Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

Rentenlücke


Kinder kosten Rente


Auf gut ein Viertel weniger


gesetzliche Rente müssen sich


Frauen in Deutschland im


Vergleich zu Männern


einstellen, wie eine Studie


feststellt. Denn sie treten für


die Familie beruflich kürzer.


Anke Rezmer Frankfurt


N


eue Zahlen für eine bekannte
Erkenntnis: 26 Prozent weni-
ger gesetzliche Rente bekom-
men Frauen im Vergleich zu Män-
nern in Deutschland. Bis zum Alter
von 35 Jahren unterscheiden sich die
Rentenansprüche zwar nicht beson-
ders, doch danach öffnet sich eine
Schere: Nach heutiger Berechnung
hätte eine Frau, die mit 67 Jahren in
Rente geht, im Durchschnitt monat-
lich 140 Euro weniger gesetzliche
Bruttorente als ein Mann. Das ergibt
eine Studie der Universitäten Mann-
heim und Tilburg, Niederlande, im
Auftrag des Fondshauses Fidelity In-
ternational. Die Studie basiert auf re-
präsentativen Daten von 1,8 Millio-
nen Arbeitnehmern des Institutes für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) für die Jahre von 1993 bis 2014
und ist demnach die umfangreichste
Analyse dieser Art. Um diese Lücke
zu schließen, müsste eine heute
40-jährige Frau nach Aussage der
Studienautoren gut zwei Prozent ih-
res Bruttojahresgehalts sparen.
Verantwortlich für die Lücke bei
den Ansprüchen an die gesetzliche
Rente ist die Einkommenslücke zwi-
schen Frauen und Männern, wie Ale-
xandra Niessen-Ruenzi, Betriebswirt-
schaftsprofessorin an der Universität
Mannheim, sagt. Die Einkommenslü-
cke beträgt in Deutschland nach Zah-
len des Statistischen Bundesamts für
2018 im Mittel 21 Prozent über alle
Berufsgruppen hinweg. Bei exakt
gleichen Jobs bekämen Frauen sechs
Prozent weniger Gehalt. Dies schlägt
sich bei Arbeitnehmern in geringeren
Rentenansprüchen nieder.
Die Rentenschere öffnet sich der
Untersuchung zufolge ab dem Alter
von 35 Jahren und klafft bis zum Alter
von 55 Jahren immer weiter ausei-
nander. So haben Frauen zwischen
36 und 45 Jahren rund 15 Prozent ge-


ringere Rentenansprüche als Männer.
Bei 46- bis 55-Jährigen beträgt die Lü-
cke dann sogar 27 Prozent, danach
25 Prozent (Grafik). Zwischen einzel-
nen Berufsgruppen unterscheidet
sich die Lücke etwas, sie existiert
aber überall. „Der springende Punkt
ist, ob eine Frau Kinder hat oder
nicht“, wie Niessen-Ruenzi feststellt.
„Frauen schränken ihre Erwerbstätig-
keit ein, wenn sie eine Familie grün-
den.“ Sie arbeiteten dann häufiger
Teilzeit, würden von ihrem Arbeitge-
ber weniger gefördert und seien zu-
dem in Gehaltsverhandlungen weni-
ger erfolgreich als Männer. Das Ge-
halt von Müttern erreicht dann auch
später nie mehr das Niveau kinderlo-
ser Frauen – in der Literatur gibt es
dafür den Begriff „Motherhood-Pen-
alty“ (Bestrafung der Mutterschaft).

Höhere Ersparnisse nötig
Um diese Lücke zu schließen, müss-
ten Frauen im Schnitt im Monat eini-
ge Prozent ihres Bruttogehalts spa-
ren: Unter Annahme einer Inflation
von 1,5 Prozent im Jahr und einer er-
warteten Rendite des angelegten
Geldes von drei beziehungsweise
fünf Prozent jährlich müsste eine
50-Jährige 124 Euro oder 105 Euro
sparen. Eine 30-Jährige käme im Mo-
nat mit 55 und 36 Euro aus, da sie
mehr Zeit hat zu sparen und sich die
wiederangelegte Rendite aus dem
Ersparten mitverzinst.

Damit dürfte das finanzielle Aus-
kommen im Alter allerdings meist
noch nicht gesichert sein, sagt Nies-
sen-Ruenzi. Die gesetzliche Rente
deckt im Durchschnitt nur noch
knapp die Hälfte des letzten Gehalts
vor Steuern ab. Viele müssen also
auf Betriebsrenten und Ersparnisse
zurückgreifen. Und auch hier ver-
weist Niessen-Ruenzi auf Studien,
wonach Frauen um fast zwei Drittel
geringere Ansprüche an betriebliche
Vorsorge haben sowie mehr als ein
Drittel weniger privates Alterskapital
besitzen.
Die Wissenschaftlerin plädiert da-
her dafür, über eine stärkere finan-
zielle Förderung von Frauen zu disku-
tieren: etwa die Unterstützung ihrer
Altersvorsorge oder eine Förderung
von Kinderbetreuung und -erziehung
statt etwa der Ehe durch das Ehegat-
tensplitting.
„Frauen müssen sich bewusst sein,
dass sie solche finanziellen Unter-
schiede stärker kompensieren müs-
sen als Männer“, sagt Claudia Barg-
hoorn, Leiterin Privatkundengeschäft
bei Fidelity. Hilfreich wäre aus ihrer
Sicht, wenn Frauen in der Finanzbe-
ratung besser erreicht würden. Wis-
senschaftlerin Niessen-Ruenzi zufolge
müssten Finanzberater Frauen als
Kundengruppe aber erst entdecken:
Studien würden zeigen, dass sich vie-
le Berater weniger intensiv um Frau-
en kümmern.

Beratung

Schlechte


Noten für


Rentenberater


Frank M. Drost Berlin

M


ittlerweile dürfte es Allge-
meinwissen sein: Einzah-
lungen in die gesetzliche
Rentenversicherung allein reichen
nicht aus, um den Lebensstandard
im Alter zu halten. Umso wichtiger
ist eine Beratung, die auf mögliche
Lücken hinweist und bestenfalls
Tipps gibt, wie man diese schließen
könnte.
80 Tester haben im Auftrag von
Stiftung Warentest jeweils eine der
163 Beratungsstellen der Rentenversi-
cherung aufgesucht, die seit Anfang
2018 die Aufgabe haben, allen Versi-
cherten eine kostenlose und unab-
hängige Beratung über alle Vorsorge-
formen hinweg anzubieten. „Das Er-
gebnis ist ernüchternd“, bilanzierte
Hubertus Primus, Vorstand der Stif-
tung. Vor allem bei Fragen jenseits
der gesetzlichen Rente und beim
Ausbau der Altersvorsorge „patzten
viele Berater und konnten überhaupt
nicht helfen“. Die Altersvorsorgebe-
ratung der Rentenversicherung er-
hielt daher lediglich das Finanztest-
Urteil „ausreichend“. „Das muss im
Interesse der 55 Millionen gesetzlich
Rentenversicherten besser werden“,
fordert Primus.
Trotz der schlechten Beratungs-
qualität rät Stiftung Warentest jedem,
sie zu nutzen. Angesichts der zahlrei-
chen Vorsorgemöglichkeiten, der un