S_252_ddeutsche_Zeitung_-_11_09_2019

(vip2019) #1
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München – Mit der Übernahme von Mon-
santo hat sich der Dax-Konzern Bayer auf
einen Schlag deutlich vergrößert. Die Las-
ten werden vom kommenden Jahr an aber
weniger Vorstände tragen. Bayer verklei-
nert das Gremium um zwei auf fünf Mit-
glieder. Hartmut Klusik, 63, und Kemal
Malik, 56, werden das Unternehmen Ende
des Jahres verlassen, teilte der Konzern am
Dienstag nach einer Aufsichtsratssitzung
mit. Die Maßnahme sei Teil des im Herbst
verkündeten Effizienzprogramms. Noch
mehr Aufgaben und mehr Macht be-
kommt Vorstandschef Werner Baumann,


  1. Er übernimmt von Klusik die Aufgaben
    Nachhaltigkeit und Personal, dazu auch
    den Posten des Arbeitsdirektors der Bayer
    AG. Damit mach Baumann auch den ge-
    planten Stellenabbau zur Chefsache.
    Im November hatte er angekündigt, bis
    2021 etwa jede zehnte Stelle im Konzern
    streichen zu wollen, insgesamt 12 000 Ar-
    beitsplätze, davon ein signifikanter Anteil
    in Deutschland. Baumann wird sich künf-
    tig auch um die noch von Malik verantwor-
    tete Einheit „Leaps by Bayer“ kümmern,
    die, wie es in der Mitteilung heißt, früh in
    bahnbrechende Technologien investiert.
    Finanzvorstand Wolfang Nickl bekommt
    zusätzlich den Bereich „Engineering and
    Technology“. Klusiks Vertrag endete ohne-
    hin zum Jahresende, Malik geht zwei Jahre
    früher als geplant. Bayer spart zumindest
    viel Geld. Laut Geschäftsbericht beliefen
    sich die Gesamtbezüge von Klusik im ver-
    gangenen Jahr auf fast 2,5 Millionen Euro,
    die von Malik auf knapp 2,6 Millionen Eu-
    ro. Durch die Übernahme von Monsanto
    für 63 Milliarden Dollar hat sich Bayer
    enorme Schulden aufgehalst und muss
    sparen. Am 14. September 2016 hatten Bau-
    mann und der damalige Monsanto-Chef
    Hugh Grant die Übernahme offziell verkün-
    det. Der Vollzug zog sich dann bis zum Som-
    mer 2018 hin. elisabeth dostert


Kapstadt/Peking – An der Börse von Ams-
terdam wird an diesem Mittwoch ein Kon-
zern gelistet, den in Europa kaum einer
kennt, der aber wohl bereits am Abend ei-
ner der wertvollsten Konzerne des Konti-
nents sein wird, mit einem Aktienwert von
mehr als 100 Milliarden Euro. Wobei man
sich darüber streiten kann, ob es wirklich
ein europäischer Konzern ist oder eher ei-
ne Beteiligungsplattform, die in 130 Län-
dern aktiv ist, von Südafrika aus geleitet
wird – und aufgrund ihres spektakulären
Erfolges zu groß geworden ist für die Börse
in Johannesburg.
Dort waren die internationalen Beteili-
gungen des südafrikanischen Naspers-
Konzerns bisher gelistet. Naspers, das
klingt irgendwie auch nach Internet, letzt-
lich ist die Firma aber bereits 104 Jahre alt
und wurde gegründet, um Hass und das
Konzept der Rassentrennung auf Papier zu
verkaufen. Naspers ist die Abkürzung für
Nationale Pers, das Afrikaans-Wort für Na-
tionale Presse – die in den folgenden acht
Jahrzehnten eine enge Symbiose einging
mit der National Party und ihrer Ideologie

