22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019
D
er Saal in der ele-
ganten Villa von der
Heydt in Berlin,
dem Dienstsitz des
Präsidenten der Stiftung Preu-
ßischer Kulturbesitz, Hermann
Parzinger, ist mit praktischem
blauen Teppich ausgelegt. Auf
solchen Teppichen hat man frü-
her Bauklötze gestapelt, aber
hier und heute geht es um die
Zukunft des Museums, ja um
das geplante Museum der Mo-
derne, das zum Schicksals-
entscheid für Berlins Museums-
landschaft geworden ist. Fünf
Männer haben geladen, kluge,
nicht mehr ganz junge Männer,
die zusammen das Berlin der
Zukunft bauen: Hermann Par-
zinger, Joachim Jäger, Leiter
der Neuen Nationalgalerie,
Jacques Herzog vom Architek-
turbüro Herzog & de Meuron,
Arno Lederer, Architekt, Vorsit-
zender des Beratergremiums
und Udo Kittelmann, Direktor
der Neuen Nationalgalerie bis
Ende 2020.
VON BORIS POFALLASie geben sich einig, wollen
erklären, warum das Museum
des 20. Jahrhunderts für Berlin
ein Segen sein wird. Obwohl
sonst um die Pläne eher gestrit-
ten wird. Nicht nur um den
Entwurf der beiden Schweizer
Architekten Herzog & de Meu-
ron, dessen Satteldach so man-
chen Kritiker an eine Scheune
oder auch an eine Aldi-Filiale
erinnerte, sondern auch um
den Preis. Der Bundestag hatte
2014 ursprünglich 200 Millio-
nen Euro bewilligt, gestern nun
hat Kulturstaatsministerin Mo-
nika Grütters den Haushalts-
ausschuss des Bundestages
über die zu erwartenden Kos-
ten informiert. Rund 450 Mil-
lionen Euro soll die Scheune
den Bund kosten. Darin sind
steigende Baukosten und soge-
nannte Risikokosten bereits
einkalkuliert, damit es bei der
Fertigstellung 2026 nicht wie-
der heißt: ist ja doch alles viel
teurer geworden als geplant.
Dass das Museum trotzdem
wunderschön und vor allem un-
verzichtbar werden wird, das
wollen diese fünf heute bewei-
sen, dafür sind sie angetreten.
Frauen sind auf dem Podium
nicht zu sehen, aber sehr wohl
präsent. „Ohne die Staatsmi-
nisterin wären wir nicht dort,
wo wir sind“, erklärt Hermann
Parzinger, und er hat recht.
Nach dem Humboldtforum
sieht alles danach aus, als kön-
ne Grütters nun auch das
nächste große Bauprojekt
durchsetzen – trotz massiver
Kostensteigerungen und Verzö-
gerungen.
Und wie sehen die Beweise
aus? Es gibt die neusten Rende-
rings zu sehen. Professor Lede-
rer aber sagt, man solle die Vi-
sualisierungen bei solchen
Wettbewerben eigentlich bes-
ser ganz weglassen und statt-
dessen mit dem Finger durch
die Grundrisse wandern. Denn
eben diese schönen Bilder da in
der Zeitung, die seien trüge-
risch, sofort ginge es nur nochum Geschmack, nicht um
Funktion.
Energisch widerspricht er
den Beschreibungen des Unter-
geschosses als Keller, wie man
es habe lesen können: „Das ist
kein Untergeschoss, sondern
eine Rue d’Interieur!“ Lässig sei
das Haus, ohne Schwelle, ohne
Barrieren zwischen drinnen
und draußen, hierarchiefrei. Es
klingt fast, als solle dieser Bau
in Berlin ein besseres Land her-
vorbringen und nicht etwa das
Land bessere Bauten. Die Hülle
sei wie eine Kruste, wie ein
Brot, das man aufschneidet.
Durch das Museum wandele
man dann wie durch eine Stadt,
die abends aus sich heraus
leuchtet. Der Architekt Jacques
Herzog wiederholt gern: „Keine
Hierarchien.“
Das Museum wird mit der
Neuen Nationalgalerie verbun-
den sein; nicht durch einen
Tunnel, betont Udo Kittel-
mann, sondern durch einen
Ausstellungsraum. Wobei es na-
türlich schon ein Tunnel ist,
nur eben einer, der groß genug
ist, um darin Kunst zu zeigen.
