluftflasche im Great Barrier Reef Elli tötete –, wäre zu entsetzlich.
Unsterblichkeit lässt einen vorsichtig werden. Man beginnt auf Zehenspitzen
durchs Leben zu gehen, bis man nicht mehr den Boden berührt.
Eine Weile schaut er noch hinaus auf das wirbelnde, prosperierende Leben
des Jahres 2050.

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