schmetterling

Marianne bleibt mit Zoe und Jayden im Salon zurück, wo unerfreuliche
Gedanken in ihr brüten.
Rechnet man die Jahre zusammen, die sie in der Sterilität gekachelter
Obduktionsräume verbracht hat, kommt man auf ein halbes Menschenalter.
Vielleicht auch mehr. Statistik ist voller Gründe, freiwillig aus dem Dasein zu
scheiden. Dem Vergnügen gelegentlicher Kino- und Restaurantbesuche steht
die niederschmetternde Gewissheit entgegen, als durchschnittlicher
Autofahrer sechs Monate vor roten Ampeln zu veröden und achtzig Tage auf
der Klobrille zu hocken. Öfter als jeder andere Mensch, den sie kennt, hat
Marianne sich die Hände desinfiziert, allein dieses Ritual sollte sich zu drei
Monaten in den Arsch gerittener Lebenszeit aufsummieren lassen. Mit Kafka
hätte man sich ganz vorzüglich über diese Existenz in Wartzimmern
unterhalten können, die den winzigen goldenen Kern des Lebens einfassen,
zu dem man aber irgendwie nie vorstößt. Im Verzicht ist sie selber so
bedürfnislos und steril geworden, dass ihr jeder Krankenhausflur inzwischen
ornamentbelastet wie der Trump Tower erscheint. Das macht ihr die
blitzweiße, glasummantelte Leere des Salons auf fast angenehme Art
vertraut – die organischen Sitzinseln und schwebenden Tischlein, die lange,
geschwungene Bar, die ihr Angebot hinter Milchglas verbirgt, sodass sie
ebenso gut der Medikamentenausgabe dienen könnte.
»Da hocken wir nun, was?«, sagt sie zu Zoe.
Durch die großen, unregelmäßig geschnittenen Glasflächen sieht sie den
Dunst von den Hängen zurückweichen und Sausalito vor Geschäftigkeit und
Leben bersten. Wie nah und illusionär. Hätte nicht wenigstens dieses
fabulöse Scheißtor sie auf ihre alten Tage in den goldenen Kern bringen
können? Jetzt steht sie wieder im Wartezimmer. Auf der falschen Seite der
Golden Gate Bridge, die sich gerade aus den Nebeln neu erschafft. Hier die
kultivierte Bucht, dort der rohe, feindselige Ozean. Jeder, der hinausfährt,
wird zum Odysseus, die Heimkehr ungewiss der Wunder wegen, die sie erst
ungewiss machen.