S_252_ddeutsche_Zeitung_-_11_09_2019

(vip2019) #1
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Anne Höhne-Weigl ist sauer, richtig sau-
er. Die 69-Jährige war lange Kreisge-
schäftsführerin der Main-Kinzig-CDU,
außerdem Vorsitzende der örtlichen
Frauen-Union und Kreistagsabgeordne-
te. Für ihr Engagement ist sie 2013 mit
dem Ehrenbrief des Landes Hessen aus-
gezeichnet worden. Aber diesen Ehren-
brief hat sie am Montag an die hessische
Staatskanzlei zurückgeschickt. Sie will
ihn nicht mehr haben. „Mir ist es total zu-
wider, mit einem Mann mit rechter Ge-
sinnung die gleiche Auszeichnung zu ha-
ben“, sagt Höhne-Weigl derSüddeut-
schen Zeitung. Sie wolle „mit dieser brau-
nen Sauce nichts zu tun haben“.
Der „Mann mit rechter Gesinnung“,
mit dem die Christdemokratin nichts zu
tun haben will, ist Bert-Rüdiger Förster.
Der 76-Jährige ist Fraktionschef der Re-
publikaner in der Hanauer Stadtverord-
netenversammlung und „geschäftsfüh-
render Landesvorsitzender“ seiner Par-
tei. Außerdem sitzt Förster im Kreistag
von Main-Kinzig, in dem auch Höhne-
Weigl lange Mitglied war. Dort bildet er

zusammen mit dem NPD-Abgeordneten
eine Fraktion. Und ausgerechnet dieser
Bert-Rüdiger Förster ist vor gut zwei Wo-
chen ebenfalls mit dem Ehrenbrief des
Landes Hessen ausgezeichnet worden.
Hanaus Oberbürgermeister Claus Ka-
minsky (SPD) hat ihm die Auszeichnung
persönlich überreicht. „Auch wenn uns
politisch in unserer Grundausrichtung
vieles trennt, so lässt sich allemal zuge-
stehen, dass die Hanauer Stadtverordne-
tenversammlung ärmer wäre ohne sei-
nen Humor, seine langjährige kommu-
nalpolitische Erfahrung und seine Hart-
näckigkeit in der Sache“, hat Kaminsky
damals erklärt.
Höhne-Weigl findet das empörend.
„Försters Auszeichnung ist ein Schlag
ins Gesicht für alle ehrenamtlich enga-

gierten Menschen“, sagt sie. Wer sich für
Allgemeinwohl, Demokratie und Frei-
heit einsetze, könne es nicht hinneh-
men, eine Auszeichnung mit einem
Mann zu teilen, „der am äußersten rech-
ten Rand zu Hause ist und der seine Ge-
sinnung meistens lautstark vertritt“.
Der Ehrenbrief des Landes Hessen ist
eine Auszeichnung des Ministerpräsi-
denten „für besonderes ehrenamtliches
Engagement im Bereich der demokrati-
schen, sozialen oder kulturellen Gestal-
tung der Gesellschaft“. Über die Verlei-
hung entscheiden laut Homepage der
Staatskanzlei seit 1998 die Landräte be-
ziehungsweise Oberbürgermeister, „in
deren Zuständigkeitsbereich die zu Eh-
renden wohnen“.
Peter Tauber macht deshalb den Ober-
bürgermeister für die Auszeichnung ver-
antwortlich. Der ehemalige CDU-Gene-
ralsekretär und heutige Verteidigungs-
staatssekretär sitzt zusammen mit dem
Republikaner Förster im Kreistag. „Es
sorgt mich, wenn die Demokraten nicht
klar sind in ihrer Abgrenzung nach links
und rechts“, sagt Tauber der SZ. „Wenn
ein ehrenamtlicher Ortsbeirat wie in Al-
tenstadt geschehen in überparteilicher
Naivität einen NPD-Mann wählt und das
dann mühsam korrigiert“, dann sei das
„schon schlimm“. Nicht weniger bedenk-
lich sei es aber, „wenn ein sozialdemokra-
tischer Oberbürgermeister nichts dabei
findet, einen Republikaner, der vor Ort
eine Fraktionsgemeinschaft mit der
NPD pflegt, mit dem Landesehrenbrief
auszuzeichnen“.
Doch der OB ist sich keiner Schuld be-
wusst. Auf Nachfrage der SZ, ob er die
Auszeichnung inzwischen für einen Feh-
ler halte, lässt er ausrichten: „Nein“. Förs-
ter habe sich zwar im Wahlkampf „oft
mit derben“ und „schwer erträglichen
Parolen geäußert“. Die Verleihung ent-
spreche aber dem Erlass des Landes Hes-
sen. Denn Förster habe sich „in unserer
Gesellschaft 60 Jahre sozial engagiert“ –
und der Ehrenbrief sei ihm „ausdrück-
lich nicht für seine Parteiarbeit über-
reicht“ worden. robert roßmann

