schmetterling

(Martin Jones) #1

Geburt an fehlte ihr die katalytische Kraft zur Umwandlung äußerer Einflüsse
in Lust, Rührung und Mitleid, als lebe sie in einer Röhre. Anderen stand ein
nie versiegendes Reservoir großer Emotionen zur Verfügung; sie nahm die
damit verbundenen Entäußerungen wahr wie eine variantenreiche Form von
Geisteskrankheit. In den Jahren ihrer Kindheit und Teenagerzeit allerdings
hätte sie einiges dafür gegeben, ähnlich blödsinnig grinsend durch die
Gegend zu hüpfen. So ziemlich alles unternahm sie, um verrückt zu werden.
Doch die Geisteskranken betonten ihr angestammtes Recht auf Normalität,
und Grace war der Freak. Niemand erhob Anspruch auf ihre Gesellschaft.
Mit sechzehn immerhin verwandelte sich ihr unansehnlich magerer,
storchenbeiniger Körper über Nacht in etwas, das den männlichen Teil ihrer
Umgebung sehr für sich einzunehmen begann, also probierte sie auf diesem
Weg, verrückt zu werden.
Meist entfachte es nur ihre Wut.
Doch diese Wut rettete sie. Wut war etwas Neues. Intensiv und groß. Wut
hielt sie davon ab, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Wut gab ihr
Kraft, unbändige Kraft. Und der Wut dann Taten folgen zu lassen, war noch
tausendmal besser. Grace pflegte keine abnormen Phantasien, doch die
Geisteskranken auf die Knie zu zwingen, ihnen ihren kümmerlich
eindeutigen Frohsinn aus dem Leib zu prügeln und sie leiden zu sehen,
entfachte das lang entbehrte Feuer. So war sie also? Gut, dann war sie eben
so. Intelligent, stark, ausgestattet mit einem kruden Talent, andere zu
vernichten oder zu schützen, indem sie deren Gegner vernichtete. Ihre
Referenzen als Schutzengel waren bald so glanzvoll wie die als Killerin, das
Hochgefühl von Macht und Unterwerfung reichte ihr zur Entlohnung. Das
Letzte, was sich über Grace Hendryx sagen lässt, ist also, dass sie eine
mitleidvolle, moralisch empfindende Person wäre, sie verrät alle und jeden –
bis auf die wenigen Menschen, denen gegenüber sie Loyalität verspürt.
Jaron ist so ein Mensch.

Free download pdf