Freitag, 20. September 2019 FORSCHUNG UND TECHNIK65
Hilft ein altes Medikament gegen Parkinson?
Gegen Hirnkrankheiten wie Parkinson kann die Medizin noch wenig ausrich ten. Nun machen Ärzte eine interessante
Beobachtun g: Männer, die ein bestimmtes Prostat amittel einnehmen, erkranken selt ener an der Schüttellähmung.
NICOLAVON LUTTEROTTI
1817 ers tmals beschrieben, lässt sich die
Parkinsonkrankheit bis heute nur unzu-
reichend behandeln. Einige ihrerFol-
gen,etwa das Zittern und die Steifigkeit,
können die Ärzte zwar lindern. Gegen
den schleichendenVerlust der Nerven-
zellen sind sie jedoch machtlos. Vor die-
sem Hintergrund stellen die Erkennt-
niss e einerForschergruppe um Mark
Welsh von der University of Iowa,USA,
und Lei Liuvon der University of Bei-
jing, China, einen Hoffnungsschimmer
dar.^1 Wie sie nahelegen,könnten für an-
dere Zwecke zugelassene Medikamente
in derLage sein, denFortgang des auch
Schüttellähmung genannten Leidens
aufzuhalten. DieRede ist vonTerazosin
und damitverwandtenWirkstoffen,die
zur Linderung der Beschwerden bei gut-
artigerProstatavergrösserung verschrie-
ben werden.
Ursprünglich an anderenFragestel-
lung en interessiert, hatten dieWissen-
schafter beobachtet, dassTerazosin in-
direkt – indem es ein zuckerspaltendes
Enzym namens PGK1 aufTrab bringt –
die Produktion des zellulärenTreibstoffs
ATP ankurbelt und den Zellen damit
einen Energieschub verleiht.«Da die
Nervenzellen vonParkinsonpatienten
einen grossen Energiemangel aufwei-
sen, kam uns der Gedanke, dass Terazo-
sin hier Abhilfe schaffenkönnte», sagt
ein Mitarbeiter vonWelsh auf Anfrage.
In einem ersten Schritt schauten die
Forscher, was das Mittel im Gehirn von
Mäusen undRatten mit parkinsonarti-
ger Krankheit bewirkt.Wie sie feststell-
ten, nahm die schleppendeATP-Pro-
duktion im Gehirn der Nager daraufhin
merklichFahrt auf – unabhängig davon,
ob ihr Parkinson genetischeWurzeln
hatte oder auf Umweltgifte zurückging.
Damit verbunden kam es bei denTie-
ren zu einerVerringerung der motori-
schen Störungen.Besonders ausgeprägt
war der therapeutische Effekt vonTe-
razosin,wenn das Mittel bereits vor
Ausbruch der Erkrankung verabreicht
wurde.Aber auch danach zeigte es noch
heilsameWirkungen.
Von dieser Beobachtung ermutigt,
wandten sich dieForscher dem Men-
schen zu.Dabei gingen sie erst der
Frage nach, obTerazosin und zweienge
Verwandte (Doxazosin und Alfuzosin)
das Parkinsonrisiko möglicherweise
verringern.Dazu verfolgten sie das
gesundheitliche Schicksal von74 000
Männern, die einen der dreiWirk-
stoffe zur Linderung ihrer Prostatabe-
schwerden eingenommen hatten.Das
Ergebnis: Im Verlauf von durchschnitt-
lich sechs Monaten erkrankten in die-
sem Kollektiv wenigerPersonen (0,15
Prozent) anParkinson als in einer ver-
gleichbar grossen Gruppe von Män-
nern (0,25 Prozent), deren Prostatalei-
den mit einem anderen Mittel (Tamsu-
losin) behandelt worden war.
In weiterenAnalysen prüften dieFor-
scher die Annahme, dass Terazosin und
dessenVerwandte dasFortschreiten des
neurodegenerativen Leidens verlangsa-
men.Ein Blick in die Krankenakten von
18 000 Männern, die sowohl einePar-
kinsonkrankheitals aucheine Prostata-
vergrösserung hatten,lieferte tatsächlich
ein solches Signal. Denn wiesich zeigte,
nahmen die motorischen Defizite und
weitereSymptome, darunter auch die
kognitiven Einbussen, bei den mitTera-
zosin, Doxazosin und Alfuzosin behan-
delten Männer wenigerrasch zu als bei
jenen, dieTamsulosin erhalten hatten.
In einer weiteren Studie willWelsh nun
prüfen, ob sich die Beobachtungen be-
stätigen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass
schon bald schlagkräftigeWaffen gegen
Parkinson zurVerfügung stehen.
(^1) Journal ofClinical Investigation,Online-Publi-
kationvom 16 .September 20 19.