von cerstin gammelin

Berlin – Der deutsche Bundestag, Diens-
tagmorgen, acht Minuten nach zehn Uhr.
Als Angela Merkel auf der Regierungsbank
neben sich greift, um ihre Handtasche zu
erreichen, hebt Olaf Scholz vorne am Red-
nerpult an, über den Bundeshaushalt 2020
zu reden. Die Kanzlerin ist noch mit der Ta-
sche beschäftigt, da ist der Finanzminister
schon fertig. „Das ist jetzt der dritte Haus-
halt dieser Regierung, den wir miteinan-
der beraten, und wie die beiden zuvor ist es
ein solider Haushalt, der ohne neue Schul-
den auskommt.“ Zwölf Sekunden bis zur
schwarzen Null.
Scholz eröffnete am Dienstag die traditi-
onelle Haushaltswoche im Bundestag
nach der Sommerpause. Das Parlament ist
aus den Ferien zurück, das politische Ber-
lin hat in den nächsten Wochen große Ent-
scheidungen zu treffen. Die Regierung will
ein großes Klimaschutzgesetz vorlegen, an
das sie ihr Weiterregieren geknüpft hat; sie
will sich auf die Grundrente einigen und ei-
ne Bilanz zur Halbzeit ihrer Legislaturperi-
ode ziehen. Am ersten Arbeitstag im Parla-
ment hat man jedenfalls den Eindruck,
dass der Wille, es gemeinsam gut zu ma-
chen, durchaus ein starker ist. Und zwar
bei allen Parteien.

Der Sozialdemokrat Scholz baut dem Ko-
alitionspartner einige Brücken, die später
auch genutzt werden. Nicht nur beim Haus-
halt ohne neue Schulden. Scholz verbeugt
sich vor dem Satz seiner Regierungschefin
„Wir schaffen das“, wobei er das darauf be-
zieht, dass Deutschland viele Milliarden
Euro investieren könne, ohne zusätzliche
Kredite aufzunehmen. Beim Klimaschutz
gebe es kein Weiter-so mehr, betont der Vi-

zekanzler, und nicht mehr viele kleine
Maßnahmen oder noch mehr vom Glei-
chen. Nötig sei ein Gesamtkonzept, ein
„über die Regierungsparteien hinaus rei-
chender nationaler Konsens“. So ähnlich
hatte es auch die CDU-Vorsitzende Anne-
gret Kramp-Karrenbauer Ende August ge-
fordert.
Die Nettigkeiten von der Union über-
bringt Fraktionsvize Andreas Jung (CDU).

Scholz habe soweit alles gut gemacht mit
der schwarzen Null, dem ersten Schritt bei
der Abschaffung des Soli und, ja, beim Kli-
mapaket brauche man einen nationalen
Konsens. Wobei das natürlich auch eine
Umschreibung dafür sein könnte, dass die
Union befürchtet, sich mit dem Koalitions-
partner alleine nicht einigen zu können.
Wissen kann man das erst am 20. Septem-
ber, dann soll das Klimakabinett seine Vor-
schläge machen.
Dass die große Koalition einig aussieht,
ist auch der Nachurlaubsstimmung der Op-
position geschuldet. Sie lässt die Gelegen-
heit verstreichen, mal so richtig auf Miss-
stände hinzuweisen. Dass der Bundeshaus-
halt erstmals in seiner Geschichte unvoll-
ständig eingebracht wird – weil das teure
Klimapaket noch fehlt. Die Opposition hät-
te fragen können, was wichtiger sei, Klima-
schutz oder schwarze Null.
Macht sie aber nicht. „Wenn man Sie so
anhört“, beschwert sich SPD-Haushaltsex-
perte Johannes Kahrs hinterher, „da ha-
ben Sie außer einem Hauch Pathos und Sci-
ence-Fiction nicht viel zu bieten.“
Das Fantastische bezieht er auf Peter Bo-
ehringer. Dem AfD-Politiker hatte die erste
Widerrede gegen Scholz zugestanden. Ob-
wohl Boehringer den Haushaltsausschuss
leitet, nimmt er es mit Daten und Fakten

