Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1
Carsten Herz Frankfurt

F


ür Munich-Re-Vorstand Tors-
ten Jeworrek ist die Sache
klar: Cyberrisiken gehören
zu den größten Gefahren,
die die digitalisierte und vernetzte
Wirtschaft bedrohen, lautet sein Cre-
do. Der promovierte Mathematiker
kennt sich mit dem Thema aus wie
nur wenige andere. Bei dem Rückver-
sicherer ist er für den noch jungen
Geschäftsbereich verantwortlich. Mit
dem Handelsblatt sprach er über die
neue Bedrohung und darüber, wie
der Münchener Dax-Konzern damit
umgeht.

Herr Jeworrek, die Apo-Bank wurde
jüngst Opfer einer Cyberattacke. In
den USA wurde die Großbank Capital
One gehackt, wobei 100 Millionen
Kundendaten gestohlen wurden.
Sind Cyberangriffe der Bankraub
des 21. Jahrhunderts?
Ja, leider muss man davon ausgehen.
Es gibt einen signifikanten Teil von
Cyberkriminellen, deren Anteil inzwi-
schen schätzungsweise über 50 Pro-
zent liegt, für die Cyberangriffe ein
Geschäftsmodell sind. Viele Attacken
sind einfach darauf ausgelegt, Daten
von Kunden zu erlangen oder Infor-
mationen zu verschlüsseln, um damit
später Geld zu erpressen. Cyberan-
griffe sind ein kriminelles Geschäft
geworden. Es gibt eine regelrechte

Wertschöpfungskette, wo Program-
mierer Tools entwickeln und ver-
markten, die von Hackern für Cyber-
angriffe eingesetzt werden. Teilweise
werden dahinter auch staatliche und
institutionelle Interessen vermutet.

Unterschätzen viele Firmen noch die
Risiken?
Nun, wir sehen hier ja eine längere
Entwicklung. Schon 2017 wurden mit
dem Virus WannaCry länderübergrei-
fend zahlreiche Firmen angegriffen.
Wird das Problem dennoch unter-
schätzt? Im Prinzip ja, würde ich sa-
gen. Viele Manager verdrängen die
Gefahr. Mir wird das schon nicht pas-
sieren, denken noch viele. Häufig ent-
spricht das Risikobewusstsein nicht
der wirklichen Gefährdung. Beim
Umdenken, dass wir uns als Unter-
nehmen, aber auch als Privatperso-
nen besser schützen müssen, hat sich
zwar einiges getan. Aber es passiert
immer noch zu langsam.

Was sollten Firmen, gerade aus der
Finanzbranche, konkret tun, um sich
zu schützen?
Am Ende geht es darum, drei Dinge
im Griff zu haben. Erstens muss jede
Firma technologisch das Möglichste
dafür tun, die IT-Infrastruktur auf
dem neuesten Stand zu halten und
bei jedem Update sicherstellen, dass

die Sicherheitsprozesse noch funktio-
nieren. Zweitens müssen Sie die inter-
nen Unternehmensprozesse im Griff
haben. Allen im Unternehmen muss
klar sein, wie man mit externen Da-
ten und Sicherheitsstandards wie
zum Beispiel dem Password-Manage-
ment umgeht – das Mitarbeiterverhal-
ten ist eines der größten Schlupflö-
cher für Angreifer. Und drittens sollte
geklärt sein, was im Schadensfall pas-
siert. Denn das Risiko, gehackt zu
werden, können Sie nur minimieren,
aber nicht komplett ausschließen.

Gerade viele Banken, aber auch
Versicherer verfügen nur über eine
veraltete IT. Macht sie das besonders
angreifbar?
Ja, das kann durchaus sein. Unabhän-
gig von der Branche gilt das in den
Häusern, in denen es ältere Betriebs-
systeme und Programme gibt, die
vielleicht nicht alle immer auf dem
letzten Stand sind. Wenn das der Fall
ist, dann schlummern dort mögli-
cherweise einige unerkannte Risiken.

Viele Hacker haben sich professiona-
lisiert und arbeiten mit modernster
Technik. Ist es für die Unternehmen
schwer, da mitzuhalten?
Es ist sicherlich ein Wettlauf, bei dem
es darum geht, wer dem anderen ei-
nen Schritt voraus ist. Die Unterneh-

men müssen deshalb großen Auf-
wand in eine gute Cybersicherung
stecken. Außerdem kooperieren wir
bei Munich Re in dieser Frage mit ver-
schiedenen Technologiefirmen, die
Experten auf diesem komplizierten
Feld sind. Gerade mittelständische
Firmen mit kleineren IT-Abteilungen
kommen bei diesen Themen mögli-
cherweise schneller an ihre Grenze
und sollten deshalb externe Hilfe in
Anspruch nehmen.

