S_252_ddeutsche_Zeitung_-_11_09_2019

(vip2019) #1
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von cathrin kahlweit

London – Es war, als würde ein besetztes
Haus geräumt und die empörte Wohnge-
meinschaft würde Widerstand leisten, um
nicht nach all den Jahren der gemeinsa-
men Arbeit und des Kampfes gegen die In-
stitutionendochnochaufderStraße zulan-
den: Randale, Sitzblockaden, Tränen und
Gebrüll.WalisischeAbgeordnetesangenih-
reNationalhymneundtrafeninihrerEmo-
tion keinen Ton, einige Abgeordnete brüll-
ten„Schande“und„Nein,nein,nein“,ande-
rehieltenProtestschilderhoch.Einerklam-
merte sich an den Stuhl des Sprechers und
musste regelrecht weggehoben werden.
Parlamentssprecher John Bercow, der
Stunden zuvor einen großen Momente ge-
habt hatte, als er seinen Rücktritt zum
31.Oktober erklärte, informierte einen re-
nitenten Abgeordneten, es interessiere ihn
einen „fliegenden Flamingo“, was der den-
ke. Eigentlich hätte zu dieser fortgeschrit-
tenenStundenurnochgefehlt,dassimUn-
terhaus eine veritable Prügelei ausgebro-
chen wäre. Just an der Engstelle zwischen
dem Thron des Parlamentssprechers, den
Sesseln seiner Mitarbeiter, dem breiten
Mitteltisch und den grünen Lederbänken,
wo sich Dutzende wütende Menschen
drängten. Auch das hätte dann wohl nie-
manden mehr gewundert: Es war 1.40 Uhr
in der Nacht, die Nerven aller Beteiligen la-
gen blank.

Der Grund für den Tumult: Eine hoch-
rangige Parlamentsangestellte, dieBlack
Rod, in vollem Ornat mit Amtskette und
Ebenholzstab, war im Unterhaus erschie-
nen und hatte – Ordnung muss sein – sehr
höflich ihren auswendig gelernten Text
aufgesagt: Da ja nun, wie von der Regie-
rung beantragt und von der Queen abge-
zeichnet, die Prorogation einsetze und da-
mit das Parlament schließe, bitte sie den
Speaker und die Abgeordneten, den Saal
zu verlassen und ihr hinüber zu den Lords
zu folgen; dort würden sie erwartet. Für ei-
nen kurzen Moment trat sie, sichtlich er-
schrocken von dem empörten Gebrüll,
dassübersieniederprasselte,zurSeite. Als
fürchte sie, die Abgeordneten würden an
ihr vorbeistürmen und ihre Wut womög-
lich am Premierminister in der Downing