nicht so genau. Ist die Rücklage 2021 aufge-
braucht? Oder 2022? Sind das 30 Milliar-
den? Oder 35? Hat die Europäische Zentral-
bank neue Beschlüsse getroffen? Oder wird
nur spekuliert? Egal. Nur ein Aspekt ist ihm
wichtig: dass die Bundesregierung „deut-
sches Steuergeld für deutsche Bürger“ aus-
geben solle. Als er das sagt, ist von der Kanz-
lerin nur die Handtasche da.
Ob Otto Fricke, Haushaltsexperte der
FDP, im Urlaub Rainer Maria Rilke gelesen
hat, muss offen gelassen werden. Jeden-
falls zitiert er den Dichter „Herr, es ist Zeit.
Der Sommer war sehr groß. Leg deinen
Schatten auf die Sonnenuhren, und auf
den Fluren lass die Winde los...“. Lässt sich
daraus eine fundamentale Kritik an der
bundesdeutschen Haushaltsplanung ma-
chen? Auch der Sommer der großen Koaliti-
on sei groß gewesen, müht sich Fricke. Sie
habe acht Jahre lang aus dem Vollen ge-
schöpft. Aber jetzt? Kurzarbeit, sinkende
Auftragseingänge, schlechtere Steuerein-
nahmen. „Sie wissen schon, dass Steuer-
schätzer Ihnen negative Zahlen reinschrei-
ben“, ruft er Scholz zu. „Otto, du kannst es
besser“, fertigt ihn Kahrs später ab. Vor
acht Jahren habe doch Wolfgang Schäuble
(CDU) Haushaltspolitik gemacht.

Nicht nur Fricke kann es besser, son-
dern ganz Deutschland. So formuliert es je-
denfalls Olaf Scholz. Er beendet seine Rede
ähnlich furios wie er sie begonnen hat. 28
Minuten braucht er, um sich dem Klima zu-
zuwenden. Und lässt es nicht mehr los.
Was auch an einem Wortgefecht mit der
AfD liegt.
Die AfD murrt, als Scholz davon redet,
dass es die Aufgabe Deutschlands sei, „den
menschengemachten Klimawandel aufzu-
halten und gleichzeitig ein wirtschaftlich
erfolgreiches Land zu bleiben, das hochmo-
derne Arbeitsplätze bietet, das global auf
dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist“.
„Antwort?“ ist aus der AfD zu hören.
Scholz aber strapaziert die Geduld. „Und
dann müssen wir auch Fragen beantwor-
ten, die uns die Bürger stellen. Warum stei-
gen wir aus der Kohle aus, wenn in Afrika
und Asien Tausende neue Kraftwerke ge-
baut werden?“ „Antwort?“, ruft man bei
der AfD. Warum ist es richtig, auf moderne
Antriebstechniken bei Fahrzeugen setzen,
wenn überall in der Welt noch Millionen zu-
sätzliche fossile Auto gebaut werden? „Ant-
wort!“ Scholz ist eisern: „Die Antwort auf
diese Frage kann gegeben werden, die
muss auch gegeben werden“. Noch lautere
Rufe von der AfD. Darauf Scholz: Und die
Antwort lautet. „Weil wir es können.“
Klatschen links der AfD. In den Beifall
hinein ruft Scholz: „Wir haben die Ingeni-
eure, wir haben die Finanzen, die Technolo-
gien. Und wenn uns das gelingt, können
wir anderen sagen, wir haben eine bessere
Alternative, als 500 neue Kohlekraftwerke
aufzustellen oder die ganze Welt mit Autos
zuzustellen. Dann gäbe es keine Luft zum
Atmen mehr. Unsere Technologien kön-
nen die Lösung sein, die bezahlbar ist an an-
deren Orten der Welt.“
Am ersten Tag im Parlament hat Scholz
mit der schwarzen Null angefangen und
mit dem Klima geendet. Man darf ge-
spannt sein, wie es nach den Haushalts-
beratungen aussieht.

