Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1
Larissa Holzki, Andreas Kröner
Düsseldorf Frankfurt

V


or knapp einem Jahr ist
Christoph Böhm vom
Softwarekonzern SAP
zur Deutschen Börse ge-
wechselt. Seitdem treibt
der 52-Jährige den Umbau des hessi-
schen Dax-Konzerns mit viel Elan vo-
ran. Ein zentrales Element ist dabei
die verstärkte Nutzung von Cloud-Lö-
sungen. Und Böhm kann nun einen
weiteren Meilenstein verkünden: ei-
ne umfangreiche Zusammenarbeit
mit der Google Cloud.
Im Rahmen der Kooperation wer-
de die Deutsche Börse interne Pro-
zesse digitalisieren und neue Angebo-
te für Kunden entwickeln, kündigte
Böhm im Gespräch mit dem Handels-
blatt an. „Ein weiteres wesentliches
Ziel bei der Zusammenarbeit mit
Google ist es, gemeinsam Angebote
für die Finanzmarktindustrie im Be-
reich Datenschutz und Datensicher-
heit zu entwickeln.“
Das sei wichtig, schließlich sorge
die Digitalisierung bei vielen für Unsi-
cherheit. Google und die Deutsche
Börse wollen dem nun entgegenwir-
ken, indem sie Transparenz schaffen
und kontinuierliche Kontrollen etab-
lieren. „Denn dann kann jeder nach-
vollziehen, was mit den Daten pas-
siert“, erklärte Böhm.
Google-Managerin Annette Maier
sagte, es gebe für US-Behörden „kein

Hintertürchen“, um Daten aus der
Google Cloud auszuspähen. „Wenn
es um Strafverfolgung geht, stellen
wir Daten nur bereit, wenn es ent-
sprechende Gerichtsbeschlüsse gibt.“
Grundsätzlich hätten Kunden zudem
die Option, dass ihre Daten nur auf
Servern in bestimmten Regionen ge-
speichert werden, etwa im Groß-
raum Frankfurt oder in Zürich.

Amazon hat die Nase vorn
Unternehmen können über Cloud-
Anbieter externe IT-Leistungen wie
Speicherplatz, Prozessorleistung und
Programme aller Art beziehen. Zu-
dem können Firmen Daten mithilfe
von Clouds besser auswerten und
neue Produkte schneller entwickeln.
Der Markt für die sogenannte
„Public Cloud“, die komplett beim
Dienstleister läuft, wird von den
Tech-Riesen beherrscht. Die fünf
größten Dienstleister – Amazon, Mi-
crosoft, Alibaba, Google und IBM –
bieten laut Marktforschungsinstitut
Gartner zusammen etwa 73 Prozent
dieser Cloud-Services an.
Amazon hat dabei mit nahezu
48 Prozent Marktanteil die Nase
vorn. Google liegt mit nur vier Pro-
zent abgeschlagen auf Platz vier. Um-
so wichtiger ist für den US-Konzern
ein namhafter Partner wie die Deut-
sche Börse, an dem sich andere Un-
ternehmen orientieren könnten.
„Für uns ist der Bereich Banken
und Versicherung ein wichtiges Feld,

in dem wir den Kunden besser ver-
stehen wollen, um die passenden Lö-
sungen zu entwickeln“, sagt Maier.
Die gewonnenen Erkenntnisse nutze
Google jedoch nicht für die eigenen
Finanzaktivitäten, etwa für das Be-
zahlangebot Google Pay. „Google Pay
läuft separat, das ist eine andere
Sparte innerhalb des Konzerns.“
Im Rahmen der Cloud-Kooperation
will Google der Deutschen Börse hel-
fen, Modelle zur besseren Datennut-
zung zu entwickeln. Diese Modelle
würden von den Hessen dann an ihr
eigenes Geschäft angepasst, betonte
Maier. „Wir haben weder Zugriff auf
die von der Börse modifizierten Mo-
delle noch auf deren Daten.“
Die Deutsche Börse hat im Mai be-
reits eine umfangreiche Cloud-Ko-
operation mit Microsoft vereinbart.
Doch sie will in dem Bereich bewusst
mit mehreren Konzernen zusam-
menarbeiten, um nicht abhängig von
einem Anbieter zu werden.
Zudem will das Unternehmen ge-
zielt die individuellen Stärken der
Cloud-Anbieter nutzen. Bei Google
liegen die Stärken aus Sicht der Deut-
schen Börse in der Entwicklung von
Technologien, die unabhängig von ei-
ner Plattform funktionieren, sowie
im maschinellen Lernen zur Analyse
großer Datenmengen.
Die Deutsche Börse stellt Finanz-
marktakteuren über Schnittstellen
bereits heute sehr viele Daten zur
Verfügung. Laut Böhm wünschen

Cloud-Technologie


Deutsche Börse


vertraut auf Google


Maschinelles Lernen soll die Handelsplattform stärken.


Handelssaal der
Deutschen Börse:
Neue Angebote
für die Kunden.

Bloomberg

sich viele Kunden jedoch zusätzlich
auch Auswertungsangebote wie Vor-
hersage- und Risikobewertungsmo-
delle. Da es sich um gigantische Da-
tenbestände handle, müsse die Börse
dazu moderne Technologien wie ma-
schinelles Lernen einsetzen.
„Wir stellen Marktplätze bereit und
wollen dabei Dienstleistungen nut-
zen, die optimal auf unsere Kunden
zugeschnitten sind“, sagte Böhm.
„Aber wir möchten nicht selbst ent-
wickeln, was wir bei wichtigen Part-
nern aus der Cloud sehr standardi-
siert nutzen können, denn das ist
nicht unser Kerngeschäft.“
Neben neuen Angeboten für Kun-
den will Böhm durch die Zusammen-
arbeit mit Google auch die internen
Prozesse der Deutschen Börse be-
schleunigen. Viele Anfragen per
E-Mail, Telefon oder Brief wiederhol-
ten sich. „Diese Prozesse wollen wir
digitalisieren. Maschinen sollen die
Anfragen ordnen und Empfehlungen
geben, wie man sie beantworten
kann“, sagte Böhm. „Die letzte Ent-
scheidung, wie wir antworten, sollen
jedoch weiterhin Menschen treffen.“
Im Vergleich zu anderen Sektoren
zählt die Finanzbranche bislang nicht
zu den stärksten Nutzern von Cloud-
Lösungen. Das liegt auch an den hohen
regulatorischen Anforderungen. Darü-
ber hinaus haben viele Finanzmanager
Bauchschmerzen, ihre Daten bei ame-
rikanischen oder chinesischen Anbie-
tern zu speichern. Commerzbank-Chef
Martin Zielke und auch einige Politiker
fordern deshalb den Aufbau eines gro-
ßen europäischen Cloud-Anbieters.
Auch Böhm fände eine „starke eu-
ropäische Alternative“ gut. „Die wür-
den wir dann auch sehr gerne nut-
zen.“ Aktuell gebe es ein solches An-
gebot aber nicht. Deshalb setzt die
Deutsche Börse bis auf Weiteres auf
Angebote von US-Konzernen, die auf
die Anforderungen europäischer Fir-
men zugeschnitten sind.
Ein ausführliches Doppelinter-
view mit Google-Managerin Maier
und Deutsche-Börse-Vorstand
Böhm gibt es auf handelsblatt.com.

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PROZENT
beträgt der
Marktanteil von
Google im Cloud-
Geschäft.

Quelle: Gartner

Unternehmen & Märkte


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MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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