der Apartheid: Leitende Redakteure wech-
selten in die Regierung und umgekehrt. Na-
spers spendete großzügig, die National Par-
ty besaß umgekehrt mehrere Tausend Ak-
tien.
Als sich Mitte der Achtzigerjahre ab-
zeichnete, dass sich mit dem Hass und der
Apartheid nicht mehr auf ewig Geld verdie-
nen ließ, kam ein Fax aus New York, in dem
ein junger Südafrikaner, der gerade seinen
Wirtschaftsabschluss gemacht hatte, vor-
schlug, einen Pay-TV-Sender zu gründen,
einen der ersten außerhalb der USA: Koos
Bekker bekam die Genehmigung der Regie-
rung und wurde in den nächsten Jahrzehn-
ten die prägende Figur von Naspers: die
Pay-TV-Sparte Multichoice expandierte in
49 afrikanische Länder, mit den Gewinnen
begann er, in aufstrebende Internet-Unter-
nehmen zu investieren. Vieles ging schief,
aber im Jahr 2001 machte Bekker wohl ei-
ne der lukrativsten Investitionen der Wirt-
schaftsgeschichte, er investierte 30 Millio-
nen Euro in den chinesische Internet-Kon-
zern Tencent, der Anteil ist heute etwa
130Milliarden Euro wert.

Tencent wurde 1998 von Ma Huateng
und einem Freund gegründet, den er vom
Informatikstudium kannte. Mittlerweile
ist Tencent eines der größten Internet-Un-
ternehmen der Welt, vor allem wegen der
App Wechat, die etwa eine Milliarde Nut-
zer installiert haben, und die gleichzeitig
ein Bezahlsystem ist.
Früher wurden an der Börse von Johan-
nesburg die Aktien der großen Goldkonzer-
ne gehandelt, nun war Naspers mit seinem
33 Prozent Anteil an Tencent die neue Gold-
mine, der die ganze Börse dominierte und
mit nach oben zog. Der Erfolg schaffte aber
auch Probleme: Nimmt man den Börsen-
wert der Tencent-Aktien in Hong-Kong,
dann ist alleine die Beteiligung mit 130 Mil-
liarden Euro mehr wert als die derzeitige
gesamte Marktkapitalisierung von Na-
spers in Johannesburg, die nur auf 100 Mil-
liarden Euro kommt – obwohl der Konzern
auch noch andere wertvolle Internetdiens-
te umfasst und auch die Zeitungen.
Anleger drängen daher schon länger auf
eine Abspaltung des Tencent-Anteils, der
nun zusammen mit Dutzenden anderen Be-
teiligungen wie am russischen Internetrie-
sen und dem deutschen Zustelldienst Deli-
very Hero unter dem Namen Prosus in Ams-
terdam gelistet wird – etwas mehr als zwei
Drittel der Anteile will Naspers aber selbst
behalten. Was auch der chinesischen Regie-
rung ganz recht ist, die einen ihrer sensi-
belsten Konzerne gerne in zuverlässigen
Händen sieht.
Der 66-jährige Koos Bekker hat sich
mittlerweile aus dem operativen Geschäft
zurück gezogen, als Vorstandschef hatte
er sich lange kein Gehalt zahlen lassen,
sondern Aktienoptionen, die ihn zum
mehrfachen Milliardär machten. Mit sei-
ner Frau hat er in der Nähe von Kapstadt
eine alte Farm zu einer edlen Touristen-
attraktion gemacht, mit Weingut und
einem riesigen botanischen Garten, des-
sen Beschilderungen auch auf chinesisch
zu lesen sind. Ein Gruß an das Land, das
ihm so großen Erfolg bescherte.
bernd dörries, christoph giesen