Ausharren im dunklen arktischen Winter
Mit dem deutschen Forschungsschiff «Polarstern» brechen Wissensch after in die Arktis auf, um das Klima
und den Klimawandel zu erkunden. Eine so grosse Expedition dorthin wie Mosaic gab es noch nie. VON SVEN TITZ
Der deutsche Forschungseisbrecher
«Polarstern» bahnt sichab diesemFrei-
tag vonTromsö seinenWeg nach Nor-
den ins Meereis. Dort angekommen,
wollen sich dieWissenschafter an eine
grosse Eisscholle geheftet durchdie
zentrale Arktis treiben lassen. Der-
weil ist eineVielzahl vonMessungen
und Experimentengeplant – auf dem
Schiff und in der Umgebung, zum Bei-
spiel mithilfe eines Netzesaus Mess-
stationen auf demPackeis. Zum Instru-
mentarium der Mosaic-Forscher zählen
auch Messbojen, autonomeTauchrobo-
ter, Ballone und dreiForschungsflug-
zeuge.Versorgt werden dieFachleute
mit vier weiteren Eisbrechern, Heliko-
ptern und kleinenFlugzeugen. Mosaic,
der Name der Expedition, steht für
«Multidisciplinary drifting Observa-
tory for the Study of Arctic Climate».
Ein internationalesKonsortium um das
Alfred-Wegener-Institut fürPolar- und
Meeresforschung in Bremerhaven gibt
dafür über 140 MillionenEuro aus.
Rund 600Fachleute werden in jeweils
zwei Monate langen Schichten auf der
«Polarstern» arbeiten; 300 weitere wer-
den im Hintergrund tätig sein,damit
alles glatt läuft.Das Ende der Expe-
dition istfür den Oktober 2020 vor-
gesehen.
Das Meereisvermessen
Reza Naderpour vom Forschungs-
institutWSL in Birmensdorf wird im
Januar auf die «Polarstern» gebracht.
Er soll in einemTeam das Meereis ver-
messen – mit Instrumenten, die in ähn-
licherForm auch auf Satelliten instal-
liert sind, einemRadargerät zum Bei-
spiel.Durch denVergleich der Messun-
gen in der Arktis mit jenen aus dem All
will Naderpour dazu beitragen, dass die
Auswertung der Satellitenmessungen
genauer wird. ImWinter habe man bis
anhin vor allem Bojenmessungen aus
der Arktis gehabt, sagt er.Direkt eBe-
obachtungen lieferten allerdings weit-
aus detailliertere Informationen über
die Eigenschaften des Meereises.
Naderpourkennt die harschen Be-
dingungen, die ihn erwarten. Er war
schon zweimal auf Grönland. BeiTem-
peraturen von bis unter minus 50 Grad
Celsius im dunklen arktischenWin-
ter stundenlang mehrere Messinstru-
mente gleichzeitig zu betreuen,sei eine
Herausforderung, erklärt derForscher.
Immerhin kann er sich auf dieWieder-
kehr des Sonnenlichts im März freuen.
Bei derArbeit auf dem Eis gilt es, die
tierischen Risiken derArktis nie aus den
Augen zu lassen.Jedes Mal, wenn sich
dieWissenschafter zu ihren Geräten be-
geben,fungiert einTeammitglied als Eis-
bärenwache. Sobald einBär in dem Ge-
biet entdeckt wird, müssen dieForscher
die Gefahrenzone verlassen.
Auch Julia Schmale vomPaul-Scher-
rer-Institut inVilligen wird ihreArbeit
auf der «Polarstern» in derDunkelheit
beginnen – imFebruar. Sie willAero-
solpartikel messen und analysieren, und
zwar mikroskopisch kleineKondensa-
tionskerne fürWolken sowie derenVor-
läufersubstanzen. Zu den natürlichen
Quellen für arktischeAerosole zäh-
len Meersalz, Algen undVulkanaus-
brüche. Doch mit demWind gelangen
auch menschengemachtePartikel in den
hohen Norden, zum Beispiel Sulfat- und
Russteilchen.
Partikel inderWolkenkammer
Schmaleund ihreKollegen wollenklä-
ren, welcheAerosolpartikel es in der
Arktis imLaufe desJahres gibt und wo-
her siekommen.Dazu wollen sie die
Teilchen nicht nur einfangen und zäh-
len, sondern zum Beispiel auch mit
einem Massenspektrometer analysie-
ren. Mithilfe einer 50 Zentimeter lan-
genWolkenkammer möchten sie ausser-
dem testen, ob diePartikel alsKonden-
sationskeime fürWolken taugen.
Schmale ist seit 2013 an der Planung
von Mosaic beteiligt.«Wir haben von
Grund auf nach Schnittstellen zwischen
den verschiedenenForschungsprojek-
ten gesucht», erklärtsie. Zum Beispiel
würde sie gerne wissen,welche Umwelt-
faktoren die Algen dazu veranlassen,
die Vorläufersubstanzen für dieAero-
solpartikel freizusetzen. Darum arbei-
tet sie auch mit Mikrobiologen auf dem
Schiff zusammen.
Es handle sich um eine sehr inten-
siveArbeit, sagt Schmale. ProTag wird
sie in alleinigerVerantwortung rund 200
Punkte auf einer Checkliste abarbeiten
müssen.Siekennt das aber von früheren
Expeditionen.VorknappdreiJahrenwar
sie bei einer Umrundungder Antarktis
dabei.Damals waren dieForscher aller-
dings im Sommerlichtunterwegs.
DerForschungseisbrecher «Polarstern» wirdbis Oktober 2020inder Arktis unterwegs sein.DasBild zeigt das Schiffauf der Arktis-Expedition imJahr 2015. MARIO HOPPMANN
600 Fachleute
werden in jeweils zwei
Mona te langen Schichten
auf der «Polarstern»
arbe iten und 300
weitere im Hintergrund,
damit alle s glatt läuft.