toinlandsprodukts für die Vertei-
digung aufzuwenden, fragt Plätt-
ner. Und während Habeck ant-
wortet, aus der Opposition he-
raus sei es „nicht leicht, dazu ei-
ne Haltung aufzubauen“, weil
man nicht wisse, wie stark eine
besser geführte Bundeswehr wä-
re, sagt Fischer einen der bemer-
kenswertesten Sätze des Abends:
„Wenn man Trump helfen will,
muss man die zwei Prozent ab-
lehnen.“ Später schärft der Polit-
Veteran nach, es gehe nicht um
den konkreten Prozentsatz, son-
dern um die Sicherung der Fähig-
keiten der Truppe.
Fischer ist Macho geblieben.
Der Metzgersohn aus dem
Schwäbischen, der heute als Un-
ternehmensberater auch ausge-
sprochen ungrüne Unternehmen
wie BMW berät, schickt ein sehr
maskulines Grinsen in die Run-
de, als Habeck schwärmt, wie viel
er doch von Annalena Baerbock
lerne, sie sei sein Role-Model. Be-
scheidenheit ist Fischers Sache
nicht, der keine Vorbilder gehabt
habe, weder männliche noch
weibliche und allenfalls die US-
Amtskollegin Madeleine Albright
gut finde.
Wahrscheinlich ist Fischer im-
mer sein eigenes Rollenmodell
geblieben. Er habe sich, antwor-
tet er auf eine Frage der Modera-
torin, als „letzter Live-Rock ’n’
Roller“ bezeichnet, weil bei sei-
nem Abschied aus der Politik
2005 der Frankfurter Römerberg
„voll war, das schafft sonst nur
alle paar Jahre die Eintracht“.
Und da habe er vor Freude halt
„ein bisschen spontimäßig-flap-
sig“ formuliert.
Habeck liegt das Großspreche-
rische nicht. Ob er Kanzler wer-
den wolle? Ach, es gehe doch
nicht um ihn oder um einzelne
Personen, sondern um die Sache,
um die Verhinderung der Erder-
wärmung. Ob es ihn stört und die
Grünen Prozente kostet, wenn
die CDU jetzt auch auf Klimapar-
tei mache? I wo, wenn das echte
Überzeugung wäre und andere
Parteien die eigenen Forderun-
gen übernähmen, wen würde es
da ärgern, wenn man dann mal
einen halben Punkt verliert.
Er zeigt sich demütig, der ehe-
malige Landesminister in Schles-
wig-Holstein, der sich sieben Jah-
re lang um Landwirtschaft, Um-
welt und Energiewende kümmer-
te – und sich immer seiner Ver-
antwortung bewusst gewesen sei.
„Jede Unterschrift sorgte dafür,
dass sich die Lebenssituation von
Menschen irgendwie änderte.“
Irritierend wird die Szenerie,
als die Moderatorin zwischen
den Grünen der Gründung vor
40 Jahren unterscheiden will, die
gegen etwas waren, nämlich die
Atomkraft, während sie heute für
etwas seien, nämlich die Energie-
wende. Habeck korrigiert:
Gleichzeitig sei seine Partei doch
„gegen Kohle, gegen Ölheizun-
gen, gegen Plastikstrohhalme“.
Aus der Befürwortung des einen
resultiere eigentlich immer die
Ablehnung von etwas anderem –
und dann bekommt er die Kurve
in eine arg nach Oberseminar
klingende Definition: „Wir sindkeine Dagegen-Partei, wir sind
eine Orientierung gebende Ge-
staltungspartei.“ Rasch assistiert
jetzt auch Fischer: „Es gibt kein
politisches Handeln, ohne dass
man auch Verbote ausspricht.“
Und Habeck hebt die rechte
Hand von der Tischplatte, in ei-
ner Geste der Erleichterung: Tja,
was ich immer sage ...
Ernsthafter wird es, als es um
den Aufstieg der AfD geht. Er ha-
be gerade eine Umfrage gehört,
empört sich Fischer, dass die in
Thüringen gerade bei 25 Prozent
liege. In Thüringen! Bei Höcke!
„Die reden wie Nazis, die riechen
wie Nazis, und wir nennen sie
Rechtspopulisten.“ Immer nach
Verständnis für solche Wahlent-
scheidungen zu verlangen, „mir
ist das zu sozialtherapeutisch“,
sagt der Ex-Minister. Beifall!