Tokio/Paris – Am Dienstag meldete sich
der japanische Wirtschaftsminister Hiros-
hige Seko zum Rücktritt des Nissan-Chefs
Hiroto Saikawa, und zwar in einem Ton hel-
ler Freude. Die Unternehmenskontrolle
funktioniere, Reformen würden greifen
nach den heftigen Untreue-Enthüllungen
gegen Saikawa-Vorgänger Carlos Ghosn,
durch die auch eine Überbezahlung Saika-
was ans Licht kam. Sekos Einwurf klang
ein bisschen wie Selbstlob, denn zuvor hat-
te der Minister erklärt, die Regierung be-
gleite die Krisenbewältigung beim Auto-
bauer sehr aufmerksam. Oder ging es doch
nur um Zuspruch in schwierigen Zeiten?
Für die Suche nach Saikawas Nachfolge
wünschte Seko jedenfalls alles Gute: „Ich
hoffe, dass der Nachfolger nach den funkti-
onierenden Regeln der Corporate Gover-
nance gewählt wird, hauptsächlich durch
das Nominierungskomitee, und nicht
durch interne Machtkämpfe wie früher.“
Bis Oktober soll die Nissan-Spitze neu
besetzt sein, vorerst führt Betriebsleiter Ya-
suhiro Yamauchi die Geschäfte. Der Plan
wirkt sportlich, wenn man die Job-Aus-
schreibung bedenkt. Der neue Mensch an
der Spitze muss eine Säule der japanischen
Autoindustrie aus der Krise holen. Die
schwachen Verkaufszahlen sind dabei
nicht das einzige Problem, daran hat die
Saikawa-Sache wieder erinnert. Denn dass
Saikawa einräumte, 2013 eine unberechtig-
te Aktienausschüttung in Höhe von
438000 Dollar bekommen zu haben, hat ja
auch mit dem Sturz von Ghosn zu tun, der
wohl im März in einem Untreue-Prozess in
Tokio münden wird.
Der Untersuchungsbericht, der Saikawa
und andere Nissan-Manager schlecht aus-
sehen lässt, befasst sich in erster Linie mit
dem Finanzgebahren von Ghosn, dem lang-
jährigen Spitzenmanager in der strategi-
schen Partnerschaft Nissan/Renault. Im
November 2018 nahm die japanische Poli-
zei ihn fest, seither liegt die Ära Ghosn wie
ein Schatten über der Firma. Im veröffentli-
chen Teil des Untersuchungsberichts heißt
es: „Von 2009 bis 2017 haben Ghosn und

der frühere Vizedirektor Greg Kelly insge-
samt 9,078 Milliarden Yen an Vergütungen
für Ghosn verschleiert.“ Ghosn bestreitet
die Vorwürfe, Nissan kämpft um Geld und
Glaubwürdigkeit. Die neue Führungskraft
übernimmt also im Grunde den Schau-
platz eines Wirtschaftskrimis.
Und sie muss das Verhältnis mit Renault
neu ordnen: Nach dem Sturz von Ghosn,
der beide Hersteller in Personalunion führ-
te, deutet sich erst mit dem Rückzug Saika-
was eine Neuordnung der Kapitalverflech-
tung beider Unternehmen an. Die Japaner
fordern das seit Jahren. Seit Gründung der
Allianz vor 20 Jahren halten die Franzosen
43 Prozent an Nissan, während Nissan nur
15 Prozent der Renault-Anteile besitzt.
Bisher hatte die Renault-Führung eine
Neugewichtung kategorisch ausgeschlos-
sen, obwohl Nissan heute der größere Her-
steller ist. Jetzt aber sind Verhandlungen
über eine neue Anteils-Balance in Gang ge-
kommen, berichtet die Pariser Wirtschafts-
zeitungLes Echos. Die Franzosen sollen be-
reit sein, ihren Anteil an Nissan deutlich zu
senken – ohne allerdings die entscheiden-
de Sperrminorität aufzugeben. Auch ein
Sondervertrag, der die Beziehungen der
Konzerne bisher am Börsenrecht vorbei re-
gelt, soll zur Disposition stehen.
Die Geschäfte von Nissan mögen
schlecht laufen. Trotzdem haben die Japa-
ner gegenüber Renault ein starkes Druck-
mittel: Die neue Konzernführung in Paris
will Renault mit dem Rivalen Fiat-Chrysler
fusionieren. Ein erster Versuch war im
Frühjahr gescheitert – unter anderem,
weil die Franzosen Nissan nicht in diesen
Plan eingebunden hatten. Erst wenn das
Verhältnis zwischen Nissan und Renault
besser und neu geregelt ist, wird auch die
Fusion möglich. Alle drei Hersteller haben
Interesse an einer raschen Lösung: Ihre
Zusammenarbeit, etwa in der Produktion
oder im Einkauf, kann viele Milliarden
Euro sparen. Wer auch immer Hiroto Sai-
kawa folgt: Er oder sie wird nicht nur an
Nissans Zukunft arbeiten.
thomas hahn, leo klimm

