Die Welt Kompakt - 18.09.2019

(vip2019) #1

POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019 SEITE 4


Für die Analyse wurden alle
Dienste berücksichtigt, die Abge-
ordnete bis Mai 2019 auf ihren je-
weiligen persönlichen Internet-
seiten oder gegenüber den Parla-
menten angegeben haben. Jene
Dienste reichen im Fall der Bun-
deswehr von Reserveoffizieren
üüüber Soldaten auf Zeit (SaZ) bisber Soldaten auf Zeit (SaZ) bis
hin zu Berufssoldaten. Im Fall der
Polizei erstreckt sich die Spanne
vom Vollzugsbeamten bis hin zu
dem Rang eines Kriminaloberrats.
Für den Sozialwissenschaftler
Jan Schedler von der Ruhr-Uni-
versität Bochum deuten die Zah-
len darauf hin, „dass politische
Einstellungen, wie sie die AfD et-
wa in puncto Einwanderung und
innerer Sicherheit vertritt, inner-
halb der Bundeswehr stärker ver-
treten sind als in der Gesamtge-
sellschaft“. Einen unmittelbaren
Beleg dafür stellten sie jedoch
nicht dar. Möglich sei auch, dass
AfD-Politiker, die etwa mit einer
Tätigkeit in der Bundeswehr auf-
warten können, eher auf einen
vorderen Listenplatz gewählt
werden als Vertreter anderer Be-
rufsgruppen.
Für die AfD-Abgeordneten im
Bundestag selbst erscheint diese
Häufung naheliegend. Der lang-
jährige Vorsitzende der Lands-
mannschaft Ostpreußen Wilhelm
von Gottberg, der nach 40 Jahren
Mitgliedschaft 2011 wegen des
EU-Rettungsschirms für Grie-
chenland aus der CDU austrat
und seit 2017 Bundestagsabgeord-
neter der AfD ist, sagte auf Anfra-
ge, Polizeibeamte bekämen im
Berufsleben „tagtäglich die Aus-
wirkungen der Rechtsbrüche“ in
der Bundesrepublik zu spüren.
Das könne dazu führen, dass
gerade Polizisten sich in der AfD
engagieren, da die AfD seiner
Ansicht nach die einzige Partei
sei, die deren Erfahrungen the-
matisiere.
Von Gottberg selbst war von
1960 bis 1969 beim Bundesgrenz-
schutz tätig, danach arbeitete er
als Lehrer bis 2005 an einer Fach-
schule des Bundesgrenzschutzes,
der heutigen Bundespolizei. Der
AfD-Politiker ist dafür bekannt,
dass er mehrfach öffentlich den
Holocaust relativiert hat: Als
langjähriger Herausgeber des

Ostpreußenblattes ebenso wie
bei seiner Kandidatur für einen
Listenplatz der AfD in Nieder-
sachsen, als er erklärte, er wolle
sich für ein Ende des „Kults mit
der Schuld“ einsetzen. Auch der
Potsdamer AfD-Bundestagsabge-
ordnete Rene Springer, der unter
anderem als persönlicher Refe-
rent von Alexander Gauland den
Rechtsaußenkurs der AfD mitge-
prägt hat, gehört zu den Zeitsol-
daten in der Bundestagsfraktion:
Seine Dienstzeit absolvierte er
von 1997 bis 2009 bei der Marine.
Springer sagt, Polizisten und
Soldaten stünden „oftmals für
Stabilität und die Einhaltung kla-
rer Regeln“ und seien „bereit,
diese Werte auch gegen Wider-
stände durchzusetzen“. Daraus
ergebe sich vielleicht eine „na-
türliche Neigung zur Rechts-
staatspartei AfD“.
Der AfD-Verteidigungspoliti-
ker Jan Nolte wiederum erklärt:
„Da das deutsche Volk und der
deutsche Nationalstaat von ande-
ren Parteien meist negativ gese-
hen werden, sind diese für Solda-
ten und Polizisten eher unattrak-
tiv.“ Bei Polizeibeamten, so Nolte
weiter, spielten auch die „voll-
kommen realitätsfremden Aussa-
gen zur Kriminalität eine Rolle“,
die von anderen Parteien kämen.
Dienstrechtlich ist es wie folgt:
Polizeibeamte und Soldaten
müssen im Dienst politische
Neutralität wahren – privat aber

