schmetterling

(Martin Jones) #1

»Spinne ich, oder sah das eben noch völlig anders aus?«, hallt ihre Stimme
durch den Treppenschacht.
Nur dass da keine Treppe mehr ist.
Eine gewundene Rampe führt nach oben und verliert sich in rätselhaften
Schatten, die Höhlungen sein könnten. Auch Phibbs äugt misstrauisch hoch
ins Dunkel.
»Das erinnert mich an was«, sagt er in einem Ton, der wenig dazu
ermuntert, dieser Erinnerung nachzuspüren. Luther geht ein Stück die Rampe
hinauf, seine vor Übermüdung fiebrigen Sinne derart geschärft, dass er die
porige Struktur der Wände wie unter einem Mikroskop wahrnimmt. Nach
oben hin verbreitert sich der Schacht zu einem linksseitig verzogenen,
dämmrigen Trichter, den die Rampe in einer Aufwärtsspirale umläuft. Alle
paar Meter zweigen höhlenartige Gänge ab, pechfinster, sodass sich ihre
Verläufe den Blicken entziehen. Die anderen kommen zögerlich nach, jeder
will die Rampe mit eigenen Augen sehen, deren bloße Existenz befürchten
lässt, was niemand laut auszusprechen wagt.
»Schätze, wir nehmen besser den Lift«, schlägt Grace vor. »Oder?«
Ausnahmsweise erntet sie kollektive Zustimmung.
Der Käfig des Lastenaufzugs trägt sie unter Absonderung vertrauter
Geräusche nach oben. Phosphoreszierende Lichter huschen über die offen
daliegenden Schachtwände – Luther kommt es vor, als entstünden und
vergingen sie während der Fahrt wie rudimentäre Augen im Mauerwerk,
sodass er sich angestarrt und studiert fühlt. Verschwunden die starken LED-
Röhren der Kabine, die sie auf Pilars Video hell aus dem Untergrund hatten
aufsteigen lassen. Sonor dröhnt der Bass des elektrischen Antriebs, bei
genauerem Hinhören nicht wirklich vertraut – weicher, samtig einlullend und
ohne das typische Rumpeln derartiger Transportmittel. Als er den Kopf hebt,
sieht er die Schachtwände über sich aufragen wie einen psychedelischen
Sternenhimmel, übersät mit grüngelben, pulsierenden Vesikeln, die ihm noch
stärker als zuvor suggerieren, etwas Fremdartiges nehme ihn tausendfach in

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