München – Deutschlands Stromversorger
verlangen eine neue Aufbruchstimmung
für die Energiewende. „Wir müssen bei
den Bürgern wieder den Ton heben für das
Projekt“, sagt Marie-Luise Wolff, Präsiden-
tin des Branchenverbands BDEW. „Das ist
nicht Stuttgart 21, was wir da bauen.“ Der
Umbau der Energieversorgung ist das do-
minierende Thema beim 14. Deutschen
Energiekongress derSüddeutschen Zei-
tung– und die Sorge, dass er ins Hintertref-
fen geraten könnte. „Der Netzausbau
stockt, der Windkraftausbau ist 2019 zu-
sammengebrochen“, sagt Wolff. Neue Flä-
chen seien nicht verfügbar, die Deutsche
Flugsicherung blockiere aus Sicherheitser-
wägungen unnötig Windräder.
Auch Wirtschaftsstaatssekretär Tho-
mas Bareiß (CDU) räumte Schwierigkeiten
ein. Vielerorts sträubten sich Bürger gegen
neue Windparks. „Wir müssen die Men-
schen aber mitnehmen bei Entscheidun-
gen.“ In den vergangenen Jahren sei viel er-
reicht worden für die Energiewende. „Ich
spüre aber, dass die Stimmung kippt.“ Erst
vorige Woche hatte Bundeswirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier (CDU) zum „Windgip-
fel“ eingeladen, um das Problem zu eruie-
ren – allerdings ohne konkrete Ergebnisse.
Die Flaute beim Ökostrom dürfte auch ei-
ne Rolle spielen bei der entscheidenden Sit-
zung des Klimakabinetts. Kommende Wo-
che Freitag sollen die zuständigen Minis-
ter über ein Paket beraten, mit dem sich
das deutsche Klimaziel für 2030 erreichen
lassen soll.
Aber es gibt Fortschritte, etwa beim Aus-
bau der Stromnetze. „Wir sind raus aus der
Phase, wo wir nur diskutiert haben“, sagt
etwa Jochen Homann, Präsident der Bun-
desnetzagentur. „Da ist eine gewisse Zuver-
sicht angebracht.“ Doch auch er kritisiert
die zähen Genehmigungsprozesse rund
um neue Windräder. Erst am Dienstag hat-
te die Netzagentur die Ergebnisse der
jüngsten Ausschreibung für neue Wind-
parks an Land vorgelegt: Wieder gab es
weit weniger Angebote, als geförderte
Windkapazität ausgeschrieben war. Daher
fordert auch Markus Krebber, Finanzvor-
stand des Energiekonzerns RWE, einen
neuen Konsens zwischen Politik, Wirt-
schaft und Zivilgesellschaft. „Sonst reden
wir in Deutschland am Ende nur noch über
das Abschalten.“ Sein Konzern will die Öko-
stromsparte des Konkurrenten Eon über-
nehmen und stiege so – wenn die EU-Kom-
mission das Tauschgeschäft rund um die
RWE-Tochter Innogy erlaubt – zu einem
der größten Grünstromerzeuger in Europa
auf. „Wir als RWE freuen uns auf die Zu-
kunft“, sagt Krebber. Allerdings entschie-
den die Rahmenbedingungen darüber, wo
Konzerne neue Ökostromanlagen errich-
ten. „Das ist am Ende ein globaler Wettbe-
werb“, so Krebber.
Europa will in diesem Wettlauf das Tem-
po noch anziehen. Schließlich hat die desi-
gnierte Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen einen „Green Deal“ für Euro-
pa ausgerufen, samt höheren Klimazielen.
Allerdings sei es nicht damit getan, wenn
sich nur die Energiewirtschaft umstelle,
sagt Klaus-Dieter Borchardt, einer der füh-
renden EU-Beamten rund um das Thema
Energie. Betroffen seien auch Haushalte,
Landwirtschaft, die Industrie. Gelingen
werde das nur mit einem Preis auf Kohlen-
dioxid. „Das Umdenken beginnt“, sagt Bor-
chardt. m. bauchmüller, b. müller