dürfen sie sich politisch positio-
nieren. Werden sie in Parlamente
gewählt, ruht das Beamten- be-
ziehungsweise Soldatenverhält-
nis und damit auch das Neutrali-
tätsgebot.
Spätestens nachdem das Bun-
desamt für Verfassungsschutz
(BfV) den völkischen Flügel der
Partei und die Jugendorganisati-
on Junge Alternative (JA) Anfang
des Jahres als „Verdachtsfälle“
eingestuft hat, stellt sich für die
staatlichen Arbeitgeber und die
Gewerkschaften die Frage, wie
mit AfD-Mitgliedern in den eige-
nen Reihen umzugehen ist.
VVVerdachtsfall heißt nämlich: Ei-erdachtsfall heißt nämlich: Ei-
ne Gruppierung steht offensicht-
lich im Widerspruch zum Rechts-
staatsprinzip, sie agiert extremis-
tisch. Hier könnten nachrichten-
dienstliche Mittel eingesetzt wer-
den, um dem begründeten Ver-
dacht weiter nachzugehen.
Der niedersächsische Innenmi-
nister Boris Pistorius (SPD) etwa
sagte, es sei „problematisch“,
wenn Flügel- oder JA-Sympathi-
santen, die sich zur Wahl für ein
politisches Amt aufstellen lassen,
als Polizisten oder Lehrer arbeite-
ten. Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) ließ die Verein-
barkeit von Beamtenstatus und
Parteimitgliedschaft überprüfen.
Das Ergebnis Anfang April
2019: Die Mitgliedschaft in der
AfD sei mit der Arbeit als Beam-
ter vereinbar – das gelte auch für

I

st da etwas in Schieflage gera-
ten, „was sich in Sympathien
für das rechtsnationale Par-
teienspektrum ausdrückt“,
wie es Jörg Radek, der Vizevorsit-
zende der Gewerkschaft der Poli-
zei (GdP), im Sommer formulier-
te? Herrscht in den Sicherheits-
behörden eine Grundstimmung
zugunsten der AfD?
Angeheizt hatte die Diskussion
der CDU-Politiker Friedrich Merz.
In einem viel zitierten Interview
hatte er gesagt: „Wir verlieren of-
fffenbar Teile der Bundeswehr anenbar Teile der Bundeswehr an
die AfD. Wir verlieren Teile der
Bundespolizei an die AfD.“

VON ALEXEJ HOCK UND
ANNELIE NAUMANN

Wie attraktiv die Partei für
Bundeswehrangehörige und Poli-
zeibeamte wirklich ist, legt eine
aktuelle Analyse nahe. 14 Abge-
ordnete der insgesamt 91 Mitglie-
der der AfD-Bundestagsfraktion
haben mehr als den Grundwehr-
dienst geleistet. Das entspricht
einem Anteil von 15,4 Prozent.
Damit sind in der AfD-Fraktion
proportional mehr Abgeordnete
mit Militärhintergrund vertreten
als in anderen Fraktionen im
Bundestag (CDU 9,8; SPD 2,6;
Grüne, Linke, FDP unter 2).
Ein ähnliches Bild zeichnet sich
bei der Zahl der ehemaligen und
fffür die Zeit ihrer Mandatsaus-ür die Zeit ihrer Mandatsaus-
übung freigestellten Polizeibeam-
ten ab. Die sieben Abgeordneten
in der AfD-Bundestagsfraktion
entsprechen einem Anteil von 7,
Prozent. Bei allen anderen Partei-
en sind weniger als zwei Prozent
der Abgeordneten ehemalige oder
fffreigestellte Polizeibeamte.reigestellte Polizeibeamte.
Von den 191 Abgeordneten in
den 16 Bundesländern haben min-
destens 19 und damit zehn Pro-
zent eine entsprechende Vergan-
genheit bei der Bundeswehr. Bei
CDU und CSU sind es mindes-
tens 36 von 610 Mandatsträgern,
was einer Quote von knapp sechs
Prozent entspricht. Die Zahl der
AfD-Abgeordneten mit berufli-
chen Laufbahnen bei der Polizei
liegt bei mindestens 13 (6,8 Pro-
zent). Bei CDU und CSU ist der
Anteil mit 20 Personen nur halb
so groß (3,3 Prozent).

