Süddeutsche Zeitung - 18.09.2019

(Tina Sui) #1
Als das Deutsche Museum im Jahr 1925,
mitten zwischenzwei Weltkriegen in einer
Zeit der Hoffnung und des Aufbruchs, er-
öffnet wurde, nahm die ganze Welt Anteil.
Oskar von Miller, der Ingenieur und Grün-
der, hatte Bayern elektrifiziert, und der
Fortschritt der Technik versprach den Men-
schen eine verheißungsvolle Zukunft:
Auto und Telefon, Traktor statt Pflug, und
Flugreisen in ferne Länder! Die Menschen
strömten ins Museum und staunten, und
Oskar von Miller wollte, dass sie auch ver-
stehen, wie die Erfindungen funktionie-
ren. Ein Bildungstempel der Technik war
das neue Haus.
Bomben und Raketen, Giftgas und Pan-
zer waren die Kehrseite der technischen
Entwicklung, und auch das Deutsche Mu-
seum wurde im Zweiten Weltkrieg schwer
getroffen. 80 Prozent der Gebäude und ein
Fünftel der Exponate waren beschädigt
oder zerstört. In den Fünfzigerjahren nur
notdürftig wieder aufgebaut, war das denk-

malgeschützte Ensemble auf der Isarinsel
bis heute nie wirklich saniert und moderni-
siert worden – bis Wolfgang Heckl mit Bun-
desforschungsministerin Annette Scha-
van (CDU) und Wolfgang Heubisch (FDP)
im Jahr 2011 den Vertrag für die „Zukunfts-
initiative“ unterschreiben konnte. Dann be-
gann die Planung. Zuerst wurden die De-

pots geräumt, 2014 dann die ersten Ausstel-
lungen. Zigtausende einzelne Objekte,
vom Mikroskop eines Joseph von Fraunho-
fers über das Hammerklavier und denStar-
fighterbis zum berühmten Doppeldecker,
derTante Ju, mussten das Museum verlas-
sen. Nebenbei hat man die Objekte katalo-
gisiert und digitalisiert – denn in vielen Be-
reichen wusste man gar nicht, was man al-

les hat. Weil das Museum bis heute kein ei-
genes Depot besitzt, mussten alte Lagerhal-
len rings um München angemietet wer-
den. Eine davon ist vergangenes Jahr in In-
golstadt einem Brand zum Opfer gefallen.
Die Sanierung erfolgt in zwei Abschnit-
ten, damit nicht das ganze Museum über
Jahre geschlossen werden muss. Viel ist
schon passiert: Ufermauern wurden befes-
tigt und das Fundament mit einer Beton-
wanne vor Hochwasser geschützt; der
Brandschutz ertüchtigt, Decken und Fens-
ter saniert. Im Hintergrund arbeiten die
Kuratoren an neuen Konzepten. Wie es in
Zukunft aussehen könnte, davon gaben
die erfolgreiche Ausstellung „Energiewen-
den“ und aktuell die Ausstellung „Kosmos
Kaffee“ einen Einblick. Auf der Homepage
werden Besucher ständig über den Verlauf
der Sanierung, über geöffnete und
geschlossene Abteilungen und die zahl-
reichen Führungen und Workshops infor-
miert. martina scherf

Ein Jahrhundert Museum


In seinerlangen Geschichte hat Münchens Tempel der Technik viel erlebt, wurde zerstört, wieder aufgebaut und soll nun in die Zukunft geführt werden


Der Kunst- und Wissenschaftsminister
hat mit seinem Amtsantritt vor einem
Jahr gleich mehrere Großbaustellen ge-
erbt. Museen und Hochschulen in Bayern
müssen dutzendweise saniert werden.
Das Deutsche Museum ist dabei vermut-
lich das aufwendigste Projekt. Denn nie-
mand hatte vorausgesagt, wie komplex
die Sanierung des fast 100 Jahre alten Ge-
bäudes werden würde. Weil es sich aber
um ein Haus von Weltrang handelt, betei-
ligt sich auch die Bundesregierung. An Si-
bler liegt es nun, nicht nur im bayeri-
schen Landtag, sondern auch in Berlin
weitere Millionen für das Museum locker-
zumachen. mse