Street auslassen. Aber schließlich mar-
schierte Bercow, gefolgt von zahlreichen
Abgeordneten, welche die lange Debatte
bis zum Ende durchgehalten hatten, brav
hinter der Parlamentsdienerin hinüber zu
den Lords, von wo man sich gemeinsam
aus dem Westminster Palast hinaus in die
regnerische Londoner Nacht begab.
Wer nun geglaubt hatte, Westminster
stünde,seinerwichtigstenFunktionenwe-
gen der verlängerten Zwangspause be-
raubt, am Dienstagmorgen leer und
schweigend an der Themse vor sich hin,
derirrtesehr.DerLabour-AbgeordneteHi-
lary Benn twitterte zwar Fotos von leeren
Sälen, Fluren und Hallen; an manchen
Stühlen klebten noch immer die Zettel, auf
die empörte Abgeordnete „Man bringt uns
zum Schweigen“ geschrieben hatten. Aber
kurzerhand als „informell“ deklarierte
Ausschusssitzungengingenweiter;einKo-
mitee des Innenministeriums hörte, was
man getrost als eine Art des Widerstandes
betrachten kann, am Dienstag Logistiker
und Frachtunternehmer an zu den Proble-
men von Gütertransporten nach einem et-
waigen No Deal. Und für den Mittwoch, so
hatHilaryBennzumindestverkündet,wür-
de man im informellen Brexit-Komitee
dann gern den Premierminister befragen.
Es ist davon auszugehen, dass er nicht
kommt.
Tatsächlich wird sich, trotz letzter Wi-
derstandsnester,derKampfum den Brexit
mindestens bis Mitte Oktober außerhalb
des Unterhauses vollziehen. Am Samstag
beginnt im Königreich ohnehin die so ge-
nannteKonferenzsaison.Liberaldemokra-
ten, Schottische Nationalpartei, Labour
und Tories halten ihre Parteitage nachein-
ander ab, und neben der Frage, wie man
aus der aktuellen Misere herauskommt,
dürften diese Treffen schon Vorboten des
aufziehenden Wahlkampfes sein. Die Lib-
Demsunter ihrerneuen, jungenChefin Joe
Swinson haben bereits verkündet, sie gin-
genmiteinereindeutigenBotschaftinvor-
gezogeneNeuwahlen: Siewollen Artikel 50
widerrufen und damit den Brexit schlicht
absagen.
Labour, nach wie vor innerlich zerrissen
in der Frage, wie man mit dem Referen-
dumsergebnisvon2016umgehensoll,ten-
diert aktuell dazu, einen Remain-Wahl-
kampfzumachenund danneinzweitesRe-
ferendum auszurufen; auf dem Stimmzet-
tel der Verbleib in der EU oder aber ein gu-
ter, oder besserer, oder verbesserter Deal.
Was das genau bedeutet, ist eher unklar.

Die schottische Nationalpartei will nur
eins: raus aus Großbritannien, und drin-
nenbleibenin derEU–was, zumindestauf
die Schnelle, wohl nicht leicht gehen wird.
UnddieTories?Waswill,wasplantJohn-
son? Aus Downing Street kommen unter-
schiedliche Signale. Der Premier selbstsei,
hörtman,angesichtsseinermisslichenLa-
ge – sechs Abstimmungsniederlagen in
sechs Tagen, mittlerweile 37 abtrünnige
Abgeordnete und eine echt miese Presse –
nun vielleicht doch noch zu einem Deal be-
reit. Immer lauter wird derzeit in London
spekuliert, dass Johnson nun Undenkba-
res wieder denkbar finden könnte. Eine
Mehrheit er sowieso nicht mehr, also ist er

auch nicht wie Theresa May vor ihm von
der Mehrheitsbeschafferin abhängig, der
nordirischen Kleinpartei DUP. Die EU hat-
te zu Beginn der Verhandlungen im Herbst
2017 einen Backstop nur für Irland vorge-
schlagen. Nordirland bliebe damit in der
Zollunion und in Teilen des Binnenmark-
tes. Das würde zwar nicht alle, aber viele
Probleme der Insel lösen, allerdings läge
dann die EU-Zollgrenze in der Irischen
See,alsozwischenderirischenundderbri-
tischenInsel.Unddas,hatteMaygeschwo-
ren,seietwas,waskeinPremierministerje-
malsunterschreibenkönne.Siebestandda-
her auf dem gesamten Königreich in der
Zollunion, also quasi auf der solidarischen,

großen Lösung. Aber die mochten die Bre-
xiteers gar nicht leiden. Ihr Deal war –
auch deshalb – tot.
Nun sind die Tories aber, wie gesagt,
nicht mehr auf die DUP angewiesen. Und
die Idee der kleinen Lösung mit einem
Nordirland, das sich an die Regeln und
StandardsderEUhält, istwieder imSpiel–
was offene Grenzen weiter möglich ma-
chenwürde. In Brüssel seiman nicht abge-
neigt, ist zu hören; schließlich war das ja
mal eine Brüsseler Idee, und eine funktio-
nierende noch dazu. Ob allerdings Boris
Johnson lieber mit dieser Lösung als mit
gar keiner Lösung in den Herbst geht, das
weiß derzeit niemand.