von maximilian helmes

München – Von Außen betrachtet wirkt
das Gebäude in der Münchener Innenstadt
nicht gerade hipp, geschweige denn visio-
när. Unten ein paar Geschäfte, oben graue
Fassade mit viel Glas. Ein Büro-Komplex
in einer deutschen Innenstadt eben. Was
im Innern steckt, soll allerdings nicht weni-
ger sein als die Zukunft des Arbeitens. Sagt
der Betreiber.
Was sich hier verbirgt, ist einer der soge-
nannten Workspaces der Firma We Work,
einem weltweit operierenden Start-up,
das an die Börse strebt und dessen Wert
auf Dutzende Milliarden Dollar taxiert
wird. Auch in fünf deutschen Städten gibt
es bereits Workspaces des US-Unterneh-
mens, aktuell sind es 17 Stück: acht in Ber-
lin, vier in Hamburg, jeweils zwei in Mün-
chen und Frankfurt sowie einer in Köln.
Weltweit stehen 833 Spaces in 125 Städten

zur Verfügung, die meisten davon in den
USA.
Im Prinzip ist das Konzept von We Work
so etwas wie die natürliche Antwort auf die
Platznot in vielen Großstädten. Nicht nur
private Mieterinnen und Mietern konkur-
rieren dort um zu wenige bezahlbare Woh-
nungen. Auch Selbstständige und kleinere

Firmen suchen vielerorts händeringend
nach bezahlbaren Büros. We Work vermie-
tet ihnen einen Platz zum Arbeiten. Es gilt
die alte Marktweisheit: Wo eine Nachfrage,
dort ein Angebot. Und die Ware heißt:
Workspace!
Allerdings scheint die anfängliche Eu-
phorie um das junge Unternehmen gerade

ziemlich abzuflauen, die Begeisterung der
Finanzmärkte rapide abzunehmen. Einer
der Großinvestoren von We Work, der japa-
nische Tech-Konzern Softbank, soll nun so-
gar darauf drängen, den geplanten Börsen-
gang zu verschieben – aus Sorge vor einer
zu niedrigen Bewertung. Das berichten Me-
dien wie dieFinancial TimesundBloom-
bergund berufen sich auf Insider. We Work
wollte die Berichte nicht kommentieren.
Noch vor einem Jahr war die Stimmung
bei We Work deutlich euphorischer. Die Fir-
ma wollte sich damals in We Company um-
benennen und strebte mit vollem Tempo
an die Börse, um dort drei bis vier Milliar-
den Dollar Kapital einzusammeln. Die
Marktbewertung erreichte zeitweise
47 Milliarden Dollar, als Großinvestor Soft-
bank mit zwei Milliarden Dollar bei dem
Start-up einstieg. Zum Vergleich: We Work
war damit in etwa so wertvoll wie derzeit
der deutsche Autohersteller BMW. Inzwi-