von martina scherf

D

as Deutsche Museum ist eine der
größten Baustellen der Republik –
und ein Ende ist nicht absehbar.
Manche Beobachter sprechen jetzt schon
von der „Isar-Philharmonie“, denn die Kos-
ten laufen immer mehr aus dem Ruder.
Jetzt scheint auch die Geduld des Haupt-
geldgebers, des bayerischen Landtags, am
Ende zu sein. Die Abgeordneten fordern
Transparenz. Museumsdirektor Wolfgang
Heckl soll zusätzlich zum Generalbevoll-
mächtigten Bau nun so schnell wie mög-
lich ein kaufmännischer Direktor an die
Seite gestellt werden.
Das Museum ist keine staatliche Einrich-
tung. Es wirtschaftet eigenständig, ist aber
abhängig von der Finanzierung durch Land
und Bund (als eines von acht deutschen For-
schungsmuseen ist es Teil der Leibniz-Ge-
meinschaft) und untersteht als Körper-
schaft des öffentlichen Rechts der Aufsicht
des Freistaats. Auf Drängen der Abgeordne-
ten hat das Ministerium im Sommer einen
Sonderbericht der Controllingfirma Ernst
& Young Real Estate (EY RE) angefordert.
Der zeichnet auf 62 Seiten den Verlauf des
Projektes nach – und eine Liste von Ver-
säumnissen. Der Hauptvorwurf: Es fehle ei-
ne belastbare Kostenberechnung. Sowohl
für Bauabschnitt eins, der nach derzeitigem
Stand bis 2021 fertig sein soll, und erst recht
für Abschnitt zwei, mit dessen Sanierung
dann begonnen werden soll. Ohne Zahlen
kann der Landtag aber keine Nachforderun-
gen in den Haushalt einbringen.
„Das Projektteam des Deutschen Muse-
ums scheint seit Längerem sehr stark ausge-
lastet zu sein und seine Kapazitätsgrenzen
erreicht zu haben“, heißt es in dem Bericht.
„Eine Überprüfung der Teamstruktur und

des Ressourceneinsatzes wird von EY RE
eindringlich schon länger als nötig erach-
tet.“ Kostenmanagement und Projektkoor-
dination hätten nicht genügend funktio-
niert. Und schließlich: Alle Einrichtungen
der Leibniz-Gemeinschaft hätten einen
kaufmännischen Direktor, nur das Deut-
sche Museum nicht. Eine solche Position
soll jetzt eingeführt werden – „die Gefahr ei-
nes Ausscheidens des Deutschen Museums
aus dieser Gemeinschaft wird dadurch mini-
miert“. Diese Aussage wiegt schwer. Zwar
wurde die Forschungsleistung des Hauses
von der Leibniz-Gemeinschaft zuletzt posi-
tiv bewertet – doch wer seine Finanzen
nicht im Griff hat, gibt auch als Exzellenz-
einrichtung kein gutes Gesamtbild ab.

Im Frühjahr war bekannt geworden,
dass statt der veranschlagten 445 Millionen
mindestens 600 Millionen Euro nötig wer-
den – und dass auch diese Summe keines-
wegs reichen wird, um das gesamte Haus
samt seiner Ausstellungen so zu renovieren
und zukunftsfähig zu machen, wie man
sich das anfangs vorgestellt hatte. Wissen-
schaftsminister Bernd Sibler (CSU) hatte
daraufhin versprochen, man werde die 150
Millionen drauflegen, erwarte aber konkre-
te Szenarien, wie es weitergeht. Diese blie-
ben aus. Vor allem ist völlig offen, was die Sa-
nierung von Abschnitt zwei – er zieht mit At-
traktionen wie Bergwerk, Faradayschem
Käfig, historischer Schifffahrt oder Kraft-
maschinen immer noch mehr als eine Milli-
on Besucher pro Jahr an – kosten wird. Gibt
es dafür kein zusätzliches Geld, droht des-

sen Schließung. Denn das denkmalge-
schützte Haus hat erhebliche Sicherheits-
mängel, vor allem beim Brandschutz, aber
auch in der Statik.
Doch damit der Probleme nicht genug.
Ebenfalls im Frühjahr meldete das Architek-
turbüro Schmidt-Schicketanz und Partner
Insolvenz an. Aufgrund der alten Bau-
substanz, unerwarteter Probleme und wie-
derholter Änderungswünsche durch den
Bauherren, so die Architekten, habe man
mit dem vereinbarten Honorar die Personal-
kosten nicht mehr decken können. Das Mu-
seum kontert, die Architekten hätten die
Planung nicht im Griff gehabt. In dem Con-
trollingbericht heißt es nun, die Museums-
leitung habe die Architekten nicht ausrei-
chend kontrolliert. 250 offene Planungslü-
cken seien erkannt worden, „die zum Teil
deutlichen Verzug in den Teilbereichen
nach sich ziehen“.
Der Zeitpunkt der Kritik der Controller
überrascht. Denn im Verwaltungsrat des
Museums, der den Haushalt genehmigt, sit-
zen je ein Vertreter von Bund und Land. Sie
waren also informiert. Es gibt zudem einen
Lenkungsausschuss, in dem diese Vertreter
ebenfalls teilnehmen. Ernst & Young wurde
schon 2014 vom Wissenschaftsminister als
Controller eingeschaltet. Seither berichten
sie vierteljährlich ans Ministerium. „EY RE
ist zu jedem Zeitpunkt in den gesamten Pro-
zess eingebunden gewesen und hat auch
die Entscheidungen, wie mit den früheren
Architekten umzugehen sei, mitgetragen“,
heißt es von Seiten der Museumsleitung.
„Dass die Controller jetzt sagen, sie seien
von der Kostenentwicklung überrascht, ist
schon verwunderlich“, sagt auch Robert
Brannekämper (CSU), Vorsitzender des Wis-
senschaftsausschusses im Landtag. Dort
hatten Museumsdirektor Heckl und Dieter