Habeck aber hat gerade „Rück-
kehr nach Reims“ von Didier Eri-
bon gelesen, der im linken Milieu
aufgewachsen ist und plötzlich
von seiner Mutter erfährt, dass
sie neuerdings den Front Natio-
nal wähle. Es ist leicht zu sagen,
das sind alles Nazis, widerspricht
Habeck Fischer, „aber wenn’s
deine Mutter ist, ist’s schwer“.
Noch mehr Beifall. Und sogar Fi-
scher wirkt für einen Moment ge-
schlagen.
Fischer sieht Versäumnisse in
der Flüchtlingskrise des Jahres- „Wenn Merkel gleich nach
der Grenzöffnung in einer Fern-
sehansprache erklärt hätte, wie
die Situation war“, sagt der eins-
tige deutsche Chefdiplomat, hät-
ten die Deutschen möglicherwei-
se anders reagiert: „Man hätte
sich da mehr drum kümmern
müssen.“
Diesmal erkennt Habeck kei-
nen Gesprächsbedarf. „Es kom-
men kaum noch Flüchtlinge nach
Deutschland“, sagt er, dennoch
erfahre die AfD Zulauf. Zur Infor-
mation: Zwischen Januar und Juli
2019 wurden knapp über 100.000
Asylanträge gestellt, etwas weni-
ger als in den drei Jahren von
2008 bis 2010 insgesamt.
Ratio gegen Empathie, so läuft
diese kurzweilige innergrüne Dis-
kussion. Der alte Realo gegen den
jüngeren Idealisten. Vielleicht
auch Straßenfußballer gegen So-
zialtherapeut. Zwischendurch
sagt Fischer, selbst einst katholi-
scher Ministrant, die Grünen hät-
ten ja diesen protestantischen
Hang zum Protest, und Habeck
hakt einige Minuten später nach,
„weil der Joschka da dieses Pro-
testantismus-Ding hochgezogen
hat“. Es gebe in der Tat bei den
Grünen „einen moralischen
Überschuss – aber wäre es denn
besser, wir hätten moralischen
Unterschuss? Oder keine Moral?“
Letzter Bühnenakt: Man sei ja
auf einem Literaturfestival, wel-
ches Buch sich die Herren denn
wechselseitig empfehlen würden.
Fischer sagt, eher uninspiriert, er
habe gerade „The Code“ von
Margaret O’Mara gelesen, ein
englischsprachiges Buch über das
Silicon Valley. Habeck ist schlag-
fertiger, er empfiehlt Astrid
Lindgrens „Ronja Räubertoch-
ter“ – „damit du mal ein weibli-
ches Role-Model kriegst“.
JJJoschka Fischer (l.) oschka Fischer (l.)
und Robert Habeck
diskutieren über
ihre GrünenCLEMENS BILAN/ EPA-EFE/ REXDIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019 PANORAMA 31
W
er kauft sich heute
noch eine Tageszei-
tung?Wo es doch
schon eine Weile heißt, das Ende
der Papierzeitung stehe bevor?
Im Berliner Verlag, seit 2009 im
Besitz der Mediengruppe Du-
Mont, ist diese seltene Spezies
des Zeitungskäufers am Diens-
tagmorgen einspaziert. In Ge-
stalt eines Berliner Ehepaares,
Silke und Holger Friedrich, die
beide seit vielen Jahren unter-
nehmerisch tätig sind. Und sa-
gen, dass sie den Kauf als „zivil-
gesellschaftliches Engagement
in bewegten Zeiten“ verstehen.VON CHRISTIAN MEIERDas klingt verschärft nach Mä-
zenatentum, aber das muss letzt-
lich gar nicht schlecht sein. Denn
es ist durchaus möglich, einen
Zeitungsverlag aus dem Antrieb
gesellschaftlicher Verantwor-
tung zu übernehmen und trotz-
dem wirtschaftlich erfolgreich zu
ffführen. In den USA haben in denühren. In den USA haben in den
vergangenen Jahren einige Über-
nahmen von bekannten Medien-
marken durch Unternehmer für
AAAufsehen gesorgt, darunter Ama-ufsehen gesorgt, darunter Ama-
zon-Chef Jeff Bezos mit der
„„„Washington Post“ und Salesfor-Washington Post“ und Salesfor-
ce-Gründer Marc Benioff mit
dem „Time Magazine“. Die
Friedrichs wollen auf eine „ver-
sachlichte, faktenbasierte Be-
richterstattung“ setzen, teilen
sie mit, sowie auf eine „tief ge-
hende Aufarbeitung gesellschaft-
lich relevanter Themen“.