Kopenhagen –SchwedenhateineneueAu-
ßenministerin.Die57-jährigebisherigeAu-
ßenhandelsministerin Ann Linde löste am
Dienstag Margot Wallström als Chefdiplo-
matindesLandesab,diebishereinederbe-
kanntesten und auch beliebtesten Figuren
im Kabinett war. Wallström hatte 2014
Schwedens „feministische Außenpolitik“
erfunden. Ministerpräsident Stefan Löf-
ven stellte am Dienstag in Stockholm die
neueMinisterinvor.LöfvenhattezurEröff-
nung des Parlamentes nach der jährlichen
Sommerpause seine Regierungserklärung
verlesen. Linde war unter Löfven auch
schon Ministerin für EU-Angelegenheiten
und zuständig zu den Beziehungen zu den
anderen nordischen Staaten.
Löfven stellte am Dienstag neben der
Neubesetzung einiger Ministerposten
auchdieSchwerpunkteseinerRegierungs-
politik fürs kommende Jahr vor. Klimakri-
se,einbesseres Gesundheitswesenunddie
tödliche Gewalt auf Schwedens Straßen
nannte er als besondere Herausforderun-
gen. Zuletzt hatte der Mord an einer jun-
gen Mutter auf offener Straße in Malmö
Schweden schockiert. „Das Ziel ist klar:
Wir werden die Gewalt zurückdrängen“,
sagteLöfven.DiePolizeisollebesserunter-
stützt werden, unter anderem überlege die
RegierungdenAusbauderKameraüberwa-
chung.
Die bisherige Außenministerin Margot
WallströmhatteamFreitagihrenRücktritt
erklärt. Nach fünf Jahren Dienst in der Re-
gierung wolle sie mehr Zeit für Ehemann,
Kinder und Enkelkinder, erklärte Wall-
ström, die Ende diesen Monats 65 Jahre alt
wird. Wallström hatte in der Vergangen-
heit auch als EU-Kommissarin in Brüssel
gearbeitet und war zwei Jahre lang die ers-
te Sonderbeauftragte des UN-Generalse-
kretärs für sexuelle Gewalt in Konfliktge-
bieten gewesen.
Weltweit bekannt wurde Wallström mit
ihrem Konzept der feministischen Außen-
politik, das sie gleich nach ihrem Amtsan-
tritt im Oktober 2014 vorstellte. Die Minis-
terin erklärte, dass die Diplomatie sich
weltweitdiesedreiFragenstellensolle:Ha-
ben Frauen die gleichen Rechte? Sitzen sie
mit am Tisch der Entscheider? Und haben
sie den gleichen Zugang zu Ressourcen?
Am Ende, so das Argument, werde jeder
Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung
der Frau auch einen Fortschritt bei den
klassischen Zielen der Außenpolitik wie
Frieden und Sicherheit mit sich bringen.
Im vergangenen Jahr stellte Schweden gar
ein „Handbuch zur feministischen Außen-
politik“ vor. Schweden, heißt es in dem
Handbuch,habeseineneueArtderAußen-
politik „als Reaktion auf die Diskriminie-
rung und systematische Unterordnung“
begonnen, „die noch immer das Leben
zahlloser Frauen und Mädchen auf der Er-
de bestimmen“. Wallström baute auch den

eigenen diplomatischen Dienst um: Heute
werden40ProzentderBotschaftenSchwe-
dens von Frauen geleitet.
Konflikte hat sie selten gescheut. Israel
verärgerte sie nachhaltig, als sie Schweden
dazu brachte, als erstes EU-Land Palästina
als eigenständigen Staat anzuerkennen.
Nachdemsie2016IsraelsArmee„außerge-
richtliche Tötungen“ von Palästinensern
vorwarf, erklärte Israel sie zur uner-
wünschten Person. Auch mit Saudi-Arabi-
en gab es diplomatische Spannungen.
2015 war in dem Land der kritische Blog-
ger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht
worden wegen „Beleidigung des Islam“.