München – Eigentlich sollte an diesem
Mittwoch die zweite Runde der Sondie-
rungsgespräche für eine neue Regierung
in Brandenburg beginnen. Tatsächlich
aber fangen SPD, CDU und Grüne noch ein-
mal bei Null an. Grund dafür sind Querelen
in der CDU. Nachdem der Partei- und Frak-
tionsvorsitzende Ingo Senftleben am ver-
gangenen Freitag von seinen Ämtern zu-
rückgetreten war, wurde bereits am Sonn-
tag der Bundestagsabgeordnete Michael
Stübgen zum kommissarischen CDU-Chef
berufen. Am gestrigen Dienstag wurde
dann Jan Redmann einstimmig zum Frakti-
onsvorsitzenden im Potsdamer Landtag ge-
wählt.

Redmann gilt als Vertrauter des zurück-
getretenen Fraktionschefs. Dennoch unter-
stützte auch einer der schärfsten innerpar-
teilichen Gegner von Senftleben, der Land-
tagsabgeordnete Frank Bommert, die
Wahl: „Wir haben hart daran gearbeitet,
um die Lage zu befrieden. Es ist wichtig,
um Ruhe in die Partei zu bringen und sich
für eine mögliche Koalition gut aufzustel-
len.“ Die SPD, die trotz heftiger Verluste
mit gut 26 Prozent als stärkste Partei aus
der Landtagswahl hervorging, begrüßte
die Personalien in der CDU ebenfalls. „Die
Wahl von Jan Redmann war ein starkes Si-
gnal“, sagte der brandenburgische SPD-Ge-
neralsekretär Erik Stohn. Weitaus skepti-
scher reagierten die Grünen: „Wir erken-
nen bei der CDU nach dem offenen Macht-
kampf ein Bemühen, für den Moment
neue Geschlossenheit zu zeigen.“
Die Landtagswahl am vorvergangenen
Sonntag hatte die bisherige Regierungsko-
alition aus SPD und Linken um ihre Mehr-
heit gebracht, die Suche nach einem neuen
Bündnis ist kompliziert. Nicht nur die SPD
verlor stark, sondern vor allem CDU und
Linke, die jeweils mehr als sieben Prozent-
punkte einbüßten. Die AfD gewann hinge-
gen kräftig hinzu und bekam gut 23 Pro-
zent der Stimmen, für die Grünen stimm-
ten fast elf Prozent. Da keine der anderen
Parteien mit der AfD zusammenarbeiten
wollen, sind drei Regierungskoalitionen

denkbar: Rot-rot-grün oder ein rot-
schwarzes Bündnis zusammen mit den
Freien Wählern, beide hätten im Landtag
je eine Stimme Mehrheit. Alternativ könn-
ten sich SPD und Grüne mit der CDU zu-
sammentun, sie hätten eine Mehrheit von
sechs Stimmen. Ein rechnerisch mögliches
rot-schwarz-rotes Bündnis ist weder bei
der CDU noch bei der Linken durchsetzbar.
Für die CDU ist es so nach mehreren Jah-
ren in der Opposition trotz der Verluste wie-
der möglich, an die Regierung zu kommen.
2014 war eine Koalition mit der SPD daran
gescheitert, dass sich der CDU-Landesvor-
sitzende Michael Schierack weigerte, ei-
nen Ministerposten zu übernehmen. Der
CDU-Verband ist bekannt für seine Kämp-
fe zwischen dem eher gemäßigt-konserva-
tiven und dem eher rechts-konservativen
Flügel. Im Wahlkampf trat die Partei weit-
gehend geschlossen auf, da sie unter ihrem
liberalen Spitzenkandidat Ingo Senftleben
in Umfragen zeitweise sogar die SPD über-
holen konnte. Im sozialdemokratischen
Stammland hätte die CDU dann den Minis-
terpräsidenten stellen können.
Nachdem die Partei bei der Wahl gerade
einmal 15,6 Prozent der Stimmen bekam,
brachen die alten Auseinandersetzungen

wieder aus. Bereits am nächsten Tag for-
derte der Landtagsabgeordnete Bommert
den Rücktritt von Senftleben; am folgen-
den Dienstag spielte sich nach der Frakti-
onssitzung eine geradezu skurrile Szene
ab: Während der Noch-Parteichef den Jour-
nalisten verkündete, er werde weiter im
Amt bleiben und die Sondierungsgesprä-
che führen, bereiteten die gegnerischen
CDU-Abgeordneten in demselben Raum
bereits ihre eigene Pressekonferenz vor.
„Es ist die weltoffene und liberale CDU,
mit der wir uns eine Zusammenarbeit zu-
mindest vorstellen konnten“, schrieben die
Grünen recht desillusioniert nach dem Ab-
schied Senftlebens am vergangenen Frei-
tag. Nach der Wahl des neuen Fraktionsvor-
sitzenden müsse sich jetzt erst zeigen, „ob
dies ein Formelkompromiss ist und wie
tragfähig er ist“, ergänzte Co-Parteichef
Benjamin Raschke nun.
Die Gespräche sind jedenfalls eng getak-
tet: Für den Vormittag hat die SPD die CDU
eingeladen, dann folgen Linke und Grüne.
Auf Seiten der SPD wird Ministerpräsident
Dietmar Woidke wieder die Verhandlungs-
führung übernehmen, nachdem er dies we-
gen eines Trauerfalls in der Familie ausge-
setzt hatte. jan heidtmann