Verstanden aber hat man
noch nicht: Wofür steht das
Museum, dass es uns 450 Mil-
lionen Euro wert ist? „Das Mu-seum wird dringend benötigt“,
hatte die ferngebliebene Kul-
turstaatsministerin in einer
Pressemitteilung erklärt, „um
der Weltklassesammlung der
Nationalgalerie den angemes-
senen Raum zu geben“. Der Lei-
ter der Nationalgalerie, Joa-
chim Jäger, bestätigt, dass von
der einzigartigen Sammlung
seines Hauses bisher nur ein
Viertel zu sehen sei, der Neu-
bau aber biete 9000 Quadrat-
meter mehr. Und Gerhard Rich-
ter habe ja schon eine Schen-
kung angekündigt, er werde sei-
nen eigenen Saal bekommen.
All die Beschreibungen und
Wunscherfüllungen klingen
schön. Das Museum soll Wun-
den heilen, nicht nur die Wun-
de des Kulturforums, zwischen
Potsdamer Platz und Land-
wehrkanal, dort, wo Hans Scha-
roun einst sehr großzügige Lü-
cken gelassen hatte zwischen
seinen beiden Schöpfungen, der
Philharmonie und der Staatsbi-
bliothek. Arno Lederer, der das
Scharoun-Projekt auch als Mit-
glied eines Beratergremiums
begleitete, erinnert sich an sei-
ne Besuche in dem Viertel zur
Zeit vor der Wiedervereini-
gung: „Ein Kommilitone riet
mir, ich solle mit großer Ge-
schwindigkeit im R4 vorbeifah-
ren, erst dann würde ich den
Ort begreifen.“ Mit der autoge-
rechten Stadt soll es also nun
vorbei sein, deshalb muss das
Museum des 20. Jahrhunderts
die antonionihafte Leere ver-
treiben, die dort noch herrscht.
Im Architektendeutsch: die
Plätze. Was, genauer betrach-
tet, einigermaßen widersinnig
ist. Was ist schließlich besser
geeignet, als eine weite urbane
Fläche mit beziehungslos he-
rumstehenden Solitären, wenn
man sich ans 20. Jahrhundert
erinnern will? Diskussion hin,
Debatte her. Man wird den Ein-druck nicht los, dass bei den
fünf Verantwortlichen hier in
der Villa nichts mehr infrage
steht. Der Beschluss, das Mu-
seum so und nicht anders zu
bauen, sei nun einmal gefasst,
sagt dann auch Parzinger.
„Noch in diesem Herbst soll
der erste Spatenstich erfolgen“,
um noch mal klarzumachen,
dass nun kein Weg mehr zu-
rückführt. „Es spricht über-
haupt nichts mehr gegen diese
Architektur“, fasst der Direktor
der Nationalgalerie, Udo Kittel-
mann, die Veranstaltung vor-
zeitig zusammen. So ein Haus,
das sei wie einen Stein, den
man ins Wasser wirft, erzeuge
es Wellen, sagt Herzog.
Und was ist jetzt eigentlich
mit den 250 Millionen extra,
wie sind die denn jetzt zu erklä-
ren? „Der entscheidende Punkt
ist“, sagt Herzog, „dass wir mit-
ten in einer Großstadt mit kom-
plizierten Bodenverhältnissen
dieses anspruchsvolle Museum
realisieren wollen.“ Das klingt,
als habe der Architekt nicht ge-
wusst, was ihn erwartet, eine
Stadt auf Sand und viel Wasser
gebaut.
Eine halbe Milliarde also für
ein knuspriges Brot, das innen
eine Stadt ist und leuchtet. Ist
das viel oder wenig? Womit
vergleicht man ein einzigarti-
ges Gebäude? Die Elbphilhar-
monie wird nicht erwähnt,
aber sie schwebt, so wie Moni-
ka Grütters, stets unsichtbar
über der Herrenrunde. Herzog
& de Meuron haben sie für das
Elffache der ursprünglich ver-
anschlagten Summe gebaut,
heute sind alle froh darum,
denn es hat Hamburg ein
Wahrzeichen beschert. Nun
hat Berlin schon das eine oder
andere Wahrzeichen und das
Elffache von 200 Millionen,
das würde nicht einmal Moni-
ka Grütters durchsetzen.DPA/ GREGOR FISCHER„Es führt kein
Weg zurück“
Das Museum der Moderne in Berlin
wird doppelt so teuer wie erwartet.
Die Verantwortlichen halten trotzdem
an dem Neubau fest. Ein Sittengemälde
von der Pressekonferenz
Die Verantwortlichen für das geplante Museum in Berlin: Arno Lederer, Joachim Jäger, Hermann Parzinger, Udo Kittelmann und Jacques Herzog (von links nach rechts)