Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1
Thomas Heilmann

„Ich erwarte


eine neue


Gründerzeit“


Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas
Heilmann hat die Initiative zur Einführung
digitaler Wertpapiere gestartet.

Herr Heilmann, noch 2019 sollen Blockchain-
Wertpapiere kommen. Warum die Eile?
Deutschland darf nicht bei einer weiteren Zu-
kunftstechnik den Anschluss verlieren. Wenn
wir jetzt handeln, haben wir die Chance, uns
an die Spitze der Entwicklung zu setzen.

Auch eine „Blockchain-Gesellschaft“ ist ange-
dacht, die statt auf Aktien auf Token basiert.
Was wäre deren Vorteil?
Die blockchainbasierte Gesellschaft wäre eine
Rechtsform, die viele Bedürfnisse gerade von
Neugründungen befriedigt. Sie vereinfacht die
Beteiligung von Mitarbeitern und die Übertra-
gung von Anteilen dramatisch. Und sie ermög-
licht eine demokratischere Unternehmensfüh-
rung. Aktionäre könnten auf virtuellen Haupt-
versammlungen abstimmen. Wenn wir das
umsetzen, erwarte ich eine neue Gründerzeit.

Ist das der Kern der neuen Strategie?
Nein. Der Kern ist die Standardisierung einer
vielversprechenden Technologie. Wir wollen
keine neuen Monopole, sondern dass alle Ak-
teure faire Zugangschancen erhalten. Das ist
gelebte Soziale Marktwirtschaft. Mit gesetzli-
chen Regeln und der Förderung technischer
Standards ermöglichen wir kleinen Unterneh-
men, die Blockchain weiterzuentwickeln und
einzusetzen. Daher lehnen wir auch Face-
books virtuelle Währung Libra ab. Währungen
dürfen nicht monopolisiert werden.

In Teilen wirkt die Strategie wie eine zusam-
menkopierte Ideensammlung.
Es gibt zwei Teile: Welche Regularien etablie-
ren wir? Und wie führen wir den Dialog fort
und fördern kleine Projekte? Beim zweiten
Teil ist die Strategie kleinteilig geraten, zugege-
ben. Aber sie wird ja auch in Zukunft noch
weiter angepasst. Die Bewährungsprobe ist, ob
uns die Umsetzung gelingt.

Die SPD könnte die Regierung bald verlassen.
Ist die Strategie dann tot?
Wenn der „SPEXIT“ kommt, der Austritt der
SPD aus der Koalition, ist das nicht das Ende
des Prozesses. Eine neue Bundesregierung
dürfte die Strategie fortführen. Die Blockchain
ist kein parteipolitisches Lagerthema.

Die Fragen stellte Felix Holtermann.

Der Blockchain-Experte der
CDU/CSU über Krypto-Anleihen,
demokratischere Unternehmen
und Facebooks Libra-Coin.