Wer sind die Friedrichs? Ihre
eigene Website der Commercial
Coordination Germany GmbH
in der Berliner Mauerstraße gibt
darüber keine Auskunft. Silke
Friedrich hat den legendären
ehemaligen Techno-Club E-
Werk als Veranstaltungsort wie-
derbelebt, das Gebäude dazu
hatte ihr Mann Holger gekauft,
das war 2004. Sie leitet ebenfalls
als Geschäftsführerin die Berlin
Metropolitan School, eine inter-
nationale Privatschule in Berlin-
Mitte. Holger Friedrich hatte
2003 ein von ihm gegründetes
Technologieunternehmen an
SAP verkauft, war zwischenzeit-
lich Berater bei McKinsey, Vor-
stand der Software AG und
Gründer einer Beraterfirma für
Technologie. Und jetzt also eine
Zeitung? Genauer gesagt, die
„Berliner Zeitung“, das Boule-
vardblatt „Berliner Kurier“ und
das „Abendblatt“, eine Anzei-
genzeitung. Das ist interessant
und könnte an der Schnittstelle
zwischen Technologie und Bil-
dung, dem Spektrum der Fried-
richs, Sinn ergeben. Doch der
Unterhalt eines Zeitungsverlags
ist teuer, sehr teuer sogar.
Druck, Vertrieb und Personalko-
sten bei gleichzeitig sinkenden
Auflagen gedruckter Exemplareund schwankenden Anzeigen-
umsätzen lassen ein solches En-
gagement als unternehmeri-
sches Wagnis erscheinen.
Einiges in der Pressemittei-
lung zum Verkauf lässt aber dar-
auf deuten, dass die „Berliner
Zeitung“, die derzeit noch eine
verkaufte Auflage von 84.000
Exemplaren hat, in Zukunft zum
rein digitalen Medium mutiert.
Da heißt es, man arbeite an der
„digitalen Weiterentwicklung“
der Titel, später ist von der
„durchgängigen Digitalisierung
der Angebote“ und der „Aus-
richtung des Verlags auf zu-
kunftsfähige Formate“ die Rede.
Das Ende des Papiers scheint
damit besiegelt – und es wäre
für den in den vergangenen
Jahrzehnten zusammenge-
schrumpften Verlag eine Erlö-sung. Über den Kaufpreis wurde
Stillschweigen vereinbart, doch
einen großen Erlös hat die Me-
diengruppe DuMont aus Köln
vermutlich nicht erzielt. Denn
bereits seit Monaten ist be-
kannt, dass der Traditionsverlag
Käufer für seine Tageszeitungen
sucht, dazu wurde sogar, in der
Branche eher unüblich, eine ex-
terne Firma eingeschaltet. Zu
DuMont gehören noch die Zei-
tungen „Kölner Stadt-Anzeiger“,
„Express“, „Mitteldeutsche Zei-
tung“ und „Hamburger Morgen-
post“. Den Boulevardtiteln geht
es schlecht, die „Mitteldeut-
sche“ und der „Stadt-Anzeiger“
sind profitabel, und der Berliner
Verlag hat nach etlichen Spar-
runden Probleme, Boden unter
die Füße zu bekommen.
DuMont bezeichnet sich als
„digitales Medien- und Techno-
logieunternehmen“, aber das ist
noch mehr Wunschdenken als
Realität. Tatsächlich gehören
dem Verlag eine Reihe interes-
santer Firmen, doch das Kernge-
schäft ist weiter das Zeitungs-
wesen, das aber mit den bekann-
ten Risiken belastet ist. Den Ber-
liner Verlag hatte noch Patriarch
Alfred Neven DuMont kaufen
lassen, das ist zehn Jahre her.
Verkäufer war damals der iri-
sche Investor David Montgome-
ry. Die DuMonts ließen sich als
Retter des Verlags feiern –
mussten aber selbst immer wie-
der den Rotstift ansetzen.Kauft sich ein Berliner
Ehepaar eine Zeitung
Zuletzt gehörte die „Berliner Zeitung“ dem
DuMont-Verlag. Nun geht sie in private HändeZeitungsbesitzer: Silke und
Holger FriedrichJENS RÖTZSCH/ DUMONT