Lang, Generalbevollmächtigter für die Sa-
nierung, am 3. Juli den Abgeordneten Rede
und Antwort gestanden. „Das war lächer-
lich“, sagt allerdings Verena Osgyan von den
Grünen, „wir haben überhaupt nichts Nähe-
res erfahren, wie es weitergeht.“ Und auch
Brannekämper sagt: „Unsere Fragen wur-
den nicht beantwortet.“ Man hätte früher
Alarm schlagen müssen.

„Seit Oskar von Miller, dem Museums-
gründer, wird das Haus in Personalunion ge-
führt“, sagt Brannekämper. Doch ein Direk-
tor könne unmöglich eine so hochkomplexe
Sanierung managen. Jetzt, da man von
Bund und Land mehr Geld brauche, „muss
man in Berlin auf jeden Fall den Eindruck
vermeiden, die Bayern schaufeln das Geld
in die Isar“. Schon bei Vertragsunterzeich-
nung vor acht Jahren sei klar gewesen, dass
400 Millionen nicht reichen. „Das war ein
Fehlstart. Bund und Land müssen noch mal
so viel drauflegen.“
Obwohl also längst klar war, dass die Kos-
ten explodieren, dass die Architekten wo-
möglich abspringen, dass die Baustelle sich
um Jahre verzögern wird, hat Wolfgang
Heckl stets den Eindruck vermittelt, man
habe alles im Griff. Und bei jeder Gelegen-
heit erzählt, dass er am 7. Mai 2025, dem Ge-
burtstag Oskar von Millers, zum 100. Jahres-
tag der Einweihung eines der schönsten
Häuser der Welt eröffnen werde. Noch An-
fang dieses Jahres führten er und Lang
Kunstminister Bernd Sibler und Finanzmi-
nister Albert Füracker über die Baustelle,
auf der zeitweise bis zu 400 Arbeiter gleich-

zeitig werkelten und auf 35 000 Quadratme-
tern Fläche fast kein Stein auf dem anderen
blieb. „Wir sind voll im Zeitplan. 2025 soll
das ganze Gebäude fertig sein, und das wer-
den wir auch schaffen“, erklärten sie den Mi-
nistern. Das ist längst Makulatur.
Acht Monate später scheint es, als ob hin-
ter den Kulissen nun der Schwarze Peter
hin- und hergeschoben wird. Dass es so vie-
le Verantwortliche gibt – Museumsleitung,
Verwaltungsrat, Kuratorium, Ministerium,
Projektsteuerer und Controller – macht die
Sache nicht einfacher. „Vielleicht muss man
auch mal über diese Verfasstheit neu nach-
denken“, wirft Verena Osgyan in den Raum.
Immerhin hat ein neues Architekturbü-
ro, Rhode Kellermann Wawrowsky aus Düs-
seldorf, nahtlos die Planung übernommen
und ist derzeit dabei, sich einzuarbeiten.
Und die Bedeutung des Hauses als weltweit
beachtetes Technikmuseum ist allen Ver-
antwortlichen bewusst. Sibler betont: „Das
Wissenschaftsministerium steht selbstver-
ständlich weiter hinter dem Projekt und hat
hohes Vertrauen in die Umsetzungsfähig-
keit des Deutschen Museums. Zentrales Pro-
blem der Sanierung ist die aktuelle Baukon-
junktur, wie auch bei anderen Großprojek-
ten in anderen Bundesländern unlängst er-
neut deutlich wurde.“ Erst vor wenigen Ta-
gen war bekannt geworden, dass in Berlin
das von Herzog & de Meuron geplante Mu-
seum der Moderne 450 statt 200 Millionen
Euro kosten wird. Das Berliner Naturkunde-
museum, viel kleiner als das Deutsche Mu-
seum, soll 660 Millionen Euro von Bund
und Land bekommen.
„Am Ende wird es gut werden“, sagt Ro-
bert Brannekämper, der selbst Architekt
ist. „Bei der Elbphilharmonie redet auch kei-
ner mehr darüber, was sie gekostet hat.
Man freut sich über das tolle Haus.“