picture alliance / dpa

Nicht nur Blockchain-Wertpapiere sollen rasch
geregelt werden. Die Regierung will „noch in die-
sem Jahr einen Gesetzentwurf zur Regulierung des
öffentlichen Angebots bestimmter Krypto-Token
veröffentlichen“, besagt die Strategie. Ein öffentli-
ches Angebot von Token dürfte erst dann erfolgen,
„wenn der Anbieter zuvor ein nach gesetzlichen
Vorgaben erstelltes Informationsblatt veröffentlicht
hat, dessen Veröffentlichung die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gestattet hat.“
Ziel sei ein „hohes Anlegerschutzniveau“ sowie
„Rechtssicherheit über die mit bestimmten Token-
Ausgestaltungen verbundenen Rechtsfolgen“.
Die Bundesregierung reagiert damit vor allem
auf die Probleme am Markt für virtuelle Börsengän-
ge, sogenannte ICOs. Mit ihnen nahmen Start-ups
aus dem Kryptobereich laut der Branchenseite
Coinschedule 2018 global rund 21,6 Milliarden Dol-
lar ein, viele Projekte entpuppten sich aber als To-
talausfall oder Betrug. Der Markt implodierte Ende
des vergangenen Jahres. 2019 zog er aber wieder
an, nachdem der Kurs der Leitwährung Bitcoin er-
neut die 10 000-Dollar-Marke geknackt hatte.
Geht es nach der Bundesregierung, dann
soll der Token-Handel nun im Zuge der
Umsetzung der Vierten EU-Geldwä-
scherichtlinie geregelt werden.
Anbieter, die Bitcoin und Co.
anlegen und verwahren (Wal-
let Provider), müssen sich
künftig an alle geldwäsche-
rechtlichen Vorgaben halten
und werden damit erlaub-
nispflichtig.
Philipp Sandner, Leiter des
Blockchain Center der Frank-
furt School of Finance and Ma-
nagement, hält die geplanten neu-
en Regeln für überfällig: „Es ist sehr
zu begrüßen, dass die Bundesregierung
die Ausgabe elektronischer Wertpapiere, ICOs
und den Token-Handel gesetzlich regeln will. Un-
ternehmen erhalten damit Rechtssicherheit, was
positive Kräfte am Markt freisetzt.“ Für besonders
auffällig hält Sandner die zweigeteilte Herange-
hensweise beim Umgang mit Kryptowährungen. So
will die Bundesregierung den Markt erkennbar
professionalisieren und wertet damit Bitcoin und
andere Münzen auf. Gleichzeitig spricht sie sich
entschieden gegen private „Stablecoins“ aus. Das
sind digitale Münzen mit festem Wechselkurs zu ei-
ner staatlichen Währung, die durch Staatsanleihen
oder andere Reserven gedeckt sind.
Die Strategie formuliert hierzu klar: „Die Bundes-
regierung wird sich auf europäischer und interna-
tionaler Ebene dafür einsetzen, dass Stablecoins
keine Alternative zu staatlichen Währungen wer-
den.“ Ohne Libra explizit zu nennen, erteilt die Re-
gierung damit dem Plan von Facebook und ande-
ren Großkonzernen eine Absage, schon 2020 mit


