Die Welt Kompakt - 18.09.2019

(vip2019) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER


sammen, die knapp ein Drittel
ihrer Arbeitszeit im Homeof-
fice verbringen und den Rest im
Betrieb. Insgesamt wird das Ar-
beiten außerhalb des Unterneh-
mens von einem großen Teil
der Befragten als sehr gut oder
gut bewertet: Nahezu drei Vier-
tel der zeitweise im Homeoffice
Tätigen können zu Hause kon-
zentrierter arbeiten, und mehr
als zwei Drittel gaben an, dort
mehr Arbeit bewältigen zu kön-
nen als im Betrieb.
Arbeitnehmer, die zu Hause
oder von unterwegs arbeiten,
verfügen der Befragung zufolge
zudem über deutlich größere
Entscheidungsspielräume und
Autonomie bei der Frage, wie
sie ihren Arbeitstag gestalten.
Doch das ist „ein zweischneidi-
ges Schwert“, wie es Andrea

Hammermann beschreibt, Se-
nior Economist für Arbeitsbe-
dingungen und Personalpolitik
am IW Köln.
In einer digitalisierten Ar-
beitsweltübernehme der Be-
schäftigte zunehmend Aufga-
ben, für die früher der Arbeit-
geber zuständig war. Er muss
priorisieren, sich selbst organi-
sieren – und den Überblick
über seine Arbeitszeit behal-
ten. „Da ist keiner mehr, der
mir sagt: Du hast jetzt Feier-
abend“, sagt Hilmar Schneider,
Leiter des Bonner Forschungs-
instituts zur Zukunft der Ar-
beit (IZA). „Und da kann es
durchaus passieren, dass man
den Absprung verpasst.“
In der WIdO-Studie gaben
mehr als 38 Prozent der Tele-
Arbeiter an, Schwierigkeiten zu

haben, nach der Arbeit abzu-
schalten. Für Inhouse-Beschäf-
tigte trifft das nur zu rund 25
Prozent zu.
Mehr als 42 Prozent der Be-
schäftigten, die zeitweise im
Homeoffice arbeiten, denken
auch außerhalb der Arbeitszeit
an berufliche Probleme und
Aufgaben, während der Wert
bei Arbeitnehmern, die aus-
schließlich am Standort des
Unternehmens tätig sind, nur
bei knapp 24 Prozent liegt. Die
WIdO-Studie spricht vor die-
sem Hintergrund von einer
„Erosion des heimischen priva-
ten Schutzraums“. Und das
liegt nicht nur daran, dass die
Beschäftigten Schwierigkeiten
haben, selbst eine Grenze zwi-
schen sich und ihrer Arbeit zu
ziehen. Auch Arbeitgeber be-
trachten diese Grenze offenbar
durchaus als dehnfähig. So hat
ein Drittel der Befragten eine
Absprache zur Erreichbarkeit
mit dem Unternehmen getrof-
fen oder zumindest das Gefühl,
in der Freizeit erreichbar sein
zu müssen. Bei Tele-Arbeiten-
den liegt der Anteil sogar bei
mehr als 44 Prozent.
Diese Gruppe ist auch dieje-
nige, bei der die Grenze zwi-
schen Berufs- und Privatleben
am stärksten verschwimmt: So
berichtet mehr als jeder Zehnte
davon, seine Arbeit wegen pri-
vater Anforderungen unterbro-
chen zu haben.
Das kann familienpolitisch
durchaus erwünscht sein, etwa
wenn man seine Kinder früher
von der Kita abholen muss –
oder einen Einkauf für die pfle-
gebedürftige Oma dazwischen-
schieben kann. Auf der anderen
Seite musste jeder siebte Tele-
Arbeitende in den letzten vier
Wochen private Pläne aufgrund
beruflicher Verpflichtungen än-
dern, während Inhouse-Arbei-
tende das eher selten erleben
(knapp sechs Prozent).
Für viele Arbeitnehmer sind
genau diese Familie-Beruf-
Konflikte der Grund, warum
sie gerade nicht zu Hause ar-
beiten wollen, wie aus einer
Untersuchung des IW Köln
hervorgeht. Knapp zwei Drittel
der Beschäftigten, die nicht im
Homeoffice arbeiten, geben als
Grund an, sie wünschten sich
die Trennung von Beruflichem
und Privatem.
Wie der WIdO-Report er-
gab, hat zudem jeder dritte
Beschäftigte, der regelmäßig
im Homeoffice tätig ist, in den
letzten Wochen häufig Arbeit
auf die Abendstunden oder
das Wochenende gelegt. Sol-
che atypischen Arbeitszeiten
seien inzwischen „nicht mehr
die Ausnahme, sondern die
Regel“, sagt Helmut Schröder,
stellvertretender Geschäfts-
ffführer des WIdO und Mithe-ührer des WIdO und Mithe-
rausgeber des Fehlzeitenre-
ports, in dessen Rahmen die
Studie erschienen ist.
Arbeiten spätabends oder am
Wochenende, das Fehlen eines
geschlossenen Rückzugsrau-
mes und das ständige Abwägen
beruflicher und privater Ver-

