Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1
Donata Riedel Berlin

T


eurer, später fertig und
dann nicht einsatzbereit:
Das erlebte die Bundes-
wehr in jüngster Zeit all-
zu oft, wenn neue Waf-
fen ausgeliefert wurden. Nagelneue
Korvetten, die schief im Wasser lie-
gen, fehlerhafte Hubschrauber, aus-
ufernde Kosten bei der Reparatur der
Gorch Fock sowie Bestellungen von
Fregatten, Luftabwehrsystemen,
Kampfflugzeugen, die sich über Jahre
hinziehen: Das Beschaffungswesen
der Bundeswehr funktioniert nicht
so, wie es funktionieren soll.
Die neue Bundesverteidigungsmi-
nisterin Annegret Kramp-Karrenbau-
er (CDU) will das Problem jetzt an-
ders angehen als ihre Vorgängerin
Ursula von der Leyen: In kleinen
Schritten will sie das Beschaffungs-
amt der Bundeswehr in Koblenz er-
tüchtigen – und vorher die Mitarbei-
ter von den geplanten Minireformen
überzeugen.
Die einzelnen Reformschritte wolle
sie mit den Personalräten regelmäßig
besprechen, versprach sie am Diens-
tag auf einer Betriebsversammlung
des Beschaffungsamts „BaainBW“ in

der Koblenzer Moselhalle. „Wir wol-
len und müssen bei der Beschaffung
besser werden“, hatte die Ministerin
vergangene Woche in ihrer Haus-
haltsrede im Bundestag angekündigt.
Große Umbauten würden vermie-
den, aber man könne an kleineren
Stellschrauben drehen.
Vom Tisch sind damit endgültig
Pläne der früheren Rüstungsstaatsse-
kretärin Katrin Suder, das Beschaf-
fungsamt in eine Anstalt öffentlichen
Rechts umzuwandeln, um es im
zweiten Schritt privatisieren zu kön-
nen. Geplant ist nun auch nicht
mehr, die in Koblenz zentralisierte
Beschaffungsorganisation aufzuspal-
ten und ganze Abteilungen an die
Standorte der Teilstreitkräfte Heer,
Marine und Luftwaffe zu verlegen. Es
reiche, wenn zum Beispiel die Mari-
neexperten des Amtes projektbezo-
gen auch einmal in Wilhelmshaven
arbeiten würden – und einige Leute
aus den Streitkräften ins Amt nach
Koblenz wechseln würden, hieß es
im Verteidigungsministerium.
Von einer großen Reorganisation
des Beschaffungsamts mit seinen
11 500 Stellen hält Kramp-Karrenbau-

er wenig: Dann wäre das Amt mona-
telang nur mit sich selbst beschäftigt,
anstatt dringend benötigte Ausrüs-
tung für die Soldaten zu beschaffen.
Nach Einschätzungen aus dem Minis-
terium ist es auch heute schon mög-
lich, dass die Bundeswehr zum Bei-
spiel handelsübliche Laptops einfach
einkauft und nicht beschaffen lässt:
Die dafür bisher im Beschaffungsamt
zuständige Abteilung allerdings soll
dafür in die Bundeswehr-IT-Gesell-
schaft BWI GmbH wechseln.
Im März hatte eine Expertenkom-
mission unter Leitung des früheren
Commerzbank-Chefs Klaus-Peter Mül-
ler eine Schwachstellenanalyse des
Beschaffungswesens mit Verbesse-
rungsvorschlägen vorgelegt. Der Be-
richt hatte unter den Personalräten
des Koblenzer Amtes viel Ärger aus-
gelöst. Daraus übernehmen will das
Verteidigungsministerium jetzt vor al-
lem die Idee von Kompetenzpools:
Experten unter den Soldaten sollen
jeweils dort zusammengezogen wer-
den können, wo sie für ein Projekt ge-
braucht werden. Bisher werden Sol-
daten meist alle paar Jahre quer
durch die Truppe versetzt: Nur so
können sie aufsteigen. Expertenkar-
rieren sollen nun möglich werden.
Aufgreifen will Kramp-Karrenbau-
er auch den Vorschlag, Personal
durch sogenannte Direkteinstellun-
gen zu ergänzen. Das Beschaffungs-
amt leidet darunter, dass 2 500 Stel-
len nicht besetzt sind, zum Teil seit
Monaten. Die fehlenden Leute sollen
nun nicht wie bisher ausschließlich
in der Bundeswehr ausgebildet wer-
den, sondern direkt eingestellt wer-
den können: Zum Beispiel könnten
Schiffbautechniker auch aus der In-
dustrie angeworben werden.
Verkleinern jedenfalls will Kramp-
Karrenbauer das Amt auf keinen Fall:
In den nächsten Jahren sollen mehr
Rüstungsgüter beschafft werden als
in früheren Jahren, auch weil ein
Großteil der Waffensysteme veraltet
ist. Der Verteidigungsetat wurde vor
allem dafür aufgestockt. Bis 2022 spä-
testens will man im Ministerium er-
reichen, dass alle offenen Stellen im
Beschaffungsamt besetzt sind.