einer eigenen Währung an den Start zu gehen.
Noch am Montag hatte der für die Libra-Entwick-
lung zuständige Facebook-Manager David Marcus
betont, bei Libra werde kein neues Geld ausgege-
ben, das bleibe souveränen Staaten vorbehalten.
Genutzt hat es nichts. Bereits im Juli hatte Bundes-
finanzminister Olaf Scholz (SPD) gewarnt, dass
Währungen in die Hände demokratisch legitimier-
ter Regierungen und Zentralbanken gehören. Auch
in den USA wächst die Skepsis. Regierungskreisen
zufolge positioniert sich die Bundesregierung unter
anderem deshalb nun klar gegen Libra – der Start
der Währung dürfte sich deutlich verzögern.
Statt Technologiekonzernen wie Facebook zu er-
lauben, die Rolle von Staaten und Notenbanken zu
übernehmen, stellt die Blockchain-Strategie die
Möglichkeit eines staatlichen Stablecoins zur Dis-
kussion. „Mit der Richtlinie für E-Geld besteht in
der Europäischen Union grundsätzlich ein Regulie-
rungs-Regime für Stablecoins“, heißt es. Die Bun-
desregierung werde daher „den bereits bestehen-
den Dialog mit der Deutschen Bundesbank zu digi-
talem Zentralbankgeld weiter ausbauen, um den
aktuellen Stand der Entwicklung auszuloten.“
Volker Brühl, Geschäftsführer des Cen-
ter for Financial Studies der Frank-
furter Goethe-Universität, hält
das für den richtigen Schritt:
„Das staatliche Geldmonopol
muss unbedingt verteidigt
werden. Die Bundesregie-
rung darf nicht zulassen,
dass private Zahlungsmittel
zu einer Alternative zu staat-
lichem Geld werden.“
Ansonsten gehört Brühl al-
lerdings ins Lager der Kritiker
der neuen Strategie, deren Erar-
beitung immerhin schon im Koaliti-
onsvertrag beschlossen worden war. Die
Neuregelung von Blockchain-Wertpapieren sei
zwar nachvollziehbar, auch die Betonung des Anle-
gerschutzes und der Geldwäsche-Bekämpfung sei
richtig. Aber: „Für mich ist eine klare Linie über
einzelne Anwendungsfälle und Sektoren hinweg
nicht erkennbar. Eine europäische Dimension, die
es bei der Blockchain zwingend braucht, fehlt. Die
Strategie enthält überwiegend allgemeine Absichts-
erklärungen, wenig konkrete Maßnahmen“, so sei-
ne Kritik. Die in seiner Einschätzung vielleicht
größte Fehlstelle: „Der Bund müsste eine unabhän-
gige, sektor- und produktübergreifende Zertifizie-
rungsstelle für Blockchain-Anwendungen aufbau-
en“, sagt Brühl. „Diese müsste entscheiden, welche
Blockchain-Innovationen seriös sind, verbraucher-
und klimafreundlich, bevor bestehende, bewährte
Institutionen ohne Not ausgehöhlt werden.“
Auch Forscher Sandner sieht Luft nach oben.
„Die Strategie trägt viele unterschiedliche Ansätze
zusammen. Aber sie geht oft nicht weit genug.“ So
zählt sie Dutzende Blockchain-Einzelprojekte auf,
die gefördert werden sollen – etwa in der Energie-
wirtschaft, Logistik, Industrie, Entwicklungszusam-
menarbeit, öffentlichen Verwaltung, dem Gesund-
heits- und Bildungswesen. Zu eigenen Initiativen,
abseits der erwähnten Gesetzesänderungen, kann
sie sich aber kaum durchringen. So soll etwa die
vielversprechende Idee einer „Bundeschain“, einer
staatlichen Blockchain-Infrastruktur, nur im Rah-
men weniger kommunaler Pilotprojekte erprobt
werden. „Die Bundesregierung überlegt, Hoch-
schulzeugnisse in der Blockchain zu speichern. Das
ist gut, aber reicht nicht“, mahnt Sandner. „Was ist
mit dem Thema E-Euro, dem digitalen Identitäts-
management, der Frage, ob wir in Zukunft noch
Handelsregister, Grundbücher und Notare brau-
chen? Überall dort, wo die Blockchain-Technik sub-
stanzielle Veränderungen mit sich bringt, hält sich
die Bundesregierung bedeckt.“
Wird Deutschland dank der Strategie zum Block-
chain-Land? Aus Sicht der Bundesregierung ist die
Republik auf dem besten Weg. Aus Sicht der Kriti-
ker ist lediglich der Startschuss gefallen.

> Kommentar Seite 29

Blockchain heißt eine Datenbanktechnik, die
nicht von einem Buchhalter, sondern dezentral
verwaltet wird. Da jeder Nutzer über eine Kopie
verfügt und alle gespeicherten Transaktionen
dauerhaft einsehen kann, gilt die Blockchain als
praktisch fälschungssicher. Ihre erste Anwen-
dung war die Kryptowährung Bitcoin.


ICO steht für „Initial Coin Offering“. Die virtuel-
len Börsengän ge sollen Start-ups unkompliziert
mit Geld versorgen. Ausgegeben werden keine
Aktien, sondern Token. Welche Rechte diese
beinhalten, ist oft unklar.


To ke n sind virtuelle Abbilder physischer Assets.
Wurden sie früher von Start-ups herausgegeben
(siehe ICO), prüfen zunehmend auch große
Unternehmen ihren Einsatz. Unter „Tokenisie-
rung“ wird die Idee verstanden, klassische Wert-
papiere, Aktien, Anleihen oder etwa Immobilien-
beteiligungen virtuell handelbar zu machen.


Krypto-Glossar


Die Strategie ist der


Dominostein, der alles


Weitere ins Rollen


bringen kann.


Alexander Höptner
Chef der Börse Stuttgart

Finanzen & Börsen


MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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