Die Welt Kompakt - 18.09.2019

(vip2019) #1

18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER


U

m Punkt zehn Uhr
tritt Sudans gestürz-
ter Diktator Omar al-
Baschir in den Käfig,
in dem er derzeit im Wochen-
takt vorgeführt wird. Etwa drei
Meter ist die Metallkonstrukti-
on lang, einen guten Meter
breit. Es bleibt kaum mehr
Platz als für den Bürostuhl in
der Mitte und die drei unifor-
mierten Soldaten, die den 75-
Jährigen im traditionellen wei-
ßen Gewand in den beengten
Raum führen.


VON CHRISTIAN PUTSCH
AUS KHARTUM

Davor, auf den Zuschauerrän-
gen des Gerichts in der Haupt-
stadt Khartum, erheben sich
seine Anhänger. Sie haben etwa
die Hälfte der 128 Stühle be-
setzt. „Allahu akbar!“, rufen sie
dem Mann entgegen, der drei
Jahrzehnte lang einen funda-
mentalistischen Islam im Land
durchsetzte, „Gott ist groß!“ Ei-
nige Minuten zuvor ist einer
seiner zahlreichen Anwälte von
Reihe zu Reihe gegangen und
hat diese Begrüßung angeord-
net. Frauen werfen Baschir
Handküsse zu, der freundlich
durch die Drahtmaschen lächelt
und zurückwinkt, während TV-
Kameras alles live übertragen.
Die Botschaft dieser Inszenie-
rung lautet: Seht her, sie lieben
ihn. Sogar im Käfig.
Für die große Mehrheit der
40 Millionen Sudaner könnte
nichts ferner von der Wahrheit
sein. Knapp drei Jahrzehnte un-
terdrückte Baschir jeden Wi-
derstand mit Militär, Polizei
und Milizen, die er sich mit 70
Prozent des Staatsbudgets ge-
wogen hielt. Er sicherte seine
Macht durch Wahlmanipulati-
on, willkürliche Verhaftungen
und Folter. Trotz alldem stürz-
te ihn die Armee im April nach
monatelangen Protesten der
Bevölkerung. Ein neuer Militär-
herrscher werde die Lage beru-
higen, hofften die Offiziere.
Doch das funktionierte nicht:
Millionen Bürger gingen weiter
täglich auf die Straße, versperr-
ten die Zufahrtswege zum Ar-
mee-Hauptquartier und ließen
sich auch durch ein Massaker
mit mehr als 100 Toten, das re-
gierungsnahe Kämpfer verüb-
ten, nicht von ihrem Ziel ab-
bringen – der Demokratie.
Seit einigen Wochen hat das
Land tatsächlich Hoffnung, die-
ses Ziel zu erreichen. Zivilisten
und Militär einigten sich auf die
Bildung des gemeinsamen Sou-
veränen Rates, der während ei-
ner gut dreijährigen Übergangs-
zeit das Land regieren und
Wahlen vorbereiten soll. Die
Anführer der Proteste, der Ge-
werkschaftsdachverband Suda-
nese Professionals Association
(SPA), einigten sich zudem mit
dem neuen Premierminister
Abdalla Hamdok auf Minister,
die bis dahin das wirtschaftlich
und politisch marode Land sta-
bilisieren sollen. Es spricht für
die Besonnenheit und Autorität
der SPA, dass sie die unzähligen


Befürworter der Revolution er-
folgreich dazu aufrief, dem Pro-
zess gegen Baschir fernzublei-
ben, um Auseinandersetzungen
mit dessen Anhängern zu ver-
meiden. Bloß keine Gewalt in
dieser sensiblen Phase.
Die schlimmsten Traumata
des Sudan – Baschirs Kriegsver-
brechen, die landesweite Ge-
walt gegen die Demonstranten
in seinen letzten Monaten an
der Macht – werden in diesem
Prozess nicht aufgearbeitet. Zu
frisch ist der Frieden, zu
schwach die Institutionen, zu
schnell könnte es zu Unruhen
kommen, sagen die einen. Eine
Show der alten korrupten Jus-
tiz, die mit der Organisation
des Prozesses beauftragt ist, sa-
gen kritischere Geister, schließ-
lich hat al-Baschir die meisten
Richter berufen – allein im ver-
gangenen Jahr waren es Hun-
derte. In den vergangenen Ta-
gen hatten wieder Tausende für
die seit Wochen ausstehende
Berufung eines unabhängigen
Justizchefs demonstriert.
Der Prozess könnte sich in
die Länge ziehen, in der Hoff-
nung, dass sich vor einem Ur-
teil die Lage im Land weiter be-
ruhigt hat. Im Sudan bezwei-
fffeln viele Menschen, dass dereln viele Menschen, dass der
Diktator wegen seiner Verant-
wortung für die 300.000 Toten