Wallström nannte Saudi-Arabien darauf-
hin eine Diktatur und das Urteil gegen den
Blogger „mittelalterlich“. Nur wenige öf-
fentlich kritische Worte fand Wallström
hingegen gegenüberChina, dessen Sicher-
heitsapparat Ende 2015 den Hongkonger
Buchhändler und Verleger chinakritischer
Bücher Gui Minhai aus Thailand hatte ent-
führenlassen.GuiistschwedischerStaats-
bürger,undsitztbisheuteineinemchinesi-
schen Gefängnis, selbst Diplomaten ande-
rer EU-Länder zeigten sich immer wieder
irritiert über das anhaltende Schweigen
aus Stockholm, Menschenrechtler werfen
Schwedenvor,indiesemFalleGeschäftsin-
teressen über das politisch Gebotene zu
stellen.
Am Dienstag erklärte die neue Ministe-
rin Ann Linde, sie wolle die feministische
Außenpolitik Wallströms beibehalten.
„Die Demokratie befindet sich im Nieder-
gang“,sagtesiezudembeieinerPressekon-
ferenz nach ihrer Ernennung. „Es ist mei-
ne Aufgabe, eine Außenpolitik zu betrei-
ben, die zur Erhaltung des Friedens bei-
trägt.“ Linde wird bald Gelegenheit haben,
zu zeigen, wie sie sich zu China positio-
niert: Noch am Dienstag veröffentlichten
Schwedens Liberale imSvenska Dagbladet
einen offenen Brief, in dem sie die Regie-
rung aufforderten, Solidarität mit den De-
monstranten in Hongkong zu zeigen. Un-
ter anderem solle die Regierung Pekings
PolitikverurteilenundimNotfalldafürsor-
gen, dass Flüchtlinge aus Hongkong in der
Europäischen Union aufgenommen wür-
den.DieLiberalensindeinederbeidenklei-
nen Parteien, auf deren Unterstützung die
MinderheitsregierungderSozialdemokra-
ten angewiesen ist. kai strittmatter

Warschau – Die Wissenschaftler der Pra-
ger Universität für Land- und Forstwirt-
schaft (CULS) waren schockiert, als sie in
einen der größten erhaltenen Urwälder
Europas zurückkehrten. In den rumäni-
schen Făgăraș-Bergen, eineinhalb Auto-
stundenvonHermannstadt,wuchsenjahr-
hundertealte Buchen und andere Bäume
in den bis auf über 2400 Meter hinaufrei-
chenden Tälern, fanden Braunbären und
LuchseeineZuflucht,selteneEulen,Spech-
teundFledermäusesowieHunderteInsek-
ten-undPflanzenarten.AlsdiePragerWis-
senschaftler 2010 mit ihren Forschungen
begannen, glaubten sie, dass dies auch so
bleiben würde: Schließlich gab es keine
Straßen, die in die steilen Bergtäler mit ih-
rendramatischenFelshängenundWasser-
fällen führten.
Doch als die Wissenschaftler im Som-
mer 2018 für sieben Wochen zurückkehr-
ten, waren sie entsetzt über den drasti-
schen Wandel: Straßen waren in den Wald
geschlagen, teils jahrhundertealte Bäume
illegal gefällt,ganze Berghänge kahl. „Eine
der wertvollsten Naturgegenden in der
EuropäischenUnionverschwindetrapide“,
schlossen Martin Mikoláš und seine Kolle-
gen, als sie ihre Beobachtungen Anfang
2019 in einem Bericht präsentierten.
Derlei Warnungen bleiben folgenlos –
auch die von der postkommunistischen
PSDgeführteRegierung,dieauchinRumä-
niens Regionen oft die Mächtigen stellt,
unternahm nichts. So spielte etwa Forst-
minister Ion Denes das Problem Ende
Januar 2019 im EU-Parlament herunter.

