Süddeutsche Zeitung - 18.09.2019

(Tina Sui) #1
von markus balser und
michaelbauchmüller

D

ie Einladung kommt vom UN-Gene-
ralsekretär höchstpersönlich, aber
sie enthält Bedingungen. Für nächs-
ten Montag hat António Guterres die An-
führer im Klimaschutz zu sich nach New
York geladen, sie haben zu erscheinen „mit
konkreten, realistischen Plänen“. Er wolle
hören, so Guterres, „wie wir die Emissio-
nen dramatisch senken, um bis zur Mitte
des Jahrhunderts klimaneutral zu wer-
den“. Angela Merkel will auch hinreisen,
aber noch fehlt ihr der Plan. Bis Freitag will
die Bundesregierung deshalb ihr Klima-
paket schnüren, es muss eine gigantische
Lücke zwischen Soll und Haben füllen.
Was bahnt sich da an? Ein Überblick.


Verkehr


Hier wird es besonders schwer, die Klima-
ziele zu erreichen, Merkel nennt den Ver-
kehr „unser großes Sorgenkind“. Die Emis-
sionen liegen noch immer auf dem Niveau
von 1990 – überall sonst sind sie zurückge-
gangen. Nach Energie und Industrie ist der
Verkehr der drittgrößte Verursacher von
Treibhausgasen in Deutschland. Obwohl
der Verkehr weiter wächst, müssen die
Emissionen nun bis 2030 radikal um 40
bis 42 Prozent sinken. In Zahlen bedeutet
das: Autos, Busse, Lkw, Bahnen, Schiffe
und Flugzeuge dürfen statt derzeit gut 160
Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr
nur noch 95 Millionen Tonnen ausstoßen.
Helfen sollen nach den Plänen von Ver-
kehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die
Umstellung des Straßenverkehrs auf ande-
re Antriebe und Kraftstoffe und die Verla-
gerung auf die Bahn. Das soll rund 50 Milli-
onen Tonnen Ersparnis bringen. Allein Au-
tos stehen heute für 60 Prozent der Ver-
kehrsemissionen. Die Regierung setzt auf
den Ausbau der Elektromobilität. Mindes-
tens sieben Millionen Elektro- und Hybrid-
fahrzeuge sollen 2030 hierzulande fahren.
Der Bund will dafür den eigenen Kaufzu-
schuss für E-Autos von bislang 2000 auf
bis zu 4000 Euro erhöhen. Käufer von Ge-
brauchten sollen 500 Euro bekommen.
Entstehen sollen auch Millionen neuer La-
depunkte. Bis zu zehn Millionen Tonnen
CO 2 soll der erhoffte Erfolg der E-Autos ein-
sparen. Auch Änderungen bei der Kfz-Steu-
er sollen zum Umsteigen bewegen. Wer we-
nig ausstößt, soll künftig weniger, Sprit-
schlucker dagegen sollen mehr bezahlen.
Bei Pkw und Lkw will die Regierung zu-
dem den Umstieg auf alternative Kraftstof-
fe massiv fördern. Der Einsatz von Biosprit
und synthetischen Kraftstoffen soll nach
Vorstellungen des Verkehrsministeriums
bis zu zehn Millionen Tonnen bringen. Bei
Lkw geht es von weiteren 18 Millionen Ton-
nen Sparpotenzial aus. Der Ausbau von Rad-
verkehr und ÖPNV sowie billigere Fernver-
kehrstickets und die Verlagerung von Gü-
terverkehr auf die Schiene stehen für zehn
bis elf Millionen Tonnen. Im Luftverkehr
wiederum soll eine höhere Ticketabgabe
die Emissionen senken. Die bisherige Luft-
verkehrssteuer von 7,38 Euro soll für In-
landsflüge verdoppelt werden. Ausgenom-
men sind wie bisher Zubringerflüge. Auch
soll Preisdumping bei Flügen erschwert
werden – zulasten der Billig-Airlines.
So sollen sich die Millionen Tonnen im
Verkehr bis 2030 läppern, auf jene gut
60 Millionen Tonnen, die dann zu Lande
und in der Luft weniger ausgestoßen wer-
den müssen. So zumindest rechnet es das
Verkehrsministerium vor. Verifiziert wur-
den die Annahmen aber nicht einmal inner-
halb der Regierung. Die Zahlen des Ver-
kehrsministeriums kamen zu spät, um sie
noch gründlich zu überprüfen. Dabei ist ge-
rade im Klimaschutz die Gefahr von Luft-
buchungen groß – wie schon Klimapro-
gramme früherer Bundesregierungen bele-
gen. Keines brachte die Erfolge für den Kli-
maschutz, die man ihm zugedacht hatte.
Umweltschützer fürchten genau das auch
diesmal. Das Ministerium überschätze
„massiv“, was etwa mit alternativen Kraft-
stoffen fürs Klima erreicht werden könne,
warnen sie in einem Brief an Merkel.


Energiewirtschaft


Nach wie vor ist der Energiesektor der
größte Verursacher von Treibhausgasen,
allen voran durch Kohlekraftwerke. Das
Klimakabinett soll deshalb auch den Weg
frei machen für ein Kohleausstiegsgesetz


  • dessen Grundzüge schon die Kohlekom-
    mission festgelegt hatte. Das allein soll bis
    2030 rund 100 Millionen Tonnen CO2-Ein-
    sparung bringen, verbunden mit einem
    Förderprogramm für die betroffenen Regi-
    onen. Diese Einsparung kann gelingen,
    aber nur, wenn der Ausbau erneuerbarer
    Energien im Plan bleibt. Doch der stockt.
    Vor allem der Bau neuer Windräder ist qua-
    si zum Erliegen gekommen. Das Ziel der
    Koalition, bis 2030 mindestens 65 Prozent
    Ökostrom im Netz zu haben, wankt.
    Vor allem die SPD dringt deshalb beim
    Klimakabinett darauf, den weiteren Aus-
    bau von Wind- und Solarenergie zu si-
    chern, etwa durch schnellere Genehmi-
    gungsverfahren. In der Union dagegen
    mehren sich die Vorbehalte vor allem ge-
    gen neue Windräder. „Ich halte das für den
    schwierigsten Punkt“, sagt der SPD-Um-
    weltpolitiker Matthias Miersch. Werde das
    Ziel von 65 Prozent nicht fixiert und unter-


mauert, „können wir uns alles andere
schenken“, warnt Miersch.

Bauen und Wohnen


Die Energieeffizienz in Gebäuden gilt als
der „schlafende Riese“ im Klimaschutz.
„Wir müssen ihn endlich wecken!“, ver-
langt die CDU. Nach Zahlen der Deutschen
Energie-Agentur entfallen allein auf die Be-
heizung von Gebäuden fast 190 Millionen
Tonnen Kohlendioxid. Ein Schlüssel könn-
te die steuerliche Förderung der Gebäude-
sanierung sein, die sich allerdings auch
schon zwei Vorgängerregierungen vorge-
nommen hatten. Wer Fenster tauscht oder
das Dach neu dämmt, könnte die Kosten so
teilweise von der Steuer absetzen. Das Po-
tenzial für den Klimaschutz ist groß, die ge-
naue Wirkung allerdings schwer zu taxie-
ren. Schätzungen gingen zuletzt von be-
scheidenen sechs Millionen Tonnen CO
aus. Auch an die Ölheizungen wollen Union
und SPD ran, aber mit unterschiedlichen
Methoden. Während die Union eine Ab-
wrackprämie „von mehreren Tausend Eu-
ro“ zahlen will, setzen die Sozialdemokra-
ten auf ein Verbot neuer Ölheizungen, et-
wa ab 2030. Den Austausch will auch sie

vorher fördern. Doch schon die Frage, wie
viel Vorschriften und wie viel Anreize brin-
gen sollen, entfacht Streit. „Wir wollen
nicht immer mehr Verbote“, sagt der CDU-
Klimaexperte Andreas Jung. „Wir glauben
nicht, dass Verzicht die Antwort ist.“

Landwirtschaft


Etwas mehr als sieben Prozent der Treib-
hausgas-Emissionen in Deutschland las-
sen sich auf die Land- und Forstwirtschaft
zurückführen. Weltweit liegt der Anteil so-
gar bei 23 Prozent. Der Plan: Die aktuellen
Emissionen von 64 Millionen Tonnen in
Deutschland sollen auf 50 bis 53 sinken.
Sechs bis 16 Millionen Tonnen sollen ei-
nem Plan des Landwirtschaftsministeri-
ums zufolge der Schutz von Moorland-
schaften und die Vermeidung von Lebens-
mittelabfällen bringen. Der Ausbau des
Ökolandbaus, geringere Tierbestände,
schärfere Düngegesetze und die Umwand-
lung von Dünger und Reststoffen in Ener-
gie durch Biogasanlagen sollen mindes-
tens weitere fünf Millionen Tonnen brin-
gen. Die Maßnahmen sind politisch unum-
stritten. Offen ist allerdings, ob sich die
Hoffnungen auf schnell sinkende Emissio-

nen erfüllen. So ist fraglich, ob schärfere
Düngegesetze den erhofften Effekt brin-
gen. Vertreter des Bauernverbands warfen
der Regierung in den vergangenen Tagen
agrarfeindlichen Klima-Aktionismus vor.

Ein Preis auf Kohlendioxid


Nach Lesart der Koalition sollen die diver-
sen Anreize schon den größten Teil der nö-
tigen Einsparungen erzielen. Die verblei-
bende Lücke soll ein Preis auf Kohlendi-
oxid füllen, also eine Verteuerung etwa von
Sprit, Heizöl oder Erdgas. Bisher streiten
Union und SPD noch, wie sie diesen Auf-
preis organisieren wollen, ob über einen
Emissionshandel (das will die Union) oder
über eine Steuer (das will die SPD) oder
über eine Mischform, mit einer Steuer als
Einstieg (es könnte der Kompromiss sein).
Worüber sie aber noch nicht gesprochen
haben, ist das ominöse „X“ in ihren Papie-
ren: die Höhe des Preises, respektive die
Eckwerte des Emissionshandels. „Darin
stecken große Unsicherheiten“, sagt Brigit-
te Knopf, Chefin des Mercator-Forschungs-
instituts zu globalen Gemeingütern. „Man
weiß nicht genau, bei welchem Preis Men-
schen tatsächlich reagieren.“ Ein Einstiegs-

preis, sagt Knopf, könne etwa bei 50 Euro
je Tonne Kohlendioxid liegen. Den Preis
für einen Liter Benzin würde das um
knapp 14 Cent steigern. „Wenn man diesen
Preis bis 2030 kontinuierlich auf 130 Euro
steigen lässt, könnte das weit wirksamer
sein als die meisten anderen vorgeschlage-
nen Maßnahmen“, sagt Knopf. Ob dies
über eine Steuer oder ein Handelssystem
organisiert werde, sei zweitrangig. Überle-
gungen innerhalb der Koalition gingen al-
lerdings zuletzt eher in Richtung geringe-
rer Aufschläge – mit einem Startpreis von
um die 35 Euro je Tonne CO2.
So oder so: Deutschland steht unter
Druck, nicht nur wegen der Einladung aus
New York. Auch in der EU werden die Re-
geln strenger, und bei Verkehr, Gebäuden
und Landwirtschaft hinkt Deutschland
weit hinterher. Von 2021 an könnte das von
Jahr zu Jahr teurer kommen, es drohen
Strafzahlungen. Es sei denn, das Klimapa-
ket hält, was die Koalition verspricht.

Zum Saufen nach Korfu, in die Museen
nach Rom oder doch lieber zu Fuß über die
Alpen? Die Abitur-Abschlussfahrt ist, bei
allem Spaß, immer auch ein Statement.
Und so dürfen sie sich an der Carl-Schurz-
Schule in Frankfurt-Sachsenhausen nicht
wundern, dass die geplante Tour der
16 Schüler samt Lehrpersonal nun hohe
Wellen schlägt: Sie wollen nach Oslo und
Kopenhagen – mit einemAida-Kreuzfahrt-
schiff. Eine Klassenkreuzfahrt? Wo doch
die Schiffe die Luft verpesten, in der Bran-
che Niedriglöhne gezahlt werden und der
Strom der von Bord gelassenen Touristen
die Städte überschwemmt? Wo auch man-
cher Carl-Schurz-Schüler freitags fürs
Klima demonstriert, die Schule gerade
beim Wettbewerb „Umwelt macht Schu-
le“ einen ersten Preis gewann und Studien-
leiter Michael Winn, der die Fahrt initiiert
hat, Mitglied beim Bund für Umwelt und
Naturschutz ist? Ja, die Klasse geht auf
Kreuzfahrt. Nächste Woche schon.
Seitdem der Hessische Rundfunk davon
in einem dem Vorhaben gegenüber nicht
so freundlich eingestellten Beitrag berich-
tet hat, prasselt im Netz Häme auf Schüler
und Lehrer herab: So sind sie am feinen
Sachsenhäuser Gymnasium, lautet der Te-
nor; nach außen hin geben sie sich als Öko-
moralapostel, aber wenn eine lustige See-
fahrt winkt, ist das alles vergessen. Die
Sätze der Beteiligten machen die Sache
nicht besser. 390 Euro für fünf Tage seien
ein unschlagbares Preis-Leistungs-Ver-
hältnis, sagt Mathe-Lehrer Winn, und er
klingt, als erkläre er einem Vegetarier, war-
um er weiter Billigfleisch kauft. Ist schön
günstig und schmeckt so gut. Eine Schüle-
rin sagt, dass sie Probleme mit der Reise
habe – als Alternative zur Kreuzfahrt sei
aber lediglich eine Fahrradtour nach Würz-
burg vorgeschlagen gewesen. Die habe
auch keiner gewollt.
Lehrer Winn jedenfalls sieht sich nicht
auf dem falschen Dampfer. Die Reise sei
„in einem demokratischen Prozess von El-
tern und Schülern“ beschlossen worden,
sagt er derSüddeutschen Zeitung, es habe
nur eine Gegenstimme gegeben. Das
Schiff fahre übrigens nicht mit Schweröl
wie die Frachtschiffe, sondern mit schwe-
felfreiem Diesel, im Hafen gebe es Öko-
strom, und die Arbeitskräfte an Bord seien
sehr froh, dass sie diese Arbeit hätten. Ihm
sei es wichtig, dass die Schüler sich „mit
dem Thema vor Ort auseinandersetzen“ –
kritisch natürlich. Man werde während der
Fahrt dem Umweltoffizier an Bord auf die
Pelle rücken und ihm erklären, dass die
Kreuzfahrtschifffahrt noch viel mehr für
die Umwelt tun müsse, wolle sie die jun-
gen Leute als Kunden gewinnen.
Und überhaupt, fügt Michael Winn hin-
zu, was keiner der Kritiker bedenke. Jeder
Teilnehmer sei aufgerufen, freiwillig eine
CO2-Kompensation an die Klimaschutzor-
ganisation „atmosfair“ zu spenden. „Und
wenn alle mitmachen, dann reisen wir CO2-
neutral.“ MATTHIAS DROBINSKI

Hochrechnen für Fortgeschrittene


Verbote, Zuschüsse und ein schlafender Riese: Wie Union und SPD den Klimaschutz
entscheidend voranbringen wollen – und was die Konzepte bewirken könnten

In schwerer See


Wie der Klimaschutz vorankommt

Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Verursachern

*und Sonstige;
**Schätzung

SZ-Grafik; Quelle: Umweltbundesamt

0

300

600

900

1200

55

1010

2828
7575

181181

167167

208208

386386

7070

162162

117117

196196

311311

6161
9898
7272

143143

183183

19901990 20002000 ’10’10’11’11’12’12’13’13’14’14’15’15’16’16’17’17’18**’18** 20202020

Bisheriges Klimaziel
Deutschlands

Bisheriges Klimaziel
Deutschlands

Zielsetzung der
Bundesregierung

Zielsetzung der
Bundesregierung

20302030

12
51
1251

10
45
1045

94
3
94399202099252594

2
942
90
3
90390

7
907 90
7
907
86

6
866

751751

562562

91

1
911

38 Abfallwirtschaft*38 Abfallwirtschaft*38 Abfallwirtschaft*
90 Landwirtschaft90 Landwirtschaft90 Landwirtschaft

163 Verkehr163 Verkehr163 Verkehr

210 Gebäude210 Gebäude210 Gebäude

284 Industrie284 Industrie284 Industrie

466 Energie-
wirtschaft

466 Energie-
wirtschaft

466 Energie-
wirtschaft

Wie kriegt man 40 Milliarden Euro fürs Kli-
ma zusammen,wenn im Bundeshaushalt
das Geld längst verplant ist, die wirtschaft-
lichen Aussichten alles andere als rosig
sind und man sich selbst ein Verbot aufer-
legt hat, neue Schulden zu machen? Rich-
tig – man rechnet alles noch einmal durch.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD), derzeit ein Politiker mit besonders
engem Terminkalender, hat seine Leute be-
auftragt, durchzukalkulieren, wie der größ-
te Klimaschutz-Wurf in der bundesdeut-
schen Geschichte gelingen könnte, ohne
dass man die schwarze Null kippen müss-
te. Am Freitag soll das Ergebnis vorliegen.


Scholz war inzwischen verwegen genug,
ein Versprechen abzugeben. Beim Klima-
schutz werde es „nicht so dramatisch“ zu-
gehen, dass man sich von einem ausgegli-
chenen Haushalt verabschieden müsse.
Das Herbeirechnen der schwarzen Null
wird in Berlin inzwischen wie eine fünfte
Grundrechenart praktiziert. Aus Sicht des
Finanzministers, der auch Vizekanzler ist,


sich um den Ko-SPD-Vorsitz bewirbt und
bereit wäre, als Kanzlerkandidat der Sozial-
demokraten in die nächste Bundestags-
wahl zu ziehen, geht das so: Man lotet Spiel-
räume aus, addiert die erwarteten Einnah-
men aus zusätzlichen Maßnahmen, und
schon hat man das nötige Geld zusammen.
Das addiert sich Verhandlungskreisen zu-
folge auf jährlich acht bis zehn Milliarden
Euro bis 2023.
So einfach geht das?
Klar ist inzwischen, woher das Geld kom-
men soll: aus dem Bundeshaushalt, aus Er-
lösen des bisherigen und des geplanten
Handels mit Emissionsrechten sowie aus
höheren Steuern und Abgaben.
Der Reihe nach: Die meisten Milliarden
sollen über den existierenden Energie-
und Klimafonds (EKF) in die beabsichtig-
ten Klimaschutzmaßnahmen fließen. Im
EKF dürften sich Ende 2019 sieben Milliar-
den Euro an Rücklagen aus ungenutzten
Programmen angesammelt haben. Zusätz-
lich fließen jährlich rund vier Milliarden
Euro in den Fonds, fast die Hälfte davon
aus dem Bundesbudget, der Rest aus den
Erlösen des bisherigen Handels mit Emissi-
onsrechten.
Bliebe alles so, wie es ist, wären im EKF
bis 2023 theoretisch rund 23 Milliarden Eu-

ro verfügbar. Das wäre gut die Hälfte des-
sen, was für den Klimaschutz zusätzlich
veranschlagt ist. Woher aber kommen die
restlichen Milliarden?
Weil die Versteigerung von CO2-Emissi-
onsrechten an Energieunternehmen inzwi-

schen gut läuft, kalkuliert die Bundesregie-
rung mit steigenden Erlösen. Fachleute
glauben, dass die Erlöse jedes Jahr um
durchschnittlich eine Milliarde Euro stei-
gen könnten. Klappte das, wären schon 27
Milliarden Euro zusammen.

Der nächste Punkt: Was bringen die zu-
sätzlichen Maßnahmen ein? Die verdoppel-
te Ticketsteuer für Inlandsflüge etwa ver-
anschlagen Experten mit einer Milliarde
Euro jährlich. Die höhere KfZ-Steuer für be-
sonders klimaschädliche Autos dürfte da-
gegen kaum zu Mehreinnahmen führen,
weil im Gegenzug saubere Wagen weniger
besteuert werden sollen. Bliebe die Lkw-
Maut, die künftig auch für kleinere Last-
wagen und auf Landstraßen gelten soll.

Insider rechnen wiederum mit ungefähr ei-
ner Milliarde Euro an zusätzlichen Einnah-
men. Sie verweisen allerdings darauf, dass
dieses Geld direkt in die Kasse des Ver-
kehrsministeriums fließe. Um das Geld ins
Klimaschutzpaket der Bundesregierung
zu bugsieren, müsste im Ministerium um-
geschichtet und im Bundeshaushalt umge-
bucht werden.
Mit einigen Rechenübungen hätte die
Koalition so 35 Milliarden Euro zusam-
men. Von denen allerdings wiederum eini-
ges abgebucht werden muss.

Wird die Mehrwertsteuer für Bahntickets
gesenkt, fehlen 600 Millionen Euro jährlich.
Wird die energetische Gebäudesanierung
steuerlich absetzbar, ergibt das eine Milliar-
de Euro im Jahr weniger. Wird die Pendler-
pauschale um 20 Prozent erhöht, wie es die
Union fordert, schlägt das mit einigen Milli-
arden Euro zu Buche. Mit jeder weiteren
Kompensation sinken die Einnahmen.
Als letzter großer Posten verbliebe die
Bepreisung von CO 2 , das im Verkehr, beim
Wohnen und in der Landwirtschaft ausge-
stoßen wird. Das soll nicht über die Ver-
braucher laufen, sondern über die Firmen,
die bauen, Fleisch produzieren oder Autos.
Die Erlöse dürften so groß sein wie beim
CO2-Handel für Energieunternehmen –
wenn die Koalition sich entschlösse, den
Handel sofort und mit dem gleichen Zertifi-
katepreis einzuführen. Die Union aber
bremst, will „langfristig“ Preissignale set-
zen. Der Einstiegspreis für die Handelszer-
tifikate wird nur mit X angegeben.
Auch die Idee der Union, über einen „Kli-
ma- und Innovationsfonds“ eine Anleihe
auszugeben, um so an Geld zu kommen, oh-
ne die schwarze Null zu gefährden, ist ohne
weitere Details geblieben. Und so ist offen,
ob die Koalition ihre Rechenaufgabe mit X
wird lösen können. cerstin gammelin

Einsparpotenzial: Die Koalition will die Emissionen in der Landwirtschaft, beim Ver-
kehr undbei der Energieerzeugung drastisch senken – Ferkelaufzucht in Mecklen-
burg-Vorpommern, Stau in der westfälischen Kleinstadt Menden, Braunkohlekraft-
werk Jänschwalde in der Lausitz.FOTOS: JENS BÜTTNER, MARTIN GERTEN, MONIKA SKOLIMOWSKA / DPA (3)

2 HF2 (^) THEMA DES TAGES Mittwoch,18. September 2019, Nr. 216 DEFGH
„Nicht so dramatisch“: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gibt sich zuversichtlich,
genug Geld für das geplante Klimaschutzpaket zu haben. FOTO: BERND VON JUTRCZENKA / DPA
Umbuchen, bis es passt
FinanzministerOlaf Scholz möchte die zusätzlichen Milliarden für den Klimaschutz unbedingt zusammenbekommen, ohne die schwarze Null zu kippen
Im Klimafonds liegen schon
einmal sieben
Milliarden Euro – ungenutzt
Eine Idee wäre, zusätzliches
Geld mithilfe einer
Anleihe herbeizuschaffen
Konzepte für den KlimaschutzIn denvergangenen Wochen überboten sich die Parteien geradezu mit Vorschlägen und Forderungen.
Einige Ideen verschwanden schnell wieder in Schubladen, auf andere haben sich Union und SPD bereits verständigt, oder sie arbeiten
an einer Einigung. Die Zeit drängt. Nächsten Montag soll Angela Merkel beim UN-Gipfel „konkrete, realistische Pläne“ präsentieren

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