schmetterling

(Martin Jones) #1

durch die Augen anderer zu betrachten. Nicht mal im aus der Zeit gefallenen
County Sierra hätte jemand ernsthaft ein Problem mit Megs nachehelichem
Verlangen. Nur Meg selbst hat es. Während Ruth sich aus der bigotten Enge
des Bible Belt herausgekämpft hat, glaubt Meg Danes anscheinend, es habe
sie dorthin verschlagen.
Und wie willst du sie vom Gegenteil überzeugen?
Du hast doch nur Angst vor einer Abfuhr!
Das sitzt, und es ist vermutlich schon die ganze Wahrheit. Ebenso, dass
Ruth wahrscheinlich immer noch auf der Sheriffwache von Madisonville,
County Monroe, Tennessee, Dienst tun würde, bereit zum Verzicht bis an ihr
Lebensende, wäre nicht eines Mittags, als alle Deputys außer ihr im Bezirk
unterwegs waren, Willard Bendieker aufgekreuzt, ein Bild des Jammers und
der Selbsterniedrigung –
Sie schiebt die Erinnerung beiseite.
Plötzlich flutet es sie mit Scham, sich an diesem hochglanzpolierten,
frühherbstlich duftenden Tag bei der Beschwörung von Geistern zu ertappen.
Geister, die Luther mit Kusshand gegen seine Dämonen eintauschen würde.
Als er sich über die tote Frau beugte, konnte Ruth förmlich spüren, wie die
Luft um sie herum abkühlte. Wie bei einer teilweisen Sonnenfinsternis sah
sie die Farben an Intensität verlieren, während theaterhaftes Licht in eine
vergangene Zeit schien. Nichts vergeht, denkt sie. Die Gegenwart ist nur ein
anderer Blickwinkel. Sie schaut zur Werkstatt, doch ihr Gedankenfluss hat
bereits begonnen, sie fortzutreiben von den Grübeleien über sich und Meg.
Luther ist ihr vertraut geworden über die Jahre. Fast noch vertrauter ist sie
mit seiner Familie. Sie weiß, wen sie jetzt anrufen muss. Ihr Daumen gleitet
über den Touchscreen ihres Handys.
»Hi Ruth!«, sagt Tamy.
»Hi Schatz. Wo erwisch ich dich?«
»In der Rekonvaleszenz.«
»Bei Darlene?«

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