München – Frauen werden für ihre Arbeit
schlechter bezahlt als Männer, das gilt
unabhängig von ihrem Bildungsgrad und
ist nicht nur in Deutschland Fakt. Hierzu-
lande stehen sie aber mit ihrem Erwerbs-
einkommen gegenüber Männern besser
da als im EU-Durchschnitt. Europaweit ver-
dienen vollzeitbeschäftigte Frauen je nach
Bildungsabschluss zwischen 76 und 79 Pro-
zent dessen, was Männer in vergleichbarer
Vollzeittätigkeit erarbeiten. In Deutsch-
land kommen sie auf 74 bis 86 Prozent. Ei-
nen einsamen Spitzenwert von 93 Prozent
erzielen Frauen, die älter als 55 sind und
den niedrigsten Bildungsgrad haben, also
eine nach der neunten oder zehnten Klasse
abgeschlossene Schullaufbahn.
Mehr Bildung zahlt sich demnach nicht
in Parität bei der Bezahlung aus – im
Gegenteil. Das lässt die OECD-Studie „Bil-
dung auf einen Blick 2019“ erkennen, die
am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Frauen, die nur die Schule abschließen,
erreichen in Deutschland einen höheren
Anteil am Männereinkommen als Frauen,
die danach noch ein Studium oder eine
Berufsakademie absolvieren. Das ist auch
in vielen anderen Länder so. Auf dem
nichtakademischen Weg bringen sie es in
Deutschland auf durchschnittlich 86 Pro-
zent, in einer akademischen Laufbahn nur
auf 74 Prozent. „Das Verdienstgefälle ist in
Deutschland auf höheren Bildungsstufen
größer“, heißt es in der Studie.
Diese Geschlechterungerechtigkeit be-
deutet jedoch nicht, dass es sich nicht
lohnen würde zu studieren. Deutsche mit
einem Bachelor-Abschluss verdienen
39 Prozent mehr als Deutsche ohne Hoch-
schulausbildung. Zwar haben sich die Job-
chancen für Menschen mit klassischer Be-
rufsausbildung in den vergangenen zehn
Jahren von 78 auf 84 Prozent verbessert,
sie sind also heute deutlich seltener arbeits-
los als früher. Aber von den Verdienstmög-
lichkeiten der höher Qualifizierten bleiben
sie großteils abgeschnitten.
Dass Frauen von den höheren Gehältern
weniger profitieren als Männer, erklären
Bildungsforscher mit dem Faktor Familie:
Ihre Karrieren verlaufen wegen Pausen
und Teilzeitphasen oft flacher, gerade bei
Müttern. Und das kommt besonders oft in
Deutschland vor: Jede dritte Akademike-
rin arbeitet hier in Teilzeit, im OECD-
Schnitt nur jede vierte. susanne klein

Rechts außen engagiert


Ein SPD-Oberbürgermeister zeichnet einen Republikaner aus


In zwölf Sekunden zur schwarzen Null


Finanzminister Scholz legt einen ausgeglichenen Haushalt vor und betont, etliche Milliarden in Reserve
zu haben. Doch im Etat ist ein enormer Posten nicht enthalten – das noch nicht verhandelte Klimapaket