pflichtungen: All das kann lang-
fristig gesundheitliche Folgen
haben, wie die WIdO-Experten
in ihrer Studie herausgefunden
haben. Fast drei Viertel der Te-
le-Arbeitenden berichten über
Erschöpfung (73,4 Prozent),
und mehr als zwei Drittel (67,
Prozent) klagen über Nervosi-
tät und Reizbarkeit. Die Werte
der Inhouse-Arbeitnehmer lie-
gen mit 66 und 52,7 Prozent
deutlich darunter.
Dass die Ausschläge über alle
untersuchten Beeinträchtigun-
gen hinweg bei den Tele-Arbei-
tern stärker ausfielen als bei
den Inhouse-Beschäftigten
nannte WIdO-Experte Schrö-
der „überraschend“. Er forder-
te Unternehmen und Füh-
rungskräfte dazu auf, „wach-
sam zu sein, damit die Beschäf-
tigten nicht unter die Räder
kommen“.
Um zu verhindern, dass die
Gesundheit unter den neuen
Möglichkeiten der Digitalisie-
rung leidet, empfehlen die WI-
dO-Experten in ihrer Studie,
mobil tätige Mitarbeiter zu be-
fähigen, sich selbst besser zu
managen.
Die Fähigkeit zur Ab- und Be-
grenzung müssten viele Arbeit-
nehmer nämlich erst erlernen.
„Betriebliches Gesundheitsma-
nagement endet derzeit oft
noch an den Werkstoren“, sagt
Schröder. Es müsse an die digi-
talisierte Arbeitswelt angepasst
werden. Er nannte Onlinekur-
se, aber auch ein tägliches Tele-
fonat mit der Führungskraft als
Beispiele.
Auch IW-Ökonomin Ham-
mermann ist der Meinung, dass
Entscheidern hier eine Vorbild-
funktion zukommt. „Nicht je-
der will mobil arbeiten – und
nicht jeder kann das“, sagt sie.
„Gute Führung ist gefragt, um
beispielsweise Fragen der Er-
reichbarkeit zu klären und
Spielregeln zu etablieren.“
Staatliche Eingriffe hält Ham-
mermann dagegen nicht für
sinnvoll, da gesetzliche Rege-
lungen die Flexibilität einer
modernen Arbeitswelt nur un-
zureichend abbilden könnten.
„Strikte Vorgaben, wie etwa
E-Mails am Wochenende oder
nach Feierabend zu verbieten,
gehen an der Realität völlig vor-
bei“, sagt auch IZA-Chef
Schneider. Viel besser sei es,
Mitarbeitern auf der einen Sei-
te die nötigen Kompetenzen für
mobiles Arbeiten zu vermitteln


  • und auf der anderen Seite ein
    betriebliches Gesundheitsmo-
    nitoring einzuführen, um etwa
    Risiken wie Burn-out rechtzei-
    tig zu erkennen.
    Nur ein Unternehmen, das
    sich auf die Bedürfnisse mobil
    arbeitender Beschäftigter ein-
    stellt, schreiben auch die WI-
    dO-Experten in ihrer Studie,
    könne „hoch qualifizierte,
    selbstständig arbeitende, zu-
    friedene und gesunde Mitarbei-
    ter dauerhaft an sich binden“.
    Und in Zeiten des Fachkräfte-
    mangels kann genau das am En-
    de der ganz entscheidende
    Punkt sein.


Homeoffice


hat nicht nur


Vorteile


Die Arbeitnehmer sind flexibel, aber


auch ständig erreichbar. Das birgt


große Risiken für die Gesundheit


Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)

Wenn flexibles Arbeiten die Gesundheit beeinträchtigt
„...unter diesen Beschwerden haben gelitten“
Mehrfachnennungen, Auswahl, in Prozent
Gesamt Inhouse Mobil Tele Flex

Tele: Beschäftigte, die den überwiegenden Teil ihrer außerbetrieblichen
Arbeitszeit zu Hause arbeiten
Flex: räumlich flexible Beschäftigte, die außerbetrieblich nicht ausschließlich
im Homeoffice arbeiten, sondern bei Kunden und/oder unterwegs

Mobil: Beschäftigte, die einen Teil ihrer Arbeitszeit außerhalb des Betriebes
tätig sind (entweder Flex oder Tele)