in Darfur jemals an den Inter-
nationalen Strafgerichtshof in
Den Haag ausgeliefert wird, der
2 009 erstmals einen interna-
tionalen Haftbefehl gegen ei-
nen amtierenden Präsidenten
erließ. Zu stolz ist das Land, zu
kritisch nach wie vor dem Wes-
ten gegenüber, mit dem das
WWWeltgericht assoziiert wird.eltgericht assoziiert wird.
Nein, es geht vorerst „nur“ um
umgerechnet knapp acht Mil-
lionen Euro, die bei seinem
Sturz im April in Euro, Dollar
und sudanesischen Pfund in
seiner Residenz gefunden wur-
den. Illegaler Besitz und An-
nahme von Fremdwährungen
sowie Korruption lautet die An-
klage. Im Vergleich zu seinen
anderen Verbrechen sind das
Lappalien, aber als Baschir
selbst noch herrschte, wurden
Sudanesen für solche Delikte
hingerichtet. Die Bilder des
Diktators im Käfig sollen vor
allem der Bevölkerung signali-
sieren, dass die alte Elite zur
Rechenschaft gezogen wird.
Viele hatten vor dem Prozess
nicht geglaubt, dass Baschir
überhaupt in Haft ist, nach sei-
nem Sturz war er monatelang
nicht gesehen worden. Er wird
Armeeangaben zufolge im Ko-
ber-Hochsicherheitsgefängnis
fffestgehalten – an jenem Ort, anestgehalten – an jenem Ort, an
dem das Regime jahrzehnte-

lang seine Kritiker eingesperrt
und gefoltert hatte.
Der Prozess bietet unglaubli-
che Einblicke, wie Baschirs Dik-
tatur funktionierte. Zeugen sei-
ner ehemaligen Administration
schilderten, wie es im Januar
2 018 ein persönliches Geldge-
schenk des saudischen Kron-
prinzen Mohammed Bin Salman
in Höhe von 22 Millionen Euro
gab. Sudanesische Soldaten be-
kämpfen im Jemen für Saudi-
Arabien die Huthi-Rebellen. Da-
gegen gab es im Sudan, wo die
Wirtschaftskrise immer schlim-
mer wurde, zunehmenden Wi-
derstand. In den Zeugenstand
tritt Hatim Hassan Bakhit, Ba-
schirs ehemaliger Bürochef. „Ich
bekam einen Anruf vom Sonder-
berater des Kronprinzen“, sagt
er, „wir haben eine besondere
Botschaft für den Präsidenten,
hieß es. Drei Männer kommen in
einigen Tagen.“ Auf dem Flugha-
fffen von Khartum hätten sieen von Khartum hätten sie
dann in Säcken die Banknoten
üüübergeben. „Ich musste den Er-bergeben. „Ich musste den Er-
halt unterzeichnen“, sagt Bak-
hit, „dann habe ich das Geld
zum Präsidenten gebracht.“
Al-Baschir sitzt in seinem
Käfig, wie immer bei den bis-
lang fünf Anhörungen schwei-
gend, betont gelassen, ein Lä-
cheln hier, ein Lächeln da. Seine
Anwälte betonen seine Un-
schuld, er habe sich nicht per-
sönlich bereichert, das Geld sei
zum Beispiel für Getreide und
Benzin ausgegeben worden.
Und es könne nicht sein, dass
die drei Bewacher im Käfig nur
den Rang eines Leutnants hät-
ten. Ihrem Mandanten gebühr-
ten hochrangigere Wachmän-
ner. Und die Freilassung auf
Kaution. Die Anträge wurden
schon vor Wochen abgelehnt.
Am Ende seiner Aussage winkt
Bakhit in Richtung Baschir, der
winkt zurück. Offenbar besteht