Illegaler Holzeinschlag beschränke sich
aufprivate Wälder und sei„kein generelles
Phänomen“; die staatliche Kontrolle sei
effektiv. Dabei waren die Vereinten Natio-
nen nach der Auswertung von Satelliten-
aufnahmen schon im November 2017 hoch
alarmiert: Illegales Holzfällen in rumäni-
schenUrwäldernseieineder„bedeutends-
ten Bedrohungen für Nachhaltigkeit“ im
europäischen Naturschutz.
Tatsächlich ist illegaler Holzeinschlag
im armen Rumänien ein landesweites
Milliardengeschäft – erst recht, seit
Bukarests Beitritt zur EU 2007 den Ver-
kauf von Holz einfacher machte, europäi-
sche Holzfirmen Sägewerke und Zweig-
stellen eröffneten und Geschäfte mitunter
mit Schmiergeld beförderten. Rumäniens
Sonderstaatsanwaltschaft gegen Organi-
siertes Verbrechen (DIICOT) schloss Ende
Mai 2018 nach dem Durchsuchen von
23 Firmenniederlassungen, Mitglieder
der Holzindustrie hätten zusammen mit
Beamten etwa der Forstämter seit 2011

illegales Holzfällen in großem Maßstab
organisiert.DiePolizeiregistriertinRumä-
nien jährlich 12487 Fälle illegalen Holzfäl-
lens, so Greenpeace Rumänien.
Staatliche Kontrolle ist faktisch oft
nicht existent. Der rumänischen Umwelt-
gruppe Agent Green zugespielte Zahlen
ausRumäniens Waldinventur für die Jahre
2013 bis 2018 zufolge wurden jährlich über
38 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen


  • genehmigt waren 18 Millionen Kubik-
    meter. Die EU-Abgeordnete Carmen Avra
    beklagte Ende Juli, in ihrer Heimat werde
    jede Sekunde ein 20-Meter-Baum illegal
    gefällt. Fast ein Drittel rumänischer Wäl-
    der seien verschwunden, allein in den letz-
    tenfünfJahrenseien243000 Hektarabge-
    holztworden.Dasentsprichtetwaderdrei-
    fachen Fläche des Stadtstaates Hamburg.
    Agent Green, die deutsche Euro-Natur-
    Stiftung und die englische Organisation
    Client Earth haben die EU-Kommission in
    einernuneingereichtenBeschwerdeaufge-
    fordert, wegen massiven illegalen Holzein-
    schlags gegen Rumänien vorzugehen. Viele
    der Wälder, in denen illegal gefällt wird,
    sind als Nationalparks ausgewiesen oder
    stehen als Natura-2000-Gebiete unter EU-
    Schutz oder als Weltnaturerbe unter dem
    der Vereinten Nationen. Zudem widersprä-
    chen rumänische Bestimmungen zum
    SchutzderWälderEU-Richtlinien.„Wirwol-
    lenmitunsererBeschwerdeerreichen, dass


die EU-Kommission wie zuvor im Falle
Polens nun gegen Rumänien vorgeht und
ein Vertragsverletzungsverfahren einlei-
tet“, sagt Gabriel Schwaderer von Euro-Na-
tur. Am 17. April 2018 stoppte der Gerichts-
hof der Europäischen Union auf Antrag der
EU-Kommission in einem Eilverfahren das
BäumefällenimpolnischenBiałowieza-Ur-
wald, das EU-Recht widersprach.
Die Verstöße in Rumänien sind indes
ungleich größer als in Polen. Rumänien
verfügt vor allem in seinen Bergwäldern in
den Karpaten über schätzungsweise zwei
Drittel aller noch erhaltenen Urwälder in
der EU außerhalb Skandinaviens. 2005
schätzte die sogenannte „Pin Matra“-Stu-
die die Urwälder auf 220000 Hektar. Seit-
dem sind 45 Prozent davon nach Analysen
von Agent Green, Euro-Natur und Client
Earthbereitsverschwunden.Umweltschüt-
zer, die auf das Problem aufmerksam ma-
chen, stehen unter Druck.
Im Juli 2018 strich Rumäniens Regie-
rung mit einem zuvor geheim gehaltenen
Eilerlass die Rolle der „Wächter“ in
Natura-2000-Naturschutzgebieten. Zuvor
konnten Bürgergruppen und Universitä-
ten, Stadt- oder Kreisräte privilegiert und
frühzeitig gegen fragwürdige Projekte
oder Genehmigungen für Straßen, neue
HotelsoderSchürfgenehmigungeninNati-
onalparks oder anderen Schutzgebieten
vorgehen. florian hassel