In keiner Bundestagsfraktion sitzen so viele


Polizisten und Soldaten wie bei der AfD.


Auch in den Landesparlamenten sieht es


nicht anders aus. Über die Hintergründe


gibt es unterschiedliche Meinungen


PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ SEBASTIAN WILLNOW

Heimat für


viele Polizisten


B und Soldaten


undeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) hat mit ei-
nem unangekündigten
Treffen eine Initiative zur Lö-
sung des Libyen-Konflikts ergrif-
fffen. Nach Informationen vonen. Nach Informationen von
WELT trafen sich am Dienstag-
nachmittag die außenpolitischen
Berater mehrerer Staats- und
Regierungschefs sowie führende
Beamte ihrer Außenministerien
mit Jan Hecker und Andreas Mi-
chaelis. Hecker ist außenpoliti-
scher Chefberater der Bundes-
kanzlerin und Leiter der Abtei-
lung für Außen- und Sicherheits-
politik; Michaelis ist der für Nah-
ost-Politik zuständige Staatsse-
kretär im Auswärtigen Amt.

VON ROBIN ALEXANDER

Angereist waren Vertreter
der USA, Großbritanniens,
Frankreichs, Italiens, Ägyptens,
Russlands, Chinas, der Türkei
sowie von Staaten der Afrikani-
schen Union und der Arabi-
schen Liga. Auch der UN-Son-
derbotschafter für Libyen, Gas-
sam Salamé, nahm an dem Ter-
min teil. Ein Regierungsspre-
cher bestätigte auf WELT-An-
frage das Treffen.
Das Treffen ist insofern be-
merkenswert, als die Teilnehmer
im libyschen Bürgerkrieg teilwei-
se unterschiedliche Seiten unter-
stützen. Vor allem die Gräben
zzzwischen Ägypten und den Ver-wischen Ägypten und den Ver-
einigten Arabischen Emiraten ei-
nerseits und der Türkei und Ka-
tar andererseits waren bisher
unüberbrückbar. Vor einer Wo-
che hatte Merkel in einer Bun-
destagsrede deutlich vor den ak-
tuellen Entwicklungen in Libyen
gewarnt. Dort drohten „Stellver-
treterkriege“ und eine Entwick-
lung wie in Syrien, wo seit Jah-
ren ebenfalls ein Bürgerkrieg
herrscht. Im Bundestag sagte die
Kanzlerin: „Es geht darum,
Staatlichkeit wiederherzustellen.
So schwer das auch immer ist.“
Mittelfristig strebt die Bun-
desregierung nach WELT-In-
formationen eine Libyen-Kon-
ferenz an, die von den Verein-
ten Nationen geführt werden
soll. Zuletzt hatte man in Berlin
jedoch Erwartungen gedämpft,
diese könne schon in unmittel-
barer Zukunft ausgerichtet
werden. In Libyen hat sich die
Lage in den vergangenen Mona-
ten verschärft. Keine der rivali-
sierenden Milizen ist in der La-
ge, das Land zu beherrschen.
Die Sicherheitslage gerät zu-
nehmend außer Kontrolle. Das
destabilisiert auch andere Staa-
ten in Afrika. Libyen ist zudem
Durchgangsland für afrikani-
sche Migranten auf dem Weg
nach Europa.

Merkel lädt zu


überraschenden


Libyen-Treffen


Chefberater aus vielen
Ländern vertreten
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