Verteidigung


Mini-Reform


für schnelleren


Rüstungseinkauf


Ministerin Kramp-Karrenbauer will das


Beschaffungsamt der Bundeswehr „pragmatisch“


umbauen. Privatisierung ist endgültig vom Tisch.


Transportflug-
zeug A400M:
Tücken bei der
Beschaffung.

dpa [M]

Saudi-Arabien


Regierung will


Embargo


verlängern


Donata Riedel Berlin


K


anzlerin Angela Merkel
(CDU) hat sich am Dienstag
für eine Verlängerung des
Rüstungsexportstopps an Saudi-Ara-
bien ausgesprochen. „Ich sehe im Au-
genblick keine Voraussetzung für eine
veränderte Haltung der Bundesregie-
rung“, sagte sie in Berlin und beende-
te damit eine Diskussion in ihrer Par-
tei. In der CDU hatten sich zuvor die
Stimmen gemehrt, die einen Kurs-
wechsel bei Rüstungsexporten nach
Saudi-Arabien forderten. „Soweit es
um defensive Waffen geht, ist eine
Unterstützung Saudi-Arabiens in un-
serem Interesse“, sagte Unionsfrakti-
onsvize Johann Wadephul dem Han-
delsblatt. „Die SPD muss in der neu-
en Lage ankommen“, verlangte er
mit Blick auf die Angriffe auf Ölför-
deranlagen in Saudi-Arabien am ver-
gangenen Wochenende.
Die Bundesregierung hatte sich im
Koalitionsvertrag auf ein Waffen -
embargo gegen Staaten verständigt,
die am Jemenkrieg beteiligt sind. Das
sind vor allem Saudi-Arabien und die
Vereinigten Arabischen Emirate. Im
März war der Rüstungsexportstopp
bis zum 30. September verlängert
worden. Die Bundesregierung hatte
ihn nach dem Mord an dem regime-
kritischen Journalisten Jamal Kha -
shoggi in der saudischen Botschaft in
Istanbul verschärft.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich
hatte zuvor betont, dass seine Partei
auf einer erneuten Verlängerung des
Embargos beharren werde. Auch we-
gen der Halbzeitbilanz der Regie-
rungsarbeit, die die SPD auf ihrem
Parteitag im Dezember ziehen will,
hielten es Regierungskreise für aus-
sichtslos, mit der SPD über eine Lo-
ckerung zu verhandeln. In der Indus-
trie wurde diese Einschätzung geteilt;
man richte sich auf eine Verlänge-
rung ein, hieß es.
Auch in der CDU sind die Meinun-
gen zu Waffenlieferungen an Saudi-
Arabien geteilt. Norbert Röttgen, Vor-
sitzender des Auswärtigen Ausschus-
ses, sprach sich für eine
Verlängerung des Rüstungsexport-
stopps aus. Im Hinblick auf die um-
fangreichen Rüstungsimporte Saudi-
Arabiens seien Waffen nicht von „ir-
gendeiner Bedeutung für die
Stabilität“, so Röttgen. Der außenpo-
litische Sprecher der Unionsfraktion,
Jürgen Hardt (CDU), sprach sich dem-
gegenüber wie Wadephul für Waffen-
lieferungen zur Selbstverteidigung an
Saudi-Arabien und die Emirate aus.
Die Argumentation: Im Jemen seien
die Angreifer immer schwerer zu
identifizieren. Man müsse deshalb
mit Deutschlands strategieschen Part-
nern kooperieren – und zu denen
zähle „auch Saudi-Arabien“, so Hardt.
Röttgen schlug dagegen angesichts
der Spannungen in der Golfregion ei-
ne „europäische Initiative“ vor, etwa
eine „Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Mittleren Os-
ten“, wie er im „Deutschlandfunk“
sagte. Nach seiner Einschätzung steht
die gesamte Region „ganz kurz vor ei-
nem Krieg“.
Zu dem Angriff auf die Ölanlagen
hatten sich die vom Iran unterstütz-
ten Huthi-Rebellen bekannt, US-Au-
ßenminister Mike Pompeo machte
dagegen den Iran verantwortlich.


Wir wollen


und müssen


bei der


Beschaffung


besser


werden.


Annegret
Kramp-Karrenbauer
Bundesverteidigungs -
ministerin

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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