„Kosmos Kaffee“ ist ein Beispiel für ein modernes Ausstellungskonzept.FOTO: GUTHKNECHT

Deutsches MuseumErstwar von 445 Millionen Euro die Rede, dann von 600 Millionen, inzwischen ist klar,


dass auch diese Summe bei Weitem nicht ausreichen wird: Die Arbeiten an dem denkmalgeschützten Gebäude sind wesentlich teurer


und dauern deutlich länger als geplant. Nun wird erbittert darüber gestritten, wer die Schuld an der Misere trägt


Man dürfe nicht den Eindruck
erwecken, „die Bayern
schaufeln das Geld in die Isar“

Außer Kontrolle


Die Kosten für die Sanierung laufen zunehmend aus dem Ruder. Die Controllingfirma Ernst & Young erhebt schwere Vorwürfe gegen
die Leitung des Hauses. Und beim wichtigsten Geldgeber, dem Landtag, verliert man langsam aber sicher die Geduld

Der Jurist und Eigentümer eines der größ-
ten deutschen Ingenieurbüros hat schon
gewaltige Projekte gemanagt, darunter
den Umzug des Münchner Flughafens. Er
ist seit 2014 stellvertretender Vorsitzen-
der des Verwaltungsrats des Museums.
Den Vorsitz führte bislang Wolfgang
Reitzle (Linde AG), bestens vernetzt in
Wirtschaft und Politik. Er ging schon mal
persönlich ins Büro des Ministerpräsiden-
ten, um ihm die Dringlichkeit der Förde-
rung zu erläutern. Im Frühjahr 70 gewor-
den, hat Reitzle sein Mandat niederge-
legt. Cronauer führt bis zur nächsten Sit-
zung im November die Geschäfte. mse


Die Arbeiten erfolgen
in Abschnitten, damit nicht
das gesamte Haus schließen muss

Der Bauingenieur ist erfahren in Großpro-
jekten. Deshalb wurde er 2014 ins Direk-
torium des Museums berufen, um als Ge-
neralbevollmächtigter Bau die Sanierung
zu leiten. Er ging die Sache gründlich an,
hat 1300 Probebohrungen machen las-
sen – und musste doch ständig Überra-
schungen erleben. Mal fand man eine
Fliegerbombe, dann Asbest, mal erwie-
sen sich Decken als marode, dann muss-
ten Flugzeuge abtransportiert werden.
Schließlich meldete das Planungsbüro
Insolvenz an, und die Controller verlan-
gen ständig belastbare Zahlen. Selbst für
einen Profi wie Lang ein bisschen viel an
Aufgaben auf einmal. mse


Ohne Ende Baustelle: Wie lange die Arbeiten am Deutschen Museum noch dauern werden, kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen. FOTO: FLORIAN PELJAK

Der Physiker ist seit 2004 Direktor des
Deutschen Museums und zugleich Profes-
sor für Wissenschaftskommunikation an
der Technischen Universität München.
Technik erklären, Begeisterung wecken,
das ist für den 60 Jahre alten Wissen-
schaftler nicht nur Beruf, sondern Leiden-
schaft. Auch als Spendensammler für das
Museum hat er großes Talent bewiesen.
Heckl war davon ausgegangen, das Ma-
nagement der Jahrhundertsanierung
selbst managen zu können. Erst im Laufe
des Projekts wurde klar, dass es
einen Fachmann für die Bauleitung
braucht. Jetzt bekommt er auch noch ei-
nen kaufmännischen Direktor an die Sei-
te gestellt. Als Generaldirektor wird
Heckl vom Verwaltungsrat beraten. mse


Man hätte früher Alarm
schlagen müssen, kritisiert
ein Landtagsabgeordneter

Bernd Sibler


FOTO: ROBERTHAAS

FOTO: FLORIAN PELJAK

FOTO: IMAGO

Dieter Lang


FOTO: STEPHAN RUMPF

Axel Cronauer


Wolfgang Heckl


DIE AKTEURE


R2 – (^) THEMA DES TAGES Mittwoch,18. September 2019, Nr. 216 DEFGH

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