schmetterling

(Martin Jones) #1

»Fest«, echot sie mit gewölbten Brauen.
»Na ja, also – einigermaßen fest.«
Ins Meer ihrer Sommersprossen gerät Bewegung. Ihre Augenwinkel
durchziehen sich mit Lachfältchen.
»Aber ich würde mich freuen, wenn wir heute Abend im St. Charles Place
zusammen essen gehen«, sagt er. »Was meinst du?«
»Ich sterbe vor Hunger!«
»Gut! Ich lade dich ein. Dich und Jim Beam.«
Ruth schaut ihn an, und für den Bruchteil einer Sekunde kann Luther in
ihrem Blick etwas aufflackern sehen, das ihm nicht gefällt.
Einen Reflex.
Sonne.


Das zornige Auge am Himmel, weiß und milchig hinter Schlieren.
Schwere, feuchte Hitze.
Im August 2010 liegt eine wabernde Glocke über Monroe, Tennessee, ein
prähistorisch anmutendes Klima, in dem Sauriereier ausgebrütet werden
könnten und das jegliches Denken und Handeln verlangsamt bis zur völligen
Stagnation, während einzig alles Rückständige keimt und seine Ausdünstung
in die Luft trägt, den Gestank nach Verderbtheit, Obszönität und roher
Gewalt.
Und Begierden brüten in der Glut.
Begierden, die wie Schweiß ans Licht drängen.
An manchen dieser Tage hat Ruth schon beim ersten morgendlichen
Schritt aus der Tür das Gefühl, in eine stehende Front warmen Wassers zu
laufen, in dem sich aus unerfindlichen Gründen zwar atmen, aber nichts sonst
tun lässt. Praktisch jeder kämpft mit einem wachsenden Druck auf der Brust,
der von Zurückgehaltenem rührt, von gärendem Verlangen und
uneingestandenen Sehnsüchten. Wie als Gegenmittel treiben Gesänge aus den
Kirchen heran und verdampfen in der Schwüle, die selbst während der

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