DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019 WISSEN 27
schlechtlich gemischt ist. Da-
durch werden die Nachteile der
Männer minimiert, ihre Vortei-
le maximiert.Eine Gallup-Studie zeigte,
dass ein Vertrauter im Job
Unfälle am Arbeitsplatz um 36
Prozent verringert und den
Profit um zwölf Prozent stei-
gert. Also ist das Modell
„work wife & husband“ nicht
nur für die beiden, sondern
auch für das Unternehmen
eine Win-win-Situation?
Durchaus! Ich habe mal ein For-
schungsprojekt bei der Bundes-
wehr betreut, bei dem es um
Nachttiefflüge für Hubschrau-
ber ging. Im Meeting saßen lau-
ter Majore und Oberstleutnan-
te, also wusste ich: Wenn ich
denen einen jungen Psycholo-
gen schicke, nehmen die ihn
nicht ernst oder führen im
Hubschrauber Manöver durch,
bis ihm schlecht wird. Stattdes-
sen habe ich junge Damen hin-
geschickt, die zwar attraktiv ge-
nug waren, um die Wünsche der
Herren zu erfüllen, aber nicht
zu attraktiv, um Herzrasen zu
verursachen. Meine Kollegin-
nen standen also am Ende da
und haben die Männer rum-
kommandiert, und die haben
gehorcht. Nur unter Männern
wäre das nie möglich gewesen.Woher weiß man eigentlich,
dass man sich im Job wirklich
auf jemanden verlassen kann?
Bei meinen Coachings frage ich
gern: „Mit wem würden Sie in
den Berg gehen? Wenn Sie ab-
stürzen und nur über diesen
Mitarbeiter gesichert sind,
glauben Sie, er würde das SeilE
s klingt fast zu gut, um
zu funktionieren: Ein
sogenannter „work
husband“, zu Deutsch
vielleicht „Büro-Gatte“ oder
die „Job-Ehefrau“, macht uns
nachweislich produktiver, zu-
friedener und innovativer. Wir
gehen montags viel lieber hin,
wissen jemanden in Krisen und
bei Zweifeln an unserer Seite
oder können uns ausheulen,
wenn es Konflikte mit dem
Chef gibt. Und ja: Anders, als es
die Bezeichnung dieses eheähn-
lichen Arbeitsverhältnisses ver-
muten lässt, ist die „work mar-
riage“ geprägt von Vertrauen,
nicht von Verliebtheit.
VON CLARA OTTLaut einer Studie des Gallup-
Institus aus dem Jahr 2006 hat
rund ein Drittel der befragten
US-Amerikanerinnen und Ame-
rikaner eine solche Vertrauens-
person auf der Arbeit.
Allerdings ist es psychologisch
auch erwiesen, dass eine gewis-
se gegenseitige Attraktivität
nicht schadet, sondern noch
motivierender auf beide wirkt.
Doch was, wenn einer mehr
will? Das erklärt der Psychologe
und Arzt Michael Kastner. Er
kennt die Vorteile dieser Kon-
stellation aus seiner Erfahrung
als Professor, inzwischen
coacht er Unternehmen.
WELT: WWWieso benötigt jederieso benötigt jeder
eine Person des Vertrauens
am Arbeitsplatz, am besten
vom anderen Geschlecht?
MICHAEL KASTNER: Je kom-
plexer die Welt wird, je dynami-
scher alles um uns herum wird,
desto mehr müssen wir Wissen
durch Vertrauen ersetzen. Wir
können nicht mehr alles wis-
sen, umso mehr brauchen wir
Personen um uns, denen wir
blind vertrauen können. Und
Frauen kommunizieren anders
als Männer, Männer gehen an-
ders mit ihren Emotionen um,
sind zum Beispiel eher aggres-
siv. Inmitten dieser Aggressivi-
täten ist es gut, wenn ein Mann
eine Mitarbeiterin neben sich
sitzen hat, die ihm die Hand auf
den Arm legt und sagt: „Mach
mal ein bisschen langsamer.“
Und wenn man als Frau eine
weibliche Vertrauensperson
gefunden hat?
Ich hatte selbst früher männli-
che Kollegen, denen ich blind
vertraut habe. Eigentlich muss
das Geschlecht egal sein, wenn
man eine Vertrauensperson
sucht. Aber es gibt ein schönes
Experiment mit Affen: Männli-
che Affen geraten häufiger und
heftiger aneinander, aber da-
nach kraulen und entlausen sie
sich untereinander. Weibliche
Affen tragen zwar selten Kon-
flikte aus, aber wenn es kracht,
haben sie danach für lange Zeit
nichts miteinander zu tun, ge-
hen sich aus dem Weg und sind
nachtragend. Richtiger Zicken-
krieg eben. Laut Studien ist ein
Team zufriedener und arbeitet
produktiver, wenn es ge-
kappen, um sich zu retten oder
Sie?“ Oder anders gesagt: Es
gibt Menschen, mit denen man
niemals Doppelkopf spielen
würde, aber mit denen man so-
fort einen Berg besteigen wür-
de. Und umgekehrt gibt es diese
witzigen, tollen Menschen, mit
denen man sofort Doppelkopf
spielen würde, aber bei denen
man nicht am Seil hängen will.Und glauben Sie, dass manche
mit ihrer „work wife“ oder ih-
rem „work husband“ kompen-
sieren, was mit dem Partner
zu Hause nicht läuft? Oft kön-
nen die Partner eigene Job-
probleme nicht nachvollzie-
hen, weil sie in einer anderen
Branche arbeiten.
