schmetterling

(Martin Jones) #1

und weicher geworden. Auf verwitterten Felsbrocken leuchten orangegelbe
Flechten. Wildblumen drängen aus Granitspalten, die Hügel erstrahlen in der
verschlissenen Pracht felsdurchbrochener Grasteppiche, Zwergsträucher,
Brombeeren und Heidekraut suchen Halt im Stein – eine verwobene
Gemeinschaft von Überlebenskünstlern.
Jeder krallt sich an das, was er findet.
Er sollte Ruth fragen, ob sie nach Dienstschluss mit ihm im St. Charles
Place zu Abend isst. Sieht man davon ab, dass ihm Ruths Wohlergehen am
Herzen liegt, könnten ihre Probleme den Vorzug haben, den Blick auf seine
zu verstellen. Er geht zurück zur Aussichtsplattform, bleibt auf halber Strecke
stehen und schaut den geröllübersäten Pfad hinab, der sich zwischen letzten
Schneefeldern talwärts windet und auf der gegenüberliegenden Hügelflanke
als leuchtende Linie fortsetzt, bis die Tannen ihn jäh verschlucken. Zwischen
den Höhenrücken fällt der Blick ab, streift Goodyears Bar, um sich wieder
aufzuschwingen in die entlegenen Gebirge südlich des North Yuba River. Mit
zunehmender Entfernung erscheint Luther der allgegenwärtige Wald wie das
narbige Fell eines über die Grenzen des Erfassbaren reichenden Organismus,
eines Riesentiers, dessen Atem geradewegs aus dem Erdinnern kommt und
das außerhalb jeden menschlichen Zeitempfindens dahindämmert. Er kann
nicht sagen, ob das Bild komplett seiner Phantasie entspringt, da Ruth ihm
neulich anvertraut hat, in den Aufschichtungen der Sierra Buttes komatöse
Dinosaurier zu erblicken, aber was spielt das für eine Rolle, da es so schön
passt. Als er zurückfährt, wählt er die Nummer der Nordvisk
Fahrbereitschaft. Eine Sachbearbeiterin überprüft das Kennzeichen und
bestätigt, dass es sich um ein Firmenfahrzeug handelt.
»Wie viele dieser aufgemotzten Mercedes G-Klasse haben Sie da oben im
Sierra Valley?«, will Luther wissen.
Sie antwortet mit Verzögerung. »Sechs.«
»Und wird jede Fahrt dokumentiert?«
»Natürlich. Wenn Sie mir schildern, was genau passiert ist, kann ich –«

Free download pdf