München – Die USA hatten offenbar in
Russland über Jahre einen Spion in der
Kremlbürokratie platziert, der auch Zu-
gang zu Präsident Wladimir Putin hatte.
Dieser „Maulwurf“ sei aber 2017 von der
CIA abgezogen worden, das haben dieNew
York Timesund der Sender CNN am Diens-
tag veröffentlicht. Den Berichten nach war
der Spion über Jahrzehnte in der russi-
schenRegierungsverwaltungimmerweiter
aufgestiegen und hatte schließlich sogar
die Möglichkeit, Akten auf Putins Schreib-
tisch zu fotografieren. LautNew York Times
war er maßgebliche Quelle der Informatio-
nen, aus denen die US-Geheimdienste den
Schluss zogen, dass Putin selbst die russi-
sche Einmischung in den US-Präsident-
schaftswahlkampf 2016 begleitete.
Die russische Zeitung Kommersant
schrieb, es handle sich bei dem Maulwurf
um einen damaligen Beamtenim Moskau-
er Präsidialamt namens Oleg Smolenkow,
der für einen der Chefberater Putins gear-
beitet habe. Smolenkow habe sich bei ei-
nem Montenegro-Urlaub mit der Familie
abgesetztundlebeinzwischenimUS-Bun-
desstaat Virginia nahe Washington.
Widersprüchlich sind die Berichte über
die Gründe für den Abzug des Maulwurfs
aus dem Kreml. CNN zufolge brachte der
US-Geheimdienst den Spion in Sicherheit
aus Sorge, dass er auffliegen könnte – zu
vieleLeuteinderUS-Regierung hättenvon
ihm gewusst. Demnach sei die Entschei-
dungfürseinenAbzuggefallen,kurznach-
dem US-Präsident Donald Trump 2017 im
Weißen Haus zwei russische Beamte emp-
fangen habe. Trump habe vor den Besu-
chern geheime nachrichtendienstliche Er-
kenntnisse der USA ausgeplaudert. Die In-
formationen hätten möglicherweise auf
den Maulwurf im Kreml hinweisen kön-
nen. DieNew York Timesberichtet hinge-
gen, die Vorgänge hätten mit Trumps Ver-
halten nichts zu tun. Eine Sprecherin des
Weißen Hauses nannte die CNN-Darstel-
lung nicht nur falsch, sondern sie könne
auch Leben gefährden.
Durch den Abzug des Mannes, schreibt
dieNew York Times, seien die Augen der
CIAinRusslandnun„erblindet“fürdieSu-
che nach Erkenntnissen über eine mögli-
che russische Einflussnahme auf die US-
Kongresswahlen2018unddiePräsidenten-
wahl 2020. bac

München – Im Streit um das iranische
Atomprogramm gerätdieRegierungin Te-
heranauchwegenGeheimdienstinformati-
onen aus Israel in die Defensive. Der Inte-
rimschefderInternationalenAtomenergie-
behörde (IAEA), Cornel Feruta, verlangte
vonIran,FragenderInspektorenzubeant-
worten.Siehattenin einerLagerhallein ei-
nemAußenbezirkvonTeheranSpurenvon
Uran nachgewiesen. Iran hatte das Gebäu-
de als Teppichreinigung bezeichnet. Isra-
els Premier Benjamin Netanjahu dagegen
hattevoneinem„nuklearenLagerhaus“ge-
sprochen, in dem Ausrüstung aus dem ge-
heimen iranischen Atomwaffenprogramm
eingelagert worden sei. Iran ist unabhän-
gig von dem 2015 geschlossenen Atomab-
kommen gegenüber der IAEA verpflichtet,
alles im Land befindliche Uran und alle
Atomanlagen zu deklarieren.