Alles auf Anfang


Die Gespräche für eine neue Regierung in Brandenburg beginnen nochmal von vorn


Berlin – Das Auswärtige Amt hat Kritik
aus China über eine Begegnung von
Bundesaußenminister Heiko Maas mit
dem Hongkonger Aktivisten und Regie-
rungskritiker Joshua Wong zurückge-
wiesen. Das chinesische Außenministe-
rium hatte zuvor formell Beschwerde
eingelegt: Man sei „extrem unzufrie-
den“ über die Entscheidung Deutsch-
lands, „Separatisten aus Hongkong die
Einreise zu gestatten und sich an Aktivi-
täten gegen China zu beteiligen“. Das
Auswärtige Amt entgegnete, Treffen
mit Mitgliedern der Zivilgesellschaft
seien ein ganz normales Verfahren.
Maas habe zudem darauf verwiesen,
dass sich die Bundesregierung immer
für Meinungsfreiheit einsetze. Maas
war Wong am Montagabend bei einer
Veranstaltung im Bundestagsgebäude
begegnet und hatte sich gemeinsam mit
ihm ablichten lassen. Kanzlerin Angela
Merkel hatte bei ihrem Besuch in Pe-
king vergangenen Freitag – wie bei fast
jedem China-Besuch – Menschenrechts-
Anwälte empfangen. reuters

Madrid – In Spanien schwinden die
Aussichten auf eine Regierungsbildung,
und die Ansetzung von Neuwahlen im
Herbst wird immer wahrscheinlicher.
Die Sozialisten des amtierenden Minis-
terpräsidenten Pedro Sánchez und die
Linkspartei Unidas Podemos erreichten
auch am Dienstag keine Einigung. Pode-
mos pocht auf eine Koalition, doch San-
chez will kein gemeinsames Kabinett
mit der Linkspartei bilden. Podemos
erklärte bereits, alles laufe auf Neuwah-
len hinaus, wenn sich an dieser Haltung
nichts ändere. Sollte es Premier Pedro
Sánchez nicht doch noch gelingen, bis
zum 23. September eine Regierung zu
bilden, dann kommt es am 10. Novem-
ber zu Neuwahlen. Bereits die jüngsten
Wahlen Ende April waren vorgezogen
gewesen. reuters

San Francisco – Die US-Waffenlobby
National Rifle Association (NRA) hat die
Stadt San Francisco verklagt, nachdem
die städtische Aufsichtsbehörde den
Verband als Terrororganisation bezeich-
net und auf eine schwarze Liste gesetzt
hat. „Wir werden nie aufhören, für unse-
re gesetzestreuen Mitglieder und ihre
Verfassungsrechte zu kämpfen“, sagte
der NRA-Geschäftsführer Wayne LaPier-
re. Die Aufsichtsbehörde von San Fran-
cisco hatte eine Resolution verabschie-
det, in der den städtischen Behörden
empfohlen wird, die Zusammenarbeit
mit Geschäftspartnern der NRA zu be-
grenzen. Die Aufsichtsbehörde reagiert
damit auf die strikte Weigerung der
Vereinigung, sich nach Schießereien an
Schulen, Einkaufszentren oder an ande-
ren öffentlichen Orten mit zahlreichen
Toten für Beschränkungen beim Schuss-
waffenbesitz zu öffnen. Die NRA zählt
zu den einflussreichsten Lobby-Organi-
sationen der Vereinigten Staaten über-
haupt.reuters

Je höher die Bildung,


desto größer die Kluft


Olaf Scholz gilt als einer der letzten prominenten Befürworter der großen Koalition – seine Haushaltsrede belegt das. FOTO: FABRIZIO BENSCH/REUTERS

DEFGH Nr. 210, Mittwoch, 11. September 2019 (^) POLITIK 5
Die SPD lobt die Wahl von
Jan Redmann zum neuen
Fraktionschef der CDU
Die AfD murrt, als die Rede auf
den Klimawandel kommt – es gibt
einen kleinen Schlagabtausch
Bundeshaushalt 2020

Geplante Ausgaben nach Ministerien in Milliarden Euro, rundungsbedingte Differenzen
SZ-Grafik; Quelle: Bundesfinanzministerium
148,
45,
29,
18,
16,
15,
15,
11,
11,
10,
9,
27,

Bildung und Forschung
Verteidigung
Verkehr und digitale Infrastruktur
Bundesschuld
Inneres, Bau und Heimat
Arbeit und Soziales Gesundheit
Sonstige
Allgemeine Finanzverwaltung
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Wirtschaft und Energie
Gesamt 359,9 Milliarden Euro
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Aufräumen nach der Wahl: Die Koalitionsgespräche in Brandenburg wurden
durch den Rücktritt von CDU-Chef Senftleben verzögert. FOTO: MONIKA SKOLIMOWSKA/DPA
China verärgert über Maas
Keine Einigung in Madrid
NRA verklagt San Francisco

KURZ GEMELDET
Der OB verteidigt die Ehrung –
trotz der „schwer erträglichen
Parolen“ des Ausgezeichneten

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