schmetterling

(Martin Jones) #1

»Nachdem du ihr gesagt hast, ich sei der stärkste Mensch des Planeten.
Was so viel heißt wie: Daddy hat ein Problem.«
»Hast du denn eins?«
»Und du?«
Der Baumbestand lichtet sich. Gut zwanzig Minuten hat sie der Highway
ostwärts geführt, in weiten Schwüngen und auf lang ansteigenden Geraden,
gesäumt von Kiefern und Tannen, zwischen denen Pagodendächer
kalifornischen Lorbeers wuchern, Quercus und zerzauste Schwarzeichen. In
der Gegend um Bassetts, wo der Lauf des North Yuba River jäh nach Norden
abknickt, sind sie dem enger werdenden Zickzack der Straße Richtung
Passhöhe gefolgt, die zerklüfteten, von lila Schatten durchwirkten Massive
der Buttes im Rücken. Jetzt öffnet sich der Blick auf das Sierra Valley, das
einst ein riesiger See war, bevor Sediment das Becken auffüllte und eine
blühende Fluss- und Auenlandschaft schuf. Im Osten schließen sich Hügel
an, zerfurcht von Sumpfland. Dort, letzter Außenposten vor der Grenze zu
Nevada, liegt Loyalton.
Luther steuert den Wagen in eine Einbuchtung und stoppt, ohne den Motor
auszumachen.
»Was ist los, Ruth?«
»Was soll los sein?« Ihr Ton hat an Schärfe verloren, sie klingt müde und
auf unbestimmbare Art ratlos. »Ich hab dich da heute Morgen gesehen,
Luther. Es hat dir wehgetan. Die tote Frau. Ich weiß, das alles liegt Jahre
zurück, und es ist ganz allein deine Sache, aber meiner Erfahrung nach ist die
Vergangenheit wie ein Seebeben, das in großen Abständen Wellen aussendet.
Sie werden zwar flacher mit der Zeit, aber sie kommen. Sie kommen immer
wieder. Ich hab es Wort für Wort so gemeint, als ich zu Tamy sagte, du wärst
der stärkste Mensch, den ich kenne, aber du bist verdammt noch mal auch der
einsamste.«
Luther brütet über ihren Worten. Dann stellt er den Motor ab.

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