schen, so berichten angelsächsische Medi-
en, soll We Work nur noch eine Bewertung
zwischen 15 bis 20 Milliarden Dollar anstre-
ben. Grund dürfte hauptsächlich die nach-
lassende Begeisterung bei potenziellen In-
vestoren sein.
An den Finanzmärkten scheint man äu-
ßerst skeptisch, ob eine solche Bewertung
überhaupt realistisch ist. We Work steht
dort nicht nur wegen einer vermeintlich
schlechten Unternehmensführung, seiner
komplexen Firmenstruktur und fragwürdi-
ger Zahlungen an Mitgründer und Firmen-
chef Adam Neumann in der Kritik. Auch
ein Blick in das herausgegebene Börsenpro-
spekt von We Work, mit dem das Unterneh-
men potenzielle Investoren von seiner Idee
überzeugen will, lässt die Märkte offenbar
zweifeln.
Marketingformulierungen sind in sol-
chen Dokumenten üblich, im Falle von
We Work sind sie allerdings besonders in-
flationär gebraucht worden: Allein das
Wort „Technologie“ kommt 114 Mal vor.
Und das, obwohl das Unternehmen ja vor
allem Büros vermietet. Und auch die hand-
festen Zahlen von überzeugen bislang
nicht: Für jeden Dollar, den We Work ein-
nimmt, gibt es rund zwei Dollar aus. Im ver-
gangenen Jahr meldete das Unternehmen

einen Verlust von 1,9 Milliarden Dollar – ei-
ne gewaltige Summe für ein vergleichswei-
se junges Start-up. Auch die Signale, die
Firmenchef Adam Neumann sendet, er-
scheinen nicht wie ein Vertrauensbeweis.
Der 40-Jährige hat Anteile an We Work im
Wert von 700 Millionen Dollar verkauft.
Häufig warten Gründer den Börsengang
ab, um so finanziell noch stärker zu profi-
tieren – und um Vertrauen in das eigene
Unternehmen zu signalisieren.
Sein Geld verdient We Work mit einer
Art Abomodell für Arbeitsplätze. Das
grundlegende Konzept kommt dabei aus
der IT und wird bei Servern und Compu-
tern schon seit etlichen Jahren angewandt:
Ein Unternehmen mietet genau die Re-
chenleistung, die es braucht und spart sich
so die hohen Fixkosten für Bereitstellung
und Unterhalt. So etwas Ähnliches macht
auch We Work, nur vermietet das Start-up
eben keine PCs, sondern Schreibtische.
We Work platziere sich damit in einem
Markt, „den die klassische Gewerbeimmo-
bilien-Vermietung vernachlässigt hat“,
sagt Andreas Wende von der ZIA. Dass das
Unternehmen derzeit hohe Verluste
macht, ist auf den zweiten Blick nicht unge-
wöhnlich. Jeder neue Workspace verur-
sacht zu Beginn hohe Fixkosten. Vom
Schreibtisch bis zum Gebäude muss alles
angeschafft oder angemietet werden.
Die Kunden aber zahlen monatlich nur
vergleichsweise kleine Beträge für ihren
Arbeitsplatz, zwischen 250 und 750 Euro –
inklusive Getränken, regelmäßigen Veran-
staltungen und anderen Annehmlichkei-
ten. Anfangs ist es für We Work deshalb
schwieriger, die Kosten zu decken. Lang-
fristig dürfte We Work aber einen größe-
ren Teil seiner Workspaces abgeschrieben
haben, und somit eine bessere Bilanz auf-
weisen. Das zumindest dürfte die Hoff-
nung beim Start-up aus New York sein.

Bayer verkleinert


den Vorstand


Europas teuerste Internetfirma


Ein unbekanntes Unternehmen aus Südafrika geht in Amsterdam an die Börse


Hach, was sind wir hip: Ein Regenbogengorilla begrüßt die Mieter
im Büro in Manhattan. Drinnen wartet dann ein Spielzimmer (unten).
FOTOS: DAVID DELGADO/BLOOMBERG

