Luftfahrt
Air Berlin
2.0
Z
wei Jahre ist es her, dass Air
Berlin Insolvenz anmelden
musste. Immer noch trauern
viele der einst zweitgrößten deut-
schen Airline hinterher. Und das
sind beileibe nicht nur die Urlauber
etwa auf Mallorca. Auch in der Rei-
sebranche vermissen viele die An-
gebote mit den rot-weißen Jets.
Die Sehnsucht nach einer Air Ber-
lin ist nachvollziehbar. Bei allen
Fehlern, die die Manager begingen
- zur Wahrheit gehört auch, dass
die Airline eine durchaus erfolgrei-
che Ferienfluggesellschaft war. Rei-
severanstalter griffen gerne auf de-
ren Angebote zurück. Air Berlin war
lange Zeit unabhängig von einem
großen Konzern und gerade des-
halb eine attraktive Alternative zu
großen anderen Anbietern.
Insofern ist es per se eine gute
Idee, über eine Art Nachfolge für
Air Berlin nachzudenken: durch die
Schaffung einer großen, unabhängi-
gen Ferienfluggesellschaft. Tui-Chef
Friedrich Joussen hat recht, wenn
er die massiven Überkapazitäten im
Markt für Touristik-Airlines beklagt.
Der harte Preiswettbewerb ruft ge-
radezu nach einer Konsolidierung,
nach größeren Einheiten, die auch
mehr Macht bei der Preisgestaltung
haben.
Das Problem: Ebendieser hohe
Preiswettbewerb ist auch das größ-
te Risiko für einen solchen konsoli-
dierten „Ferienflieger“. Auf Dauer
kann der nur wirtschaftlich funktio-
nieren, wenn alle Marktteilnehmer
sich verpflichten, dort einen Teil ih-
rer Flüge einzukaufen. Wenn Veran-
stalter ihre Gäste künftig lieber mit
Billigairlines zu ihren Hotels und
Kreuzfahrtschiffen bringen, wird
das Vorhaben scheitern.
Wer als Veranstalter einer Air
Berlin nachtrauert, muss in letzter
Konsequenz auch bereit sein, ei-
nem möglichen „Nachfolger“ wirt-
schaftlich eine Chance zu geben. Ei-
ne neue unabhängige Ferienflug -
gesellschaft benötigt ein klares
Bekenntnis aller Marktteilnehmer.
Denn das Beispiel Air Berlin hat
auch gezeigt: So attraktiv die Airline
als Mallorca-Bomber war – auf Dau-
er sind Dumpingpreise nicht durch-
zuhalten. Das gilt auch für das Feri-
enfluggeschäft.
Eine große neue Airline für
Touristen kann nur dann
funktionieren, wenn nicht mehr alle
billig kaufen, mahnt Jens Koenen.
„Wir brauchen eine Dynamik, um Datenschutz
und Datenverarbeitung, Risikoabschätzungen
sowie wirtschaftliche und gesellschaft-
liche Potenziale in Einklang zu bringen.“
Susanne Dehmel, Bitkom-Geschäftsführerin, fordert
Nachbesserungen bei der Datenschutz-Grundverordnung.
Worte des Tages
Der Autor leitet das Büro
Unternehmen & Märkte in
Frankfurt. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
E
s ist nur wenige Wochen her, dass der
neue Tengelmann-Chef Christian Haub
einen historisch einschneidenden
Schritt bekanntgab: Die Holding des Fa-
milienunternehmens in der Ruhrgebiets-
stadt Mülheim wird geschlossen. Die Dachgesell-
schaft passt nicht mehr zur neuen, dezentralen Or-
ganisation, sie war unzeitgemäß und überdimensio-
niert. Wer dort durch die riesigen Flure ging und in
die leeren großen Besprechungsräume blickte, der
konnte verstehen, dass bei Tengelmann ein Auf-
bruch hermusste. Zuletzt noch 200 Mitarbeiter dort
müssen sich eine neue Aufgabe suchen.
Nun folgt mit Haniel die nächste komplette Neu-
ausrichtung eines großen deutschen Familienunter-
nehmens. Der neue Vorstandschef Thomas Schmidt,
gerade einmal zweieinhalb Monate in dieser Positi-
on, schaltet von Konsolidierung auf Wachstum, in-
vestiert eine halbe Milliarde in Start-ups und defi-
niert klare Portfolioziele. Und auch bei Haniel in
Duisburg passt eine zu große Holding nicht mehr da-
zu. 60 Stellen werden gestrichen.
Das ist kein leichter Schritt für ein traditionsrei-
ches Familienunternehmen. Die Haniels und Haubs
und auch andere Unternehmerfamilien haben stets
in einer besonderen Verantwortung für ihre Mitar-
beiter gelebt. Dafür arbeiten die loyalen Beschäftig-
ten oft in mehreren Generationen für dieselbe Fami-
lie – die meist für Verlässlichkeit und Langfristigkeit
stand. Aber in der neuen Wirtschaftsdynamik wäre
es grundsätzlich falsch, länger an alten Strukturen
festzuhalten und eine überfällige Modernisierung
mit Verweis auf Traditionen aufzuhalten.
