Die Welt Kompakt - 18.09.2019

(vip2019) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER


den Bäumen verstecken. Meine
Tochter ist mit meinem Enkel-
kind sogar weggezogen, weil ihr
das zu viel wurde. Sie hat mich
gefragt: „Was soll ich denn hier
machen, mit meinem kleinen
Kind?“ Am liebsten würde ich
auch wegziehen. Doch es ist für
mich fast unmöglich, eine be-
zahlbare Wohnung in Berlin zu
finden. Deshalb werde ich wohl
hier wohnen bleiben.

I


ch bin sehr gerne und sehr oft
hier im Görli. Es gibt tolle
Spielplätze, insbesondere der
Wasserspielplatz gefällt meiner
kleinen Tochter. Um die mache
ich mir hier gar keine Sorgen. Die
Polizeipräsenz im Park ist mir
manchmal sogar etwas zu viel.
Hier ist ja jeden zweiten Tag eine
Razzia. Natürlich kann das

manchmal nervig sein, angespro-
chen zu werden, ob man Drogen
kaufen will. Das hat aber kom-
plett aufgehört, seit ich mit mei-
nem Kind unterwegs bin. Es ist
eher manchmal unangenehm,
laute Streitigkeiten zwischen den
Dealern mitzubekommen und
nicht zu wissen, um was es geht.
Aber wenn ich so viele unifor-
mierte Polizisten sehe, führt das
nicht wirklich dazu, dass ich
mich sicherer fühle. Problema-
tisch ist auch das „racial profi-
ling“ der Polizei, da wird gleich
jeder Schwarze für einen Dro-
genhändler gehalten. Wenn die
Bürgermeisterin sagt, dass sie
sich nachts nicht in den Park
traut, überrascht mich das aber
nicht wirklich. Es gibt in Berlin
mehrere Orte, an denen ich mich
nachts eher unsicher fühle. Mir
ist hier aber noch nie selbst et-

D

er Görlitzer Park, ei-
ne lang gezogene
Grünfläche mitten in
Berlin-Kreuzberg.
Hier gibt es nicht nur mehrere
Spielplätze, einen Parkteich und
einen Kinderbauernhof, sondern
seit vielen Jahren auch unzählige
Dealer und offenen Drogenhan-
del. Eine erneute Debatte hatte
zuletzt die Bezirksbürgermeiste-
rin von Friedrichshain-Kreuz-
berg, Monika Herrmann (Grüne),
ausgelöst. Im RBB-Magazin
„Kontraste“ hatte sie erklärt,
„dass keine Gruppe aus dem Park
ausgeschlossen werden soll“. In
der vergangenen Woche sagte sie
dann WELT, ihr sei es als Frau zu
gefährlich, nachts durch Berliner
Parks zu gehen.


VON FREDERIK SCHINDLER

WELT hat sich bei Anwohnern
und Besuchern umgehört, wie sie
die Situation im und um den Park
erleben. Der „Görli Parkrat“, der
„als gewähltes Gremium mit elf
Mitgliedern die Interessen der
ParknutzerInnen gegenüber Po-
litik, Verwaltung und der Öffent-
lichkeit“ vertritt, lehnte eine Ge-
sprächsanfrage ab.


V


or 28 Jahren bin ich aus Bul-
garien nach Deutschland ge-
kommen. Erst habe ich acht Jah-
re im Wedding gelebt, seit 20
Jahren lebe ich hier neben dem
Görlitzer Park. Der Park ist wirk-


lich schön, ich bin gerne und oft
hier. Doch die Situation mit den
Drogendealern stört mich sehr.
Sie müssen weg. Doch wenn die
Polizei kommt, passiert nichts –
weil die Dealer die Drogen unter


was passiert, und ich habe auch
noch nie mitbekommen, dass
hier Frauen angegriffen werden.
Ich werde also weiter gerne hier-
herkommen, vor allem zum Kin-
derbauernhof. Da gibt es einen
großen Spielraum, wir sind fast
jeden Tag hier.

I


ch habe hier in der Görlitzer
Straße 20 Jahre einen Laden be-
trieben, Gastronomie, das war ei-
ne verrückte Zeit. Seitdem ken-
nen mich alle hier, ich werde stän-
dig auf der Straße angesprochen.
Die meisten denken aber nur, sie
wwwürden mich kennen, richtig be-ürden mich kennen, richtig be-
fffreundet sind wir nicht. Seit 1980reundet sind wir nicht. Seit 1980
lebe ich hier, geboren bin ich aber

in Oranienburg. 1943, da war die
Party in Stalingrad gerade vorbei.
WWWahrscheinlich hat mich meinahrscheinlich hat mich mein
VVVater nach Hermann Göring be-ater nach Hermann Göring be-
nannt. Die waren doch alle be-
kloppt damals. Hier in Kreuzberg
ist es sehr international.
Familien mit Kindern würde
ich allerdings nicht raten, in den
Park zu gehen. Da werden ja
überall Drogen verkauft, das ist
eben der Kapitalismus. Da muss
jeder Geld verdienen, und man-
che machen das eben so. Mittler-
weile stehen die auch schon hier
in den Hausfluren. Die Politik
macht nichts dagegen, natürlich
nicht. Die haben ja ein Interesse,
die Situation aufrechtzuerhalten,
schließlich profitieren sie auch
davon. Zwar nicht direkt, aber
die Lieferanten der Dealer ma-
chen das große Geld und kaufen
auch Wohnungen hier. Viele An-
wohner hier haben Angst vor
Veränderung und wählen deshalb
reaktionäre Parteien. Die ein-
fachste Lösung wäre es, das Gras
zu legalisieren. Doch das wird
nicht passieren, das ist schließ-
lich eine Konkurrenz zum Alko-
hol. Und da verdienen schließlich
alle kräftig mit.

I


ch bin Landschaftsarchitekt und
erst vor ein paar Monaten aus
San Francisco nach Berlin gezo-
gen. Ich liebe diesen Park, gehe
hier in jeder Mittagspause mit
meinem Hund Miles spazieren.
Das ist wirklich ein großes Privileg

fffür die Berliner, diesen Park zu ha-ür die Berliner, diesen Park zu ha-
ben. Wenn hier Wohnungen drauf
gebaut werden sollten, wäre das
wirklich beschämend. Ich wüsste
wirklich gar nicht, was ich ohne
den Park mittags machen würde.
Hier kommen viele unterschiedli-
che Communitys zusammen und
nutzen den Park gemeinsam, alle
haben sehr viel Platz.

Geduldete Kriminalität: Im Görlitzer Park in


Berlin wird der offene Drogenhandel von den


Behörden toleriert. Wie geht es Anwohnern


und Besuchern mit der Dauerpräsenz


Krimineller? WELT hat sich vor Ort umgehört


Elena Freimund

Steffi W., 35

Hermann Berthy, 76

Scott Getz, 31, und sein Hund
Miles

Unser Leben


mit den


DEALERN

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