Job mit Krimi


Nissan sucht einen neuen Konzernchef – mit heilenden Kräften


Karlsruhe – Bankkunden müssen kei-
ne Gebühr für die Umschuldung von
Immobilienkrediten zahlen, entschied
der Bundesgerichtshof. Der Aufwand
der Bank für einen Treuhandauftrag sei
mit dem Zins abgegolten (XI ZR 7/199).
Der Bundesverband der Verbraucher-
zentralen hatte gegen eine Bank ge-
klagt, weil sie 100 Euro verlangt, wenn
ein Kreditnehmer nach Ablauf der Zins-
bindung seine Immobilie bei einer ande-
ren Bank weiterfinanzieren will. Es sei
die Pflicht der Bank, dem Kunden den
Wechsel zu einem anderen Kreditinsti-
tut zu ermöglichen, argumentierte der
Bundesverband. Bei einer Umschul-
dung werden Grundschuld und Ablöse-
summe Zug um Zug zwischen den betei-
ligten Banken übertragen. Kreditneh-
mer haben das Recht, zum Ende der
Zinsbindung zu einer anderen Bank zu
wechseln. Institute dürfen den Wechsel
nicht unnötig erschweren. dpa

Nürnberg – Vier von zehn Neueinstel-
lungen in Deutschland sind befristet,
wie aus einer Untersuchung des For-
schungsinstituts der Bundesagentur für
Arbeit (BA) hervorgeht. Demnach ist
insgesamt jeder zwölfte Arbeitsplatz
zeitlich befristet. Stellen werden längst
nicht nur bei kurzfristigem Personalbe-
darf befristet besetzt: Wie die Studie
zeigt, werden 85 Prozent aller Befristun-
gen bei längerfristigem Personalbedarf
vorgenommen. „Befristete Neueinstel-
lungen werden auch als verlängerte
Probezeit genutzt“, stellt die Untersu-
chung fest. Bei befristeten Neueinstel-
lungen werde häufiger als bei unbefris-
teten auf Berufserfahrung als Einstel-
lungsvoraussetzung verzichtet, heißt es
weiter. Zudem zeige die Studie, dass
Betriebe insbesondere bei Helfertätig-
keiten relativ häufig Befristungen vor-
nehmen. epd

Berlin – Das Klimaschutzziel im Gebäu-
desektor ist nach Einschätzung von
Branchenvertretern und Mieterbund
ohne milliardenschwere staatliche Un-
terstützung nicht zu schaffen. Zwischen
sechs und zehn Milliarden Euro wären
laut Bundesverband deutscher Woh-
nungs- und Immobilienunternehmen
(GdW), Deutschem Mieterbund und
Deutschem Verband für Wohnungswe-
sen, Städtebau und Raumordnung (DV)
nötig, wenn Mietwohnungen(FOTO: IMAGO)
energetisch saniert würden, ohne dass
Mieter unter dem Strich mehr zahlen.

Die Kaltmiete würde dann zwar steigen,
weil die Mieter einen Teil der Sanie-
rungskosten tragen würden. Wegen
Energiespareffekten hätten sie aber
weniger Heizkosten. Die Warmmiete
bliebe gleich. Die Klimaziele wären aber
auch damit nach Angaben der Verbände
noch nicht zu schaffen, dazu seien noch
mehr Investitionen nötig. dpa

Bürogeflüster


Wenige Unternehmen wurden zuletzt so gehypt wie das Start-up We Work. Dabei vermietet es schlicht Schreibtische.
Nun aber scheint die Euphorie vorbei, sogar der geplante Börsengang steht plötzlich infrage

Die Kunden zahlen monatlich
250 bis 750 Euro. Dafür gibt es
nicht nur einen Schreibtisch

Zeitweise wurde We Work
so hoch bewertet
wie der Autohersteller BMW

DEFGH Nr. 210, Mittwoch, 11. September 2019 (^) WIRTSCHAFT 17
Koos Bekker verwandelte Millionen in Milliarden. FOTO: DWAYNE SENIOR/BLOOMBERG
BGH gegen Bank-Gebühr
Vier von zehn befristet
Wohnungsbranche will Geld
Jenseits der
Fossilen

Der Klimaschutz beschäftigt
die Energiebranche
KURZ GEMELDET
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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