weiterhin eine gegenseitige
Loyalität, obwohl der eine ge-
gen den anderen ausgesagt hat.
Einige Monate nach der
Geldübergabe hatte der Des-
pot den Bürochef gefeuert, als
er in flagranti mit zwei Frauen
und 100.000 Dollar im Gepäck
erwischt wurde. Die damals für
ein derartiges Vergehen übli-
che Auspeitschung blieb ihm
erspart, stattdessen bekam der
loyale Wegbegleiter schnell ei-
nen Kulturposten mit dem
gleichen Gehalt wie ein Minis-
ter. Nach der Revolution im
April wurde er in den Ruhe-
stand versetzt.
Brisant ist die Verwendung
derartiger Geldgeschenke. So
sagte Tarig Yagub Ahmed, da-
mals Chef der einst von Russ-
land und vom Iran mit aufge-
bauten Waffenfirmen des Su-
dan, er habe 1,2 Millionen Euro
von Baschir bekommen. Verse-
hen mit dem Auftrag, Waffen
„für ein Nachbarland“ bereitzu-
stellen. Welches Land das sei,
will einer der Anwälte wissen?
„Das werde ich nicht sagen“,
antwortet Ahmed. Es wird ge-
munkelt, es handele sich um die
Zentralafrikanische Republik,
wo nach dem Bürgerkrieg der
Jahre 2013 und 2014 weiterhin
große Instabilität herrscht. Ba-
schir hat die Gelder ohne Zu-
stimmung des Parlaments be-
willigt – auch dafür könnte er
nun angeklagt werden.
Seine größte Sorge aber galt
dem Militär, das er auf seiner
Seite halten musste. Sadig Is-
mail, einst Büroleiter des Ver-
teidigungsministers, berichtet,
er habe 4,25 Millionen Euro in
bar erhalten, „als Spende“ für
die Armee. Auf ein Nachzählen
hat er zur Überraschung des
Richters verzichtet: „Ich ver-
traue meinen Leuten.“ Das
Geld sei „als Teil von Militärin-
vestitionen“ in den Bau eines
Krankenhauses geflossen. Es
gehört einigen der engsten Ver-
trauten des ehemaligen Dikta-
tors. In den Bilanzen des Fi-
nanzministeriums sei davon
nichts zu finden, räumt er ein.
Der Richter entlässt ihn aus
dem Zeugenstand.
Inzwischen leitet Ahmed das
Büro von General Abdel Fattah
al-Burhan, Vorsitzender des
Souveränen Rats, des höchsten
Organs der Übergangsregie-
rung. Und man fragt sich, wie
ein solcher Akteur einen hoch-
rangigen Posten beim Aufbau ei-
nes „neuen Sudan“ haben kann.
Den Demonstranten ist das be-
wwwusst, die Hälfte der Macht imusst, die Hälfte der Macht im
Rat liegt schließlich weiter beim
Militär. Und so können die vie-
len Reformkräfte längst nicht
jede Besetzung in der Adminis-
tration allein bestimmen. Es
bleibt ein Vabanquespiel. Der
WWWeg zur Demokratie ist trotzeg zur Demokratie ist trotz
der erstaunlichen Beharrlich-
keit der Bevölkerung wahrlich
kein Selbstläufer. Nach vier
Stunden Anhörung verabschie-
det sich Baschir winkend von
seinen Anhängern. Reue, das
wird an diesem Tag klar, ist von
ihm nicht zu erwarten.

Im Sicherheitskäfig: der ehemalige sudanesische Machthaber Omar al-Baschir (M.)
in traditionellem weißen Gewand bei seinem Prozess in Khartum

CHRISTIAN PUTSCH

Im Inneren


der Diktatur


Im Sudan läuft ein Verfahren gegen


Omar al-Baschir. Es zeigt, wie er


herrschte – zum Beispiel mit Geld aus


Saudi-Arabien

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