Unternehmerfamilien müssen erkennen: Senti-
mentalität ist kein Geschäftsmodell. Die Welt dreht
sich immer schneller, auch um Tengelmann, Haniel,
um Werhahn oder den Springer-Konzern, der eben-
falls in einer tiefen Transformation steckt. Sie alle ha-
ben in ihrer langen Tradition stets versucht, Risiken
zu minimieren und die Enkelfähigkeit zu sichern, ha-
ben Beteiligungen gekauft und wieder verkauft – al-
les zu seiner Zeit. Nämlich dann, wenn der Markt
nicht mehr zukunftsfähig erscheint oder das Unter-
nehmen nicht mehr zur langfristigen Strategie passt.
Nun sind sie in eine neue Phase der Disruption
eingetaucht. Das erfordert neues Denken, neue
Strukturen und mitunter auch neues Personal. Ha-
niel-Chef Schmidt hat erkannt, dass eine Wachs-
tumsstrategie nur mit den richtigen, unternehme-
risch denkenden Mitstreitern gelingt. Einige hat er
bereits um sich versammelt, und auch seine künftige
Aufsichtsratschefin Doreen Nowotne steht für pro-
fessionelles Investieren nach klaren Kriterien und
ohne Sentimentalitäten. Sie ist erst seit 2018 im Auf-
sichtsrat und hat gemeinsam mit Schmidt die Zei-
chen auf Wachstum gestellt.
Dass ein Familienunternehmer für die Umsetzung
seiner Ziele keine üppig ausgestattete Holding
braucht, zeigt das Beispiel von Philipp Haindl. Der
Nachkomme aus der Papierdynastie Haindl hat in
den vergangenen neun Jahren eine komplett neue
Holding aufgebaut – mit gerade einmal rund 30 Leu-
ten. Haindl und seine beiden Mitgründer treffen mit
dieser schlanken Organisation schnelle Entschei -
dungen, um jede einzelne Firma ihres Portfolios zu-
kunftsfähig zu machen. Am Dienstag erst hat Haindls
Serafin-Gruppe die Übernahme des europäischen
Polycarbonatplatten-Geschäfts von Covestro mit ei-
nem Umsatz von 130 Millionen Euro perfekt ge-
macht.
Dies hätte zumindest größenmäßig auch in Ha-
niels Beuteschema gepasst, doch das Unternehmen
ist noch nicht so weit. Die Duisburger müssen ihre
Metro-Beteiligung über 15,2 Prozent schleunigst los-
werden, ihr Einfluss dort ist viel zu gering, um etwas
zu bewegen. Wichtiger noch: Mit den Einnahmen
könnte CEO Schmidt seinen Investitionsplan besser
vorantreiben. 2021 will Haniel mit seiner neuen
Wachstumsstrategie richtig durchstarten. Noch ist es
zwar nicht ausgemacht, ob diese komplette Neuaus-
richtung gelingt – man wird den Erfolg erst in eini-
gen Jahren bewerten können. Doch die Leitplanken
dafür hat der Ruhrgebietskonzern nun gesetzt.
Für die großen Familienfirmen – mit immerhin
noch 4,68 Milliarden Euro Umsatz bei Haniel,
7,8 Milliarden bei Tengelmann und 3,5 Milliarden bei
Werhahn – stehen die Zeichen auf Professionalität.
Es ist schon ein klares Signal, das der neue Haniel-
Chef mit seinem langfristigen Renditeziel von mehr
als neun Prozent an die rund 700 Gesellschafter sen-
det: Nur wenn man über einen bestimmten Zeit-
raum den Dax schlägt, wird man die Gesellschafter
bei der Stange halten.
Offenbar sind bei manchen Anteilseignern Senti-
mentalitäten zum Unternehmen nicht mehr selbst-
verständlich, agieren sie eher als Investoren. Das
kann man kritisch als Ende des klassischen Familien-
unternehmens sehen – aber genauso gut positiv als
einen Akt der Reife, mit dem eine Familienfirma
neuen Schwung bekommt. In jedem Fall folgt es der
richtigen Überzeugung, dass das Festhalten an Alt-
hergebrachtem kein Geschäftsmodell ist.
Leitartikel
Keine
Sentimentalität
Die großen
Familienunter-
nehmen müssen
mit kleineren,
agilen
Holdings ihre
Zukunftsfähigkeit
sichern, meint
Anja Müller.
Familienfirmen
erleben eine
Phase der
Disruption.
Das erfordert
neues Denken,
neue Strukturen
und mitunter
neues Personal.
Die Autorin ist Korrespondentin für
Familienunternehmen. Sie erreichen sie unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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