Inhouse: Beschäftigte, die 100 Prozent ihrer Arbeitszeit im Unternehmen
verbringen

Erschöpfung , ��,� ��,� ��,� ��,�
Wut und Verärgerung , ��,� ��,� ��,� ��,�
Nervosität und
Reizbarkeit , ��,� ��,� ��,� ��,�
Schlafstörung , ��,� ��,� ��,� ��,�
Zweifel an den
eigenen Fähigkeiten , ��,� ��,� ��,� ��,�

Wer im Homeoffice arbeitet, schaltet schlechter ab
in Prozent

Quelle: AOK-Report ����

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Gesamt Inhouse Mobil Tele Flex

Tele: Beschäftigte, die den überwiegenden Teil ihrer außerbetrieblichen
Arbeitszeit zu Hause arbeiten
Flex: räumlich flexible Beschäftigte, die außerbetrieblich nicht ausschließlich
im Homeoffice arbeiten, sondern bei Kunden und/oder unterwegs

Mobil: Beschäftigte, die einen Teil ihrer Arbeitszeit außerhalb des Betriebes
tätig sind (entweder Flex oder Tele)

Inhouse: Beschäftigte, die 100 Prozent ihrer Arbeitszeit im Unternehmen
verbringen

Selbst im Urlaub
muss ich manchmal
an Probleme bei der
Arbeit denken

Ich muss auch außer-
halb der Arbeitszeit
an Schwierigkeiten
bei der Arbeit denken

Es fällt mir schwer,
nach der Arbeit
abzuschalten

E

s ist noch gar nicht so
lange her, da waren
die beiden großen Be-
reiche des Lebens für
die meisten Erwerbstätigen
klar getrennt: Auf der einen Sei-
te die Arbeit, auf der anderen
Freizeit und Familie. Wer nach-
mittags das Büro, die Praxis,
den Handwerksbetrieb verließ,
zog nicht nur eine Tür hinter
sich zu – sondern auch eine
Grenze zwischen Beruf und Pri-
vatleben.


VON CAROLINE TURZER

Doch als Steve Jobs im Janu-
ar des Jahres 2007 das erste
iPhonevorstellte, läutete er ei-
nen tief greifenden Wandel un-
serer Art, zu kommunizieren
und zu arbeiten, ein. In Zeiten
von Smartphones und anderen
digitalen Arbeitsgeräten sind
viele Beschäftigte ständig er-
reichbar und flexibel.
Das hat viele Vorteile, gerade
wenn man Kinder oder kranke
Angehörige hat, um die man
sich nebenher kümmern muss,
birgt aber auch eine große Ge-
fahr. Die nämlich, dass sich das
Arbeitsleben derart in den pri-
vaten Raum ausdehnt, dass Ar-
beitnehmer irgendwann nicht
mehr abschalten können – und
das Zuhause seine Funktion als
Rückzugsort verliert.
In einer repräsentativen
Umfrage hat das Wissenschaft-
liche Institut der AOK (WIdO)
untersucht, wie sich flexible
Arbeitszeiten und -orte auf die
Gesundheit und das Wohlbe-
finden von Beschäftigten aus-
wirken.
Die Ergebnisse legen eine
zunehmende Entgrenzung von
Arbeits- und Privatleben durch
die neuen Möglichkeiten der
Kommunikation nahe: So ga-
ben mehr als 41 Prozent der Er-
werbstätigen an, in den ver-
gangenen vier Wochen außer-
halb ihrer Arbeitszeit von ih-
rem Arbeitgeber kontaktiert
worden zu sein. Bei einer Be-
fragung im Jahr 2011 hatte der
Wert noch bei 34 Prozent gele-
gen. Und während vor acht
Jahren noch rund 15 Prozent
der Beschäftigten (sehr) häufig
wechselnde Arbeitsorte hatte,
waren es in diesem Jahr bereits
fast 19 Prozent.
Zwar werden immer noch
knapp 80 Prozent aller geleiste-
ten Arbeitsstunden nach Anga-
ben der Befragten im Unter-
nehmen erbracht. Der Homeof-
fice-Anteillag in der Studie bei
fast sieben Prozent, der Rest
entfiel auf Arbeitszeit bei Kun-
den oder Partnern sowie unter-
wegs. Wer von zu Hause aus ar-
beitet, ist aber deutlich länger
im Dienst als diejenigen, die im
Betrieb tätig sind: Die von den
Beschäftigten als tatsächlich
geleistet angegebene Arbeits-
zeit lag bei den sogenannten
Tele-Arbeitern bei durch-
schnittlich 40,8 Stunden pro
Woche, bei den Inhouse-Arbei-
tenden bei 35 Stunden.
Unter „Tele-Arbeiter“ fasst
die Studie Arbeitnehmer zu-

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