Munich Re arbeitet auf dem Feld mit
dem israelischen Cybersicherheits-
unternehmen Team 8 und der US-
Cyber-IT-Firma DXC Technology
zusammen. Wie sieht diese Koopera-
tion konkret aus?
Wir müssen anerkennen, dass der
bisherige Versicherungsansatz bei Cy-
berversicherungen nicht wie ge-
wohnt funktioniert. Normalerweise
sammeln wir Versicherer über Jahr-
zehnte Daten und Erfahrungen und
leiten davon eine Risikobewertung
und Preissetzung für die Zukunft ab.
Doch Cyber ist anders. Hier ändert
sich alles so schnell, dass Daten von
vor fünf oder zehn Jahren nicht tau-
gen, um die Gefährdung unserer
Kunden in naher Zukunft vorherzusa-
gen. Deshalb sammeln wir nicht nur
Daten, sondern setzen uns auch mit
Profis und Technologiefirmen wie
Team 8 zusammen, um das Risiko
besser zu verstehen. Außerdem wol-
len wir gemeinsam Cyberlösungen
entwickeln, die dann in den Markt ge-
bracht werden können.

Was kann denn da ein Versicherer
wie die Munich Re bieten, was Si-
cherheitsfirmen wie Kaspersky nicht
besser können?
Ich glaube, dass jeder hier seine be-
rechtige Rolle hat: Die Sicherheitsfir-
men sind natürlich stark auf der Tech-
nologieseite unterwegs, und unsere
Partner wie Team 8 aus Israel verste-
hen von diesem Thema jede Menge.
Unsere Kompetenz bei Munich Re liegt
dagegen eher in der Frage, wie man
solche Lösungen in die Märkte bringt
und wie die finanziellen Auswirkun-
gen auf die Kunden bei einem Scha-
densfall minimiert werden können.

Im vergangenen Jahr schätzte die
Munich Re, dass das Marktvolumen
für Cyberversicherungen bis zum
Jahr 2020 auf acht bis neun Milliar-
den US-Dollar ansteigt. Hält Ihr Opti-
mismus weiter an?
Ja, auf jeden Fall. Daran glauben wir
fest: Wir werden im laufenden Jahr
vermutlich bis zum Jahresende be-
reits ein Niveau von weltweit knapp
6,8 Milliarden Dollar erreicht haben.
Auf dieser Basis sind wir von unserer
Prognose nicht weit entfernt, wenn
man das starke Wachstum in diesem
Segment berücksichtigt.

Versicherer bieten allerdings nicht
nur Schutz vor Cyberattacken, son-
dern werden als Konzerne mit ei-
nem großen Datenschatz auch häu-
fig attackiert. Wie häufig gibt es bei
Ihnen Hackeralarm?
Jeden Monat registrieren wir mehr als
100 000 Versuche. Da sind viele
simple Attacken dabei, die im System
hängen bleiben. Aber auch Angriffe,
die mehr Kopfzerbrechen bereiten.
Allerdings lassen wir uns zusätzlich
auch mitunter absichtlich attackieren
von IT-Spezialisten, die wir selbst be-
auftragt haben, um mehr über unse-
re Schwächen zu lernen.

Herr Jeworrek, vielen Dank für das
Interview.

Die Fragen stellte Carsten Herz.

Serie: Die Zukunft der Finanzbranche


„Viele Manager


verdrängen die Gefahr“


Der Munich-Re-Vorstand Torsten Jeworrek über die Bedrohung durch


Cyberattacken – und was Firmen für ihren Schutz tun können.


Das Handelsblatt
beleuchtet in dieser
Serie Megatrends,
die Banken, Ver-
mögensverwalter und
Versicherer in den
kommenden Jahren
prägen werden. Durch
die Digitalisierung
steht die gesamte
Finanzbranche vor
einem tief greifenden
Strukturwandel.

Im nächsten Teil
geht es um die Block-
chain-Technik – und
wie sie die Finanz-
branche in Zukunft
umkrempeln könnte.

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Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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