Netanjahu erhob am Montag neue Vor-
würfe. Er zeigte Satellitenbilder einer Ein-
richtung nahe dem iranischen Ort Abadeh,
der etwa auf halbem Weg zwischen den
StädtenIsfahanundSchirazliegt.Netanja-
hu beschuldigte Iran, dort Versuche zur
Entwicklung von Atomwaffen vorgenom-
menzuhaben.DieEinrichtungseiimSom-
merzerstörtworden,nachdemIranheraus-
gefunden habe, dass sie aufgeflogen sei.
Irans Außenminister Mohammad Jawad
Zarif wies die Anschuldigungen zurück
und warfNetanjahu vor, einen Krieg gegen
Iran anzetteln zu wollen.
IsraelischeAgentenwarennachDarstel-
lungderRegierungimJanuar2018inTehe-
ran in eine Lagerhalle eingebrochen und
hatten aus Tresoren dort umfangreiches
Material über das iranische Atompro-
gramm entwendet. Kurz bevor US-Präsi-
dentDonaldTrumpseineEntscheidungbe-
kannt gab, sich aus dem Atomabkommen
zurückzuziehen,machteNetanjahudiesöf-
fentlich. Eine Kopie des Materials hat Isra-
el der IAEA übergeben. Im September hat-
te er vor den UN dann Informationen zu
dem Lagerhaus enthüllt, in dem die IAEA
nunUranspurennachgewiesenhat.Netan-
jahus jüngster Auftritt wurde in Israel als
innenpolitischmotiviertesManövergewer-
tet. In der kommenden Woche gibt es Neu-
wahlen, nachdem es Netanjahu nicht ge-
lungen war, eine Koalition zu bilden.
Israel und die USA erhöhenden Druck
aufdieIAEA,denInformationen nachzuge-
hen–wennsichderVerdachterhärtet,wür-
de dies auch die Europäer unter Zugzwang
setzen,dieweiteramAtomabkommenfest-
halten. Der langjährige IAEA-Chef Yukiya
AmanowarMitteJuligestorben.SeinNach-
folger soll bis Jahresende gewählt werden.
Vier Kandidaten bewerben sich um das
Amt und müssen unter den 35 im Gouver-
neursratvertretenenStaateneineZweidrit-
telmehrheit erhalten. Neben Feruta, der
von Rumänien nominiert wurde, bewer-
ben sich der argentinische Diplomat Rafa-
el Mariano Grossi, der Leiter der Organisa-
tion des Atomteststopp-Vertrages, Lassina
Zerbo aus Burkina Faso, und die Slowakin
Marta Žiaková. paul-anton krüger

Fliegende Flamingos


über Westminster


Auf Tumulte im britischen Parlament folgen Vorbereitungen
für die nächste Brexit-Schlacht – und den Wahlkampf

„Es ist meine Aufga-
be, eine Außenpolitik
zu betreiben, die zur
Erhaltung des Frie-
dens beiträgt“: Ann
Linde ist nach einer
Kabinettsumbildung
nun Schwedens neue
Außenministerin.
FOTO: REUTERS

Feministische Außenpolitik


Schwedens neue Chefdiplomatin folgt Ideen der Vorgängerin


Korruption und Kahlschlag


Illegale Fällungen bedrohen Rumäniens Urwälder, die zu den größten in der EU zählen


Der Spion hinter


Putins Schreibtisch


Israelische Agenten haben
das Material in Iran entwendet

Am Anfang der vorerst letzten Parlamentssitzung gab es höflichen Applaus, zu fortgeschrittener Stunde hätte es nur noch
gefehlt, dass eine Prügelei ausbricht. Spätestens um 1.40 Uhr lagen die Nerven blank. FOTO: JESSICA TAYLOR/SHUTTERSTOCK

DEFGH Nr. 210, Mittwoch, 11. September 2019 (^) POLITIK 7
Europäische Holzfirmen drängten
auf den Markt – und zahlten teils
hohe Schmiergelder

Wo einst Bären wohnten, finden sich mehr und mehr Schneisen in den Wäldern: Der
Hunger der Holzindustrie setzt Rumäniens Urwäldern zu. FOTO: KATHRIN LAUER/DPA
Manche Ausschüsse tagen nun
informell weiter – und wollen
sogar den Premier befragen
Uran in der
Teppichreinigung

Israels Geheimdienst bringt Irans
Regime in Erklärungsnot
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