Ja, natürlich passiert das, und
zwar nicht selten. Als ich im
Krankenhaus gearbeitet habe,
habe ich oft erlebt, dass viele
Chefärzte nach ihrer Trennung
oder Scheidung mit einer Ärz-
tin oder einer Krankenschwe-
ster zusammenkamen. Im be-
ruflichen Leben entwickelt sich
eine besondere Vertrautheit,
man kann sich aufeinander ver-
lassen, das ist ein großes Pfund,
das der Partner zu Hause
manchmal nicht erfüllen kann.
Gerade Männer, die im Job viel
kämpfen, aggressiv auftreten
und durch ihren höheren
Stress- und Cortisolspiegel
schneller krank werden, kön-
nen eine Kollegin gebrauchen!Ist Liebe am Arbeitsplatz
nicht auch mit Illusionen ver-
bunden, weil man sich nie
krank oder in Jogginghose be-
gegnet, sondern immer gut
angezogen in einem profes-sionellen Setting – ohne Streit
über Haushalt oder Kinder?
Das stimmt, doch man erlebt
sich auch im Arbeitsalltag in
wichtigen Stresssituationen
und bekommt mit, wie jemand
tickt: Wie jemand bei Druck
agiert, mit Kränkungen umgeht,
ob man sich aufeinander verlas-
sen kann. Das ist alles sehr viel
wert und führt zu dem Gedan-
ken: „Mit dem zusammen schaf-
fe ich das!“ Und wir merken im
Job, wie jemand kommuniziert.
Ich bin sicher, dass 90 Prozent
der Ehen scheitern, weil Paare
nicht kommunizieren.Apropos Herz: Der Begriff
„The Office Wife“ basiert auf
dem gleichnamigen Buch und
Film aus dem Jahr 1930, in
dem es um einen Mann und
seine Sekretärin ging. Sie sollseine Hochzeit planen und
verliebt sich in ihn.
Tja, man könnte es auch den
Groupie-Effekt nennen: Da ste-
hen irgendwelche unattrakti-
ven Jungs mit einer Gitarre auf
der Bühne, ohne singen zu kön-
nen. Im Publikum wird es im-
mer Mädchen geben, die ein
Kind von diesem Mann wollen.
Das ist ein Naturphänomen,
Berühmtheit und Macht wirken
eben sexy.Eine Studie der Universität
von Michigan zeigte, dass ge-
genseitige Attraktivität die
Kreativität und Produktivität
sogar fördert. Es ist auch eine
Form von Intimität, nur ohne
Erwartungen und Komplika-
tionen. Eigentlich perfekt!
Schon, aber Männer und Frauen
verlieben sich in der Regel bin-
nen Sekunden: Man sieht sich,
und im selben Moment denkt
man drüber nach, ob mehr mög-
lich wäre oder nicht. Das bedeu-
tet noch nicht, dass etwas pas-
siert, aber man zieht es in Erwä-
gung – oder nie. Es ist deshalb
enorm wichtig, dass beide von
Anfang an klarstellen, dass
nichts Sexuelles passieren wird.
In meiner Arbeit als Coach be-
komme ich in vielen Unterneh-
men mit, dass eine Sekretärin
oder eine junge Kollegin heim-
lich für ihren Vorgesetzten
schwärmt. Das gibt es natürlich
auch umgekehrt. Die Krux ist
immer die Asymmetrie: Einer
will oft mehr als der andere.Wie verhält man sich, wenn
der Kollege einem seine Ge-
fühle offenbart?
Kastner: Sobald man ahnt, dass
bei einem Abendessen etwas
passieren würde, sollte man
klare Grenzen ziehen. Auch der
Betriebsausflug oder Weih-
nachtsfeiern sind gefährlich.
Ich rate meinen Führungskräf-
ten in den Coachings immer, es
nicht zu übertreiben. In ausge-
lassener Stimmung passiert
mehr, als man möchte.Was, wenn man die Anwesen-
heit der einst vertrauten Per-
son nicht mehr erträgt? Muss
man dann kündigen?
Ja, vielleicht, oder es wird kom-
pliziert. Ich hatte einmal die
geniale Idee, bei allen Abtei-
lungsleitern die Sekretärinnen
auszutauschen, nachdem sich
zwei ineinander verliebt haben,
der Mann aber leider verheira-
tet war. Also wollte ich die Se-
kretärinnen rotieren lassen,
damit die beiden nicht mehr di-
rekt zusammenarbeiten. Das
ging völlig daneben, denn bei
den anderen Konstellationen
funktionierte die Zusammenar-
beit super. Die Männer wollten
ihre Sekretärinnen überhaupt
nicht loswerden(lacht). Es gab
großen Widerstand gegen mei-
nen Vorschlag, und am Ende
wurde die unglücklich verliebte
Sekretärin in eine andere Ab-
teilung versetzt.TDas Interview wurde telefo-
nisch geführt.Im Film „The Office Wife“ aus dem Jahr 1930 soll eine Sekretärin die Hochzeit ihres Chefs planenPICTURE ALLIANCE/ EVERETT COLLECTIONWork-wife balance
Wer einen Vertrauten als Kollegen besitzt, arbeitet besser
und ist glücklicher. Ein Arbeitspsychologe erklärt, wie es klappt
Michael Kastner ist Arzt
und Psychologe. Neben
einer 40-jährigen Berufs-
erfahrung in Lehre und
Forschung gründete er das
Institut für Arbeitspsycho-
logie und Arbeitsmedizin
(IAPAM) mit drei Stand-
orten in Deutschland. Dort
berät er Unternehmen und
Führungskräfte.Zur
WERNER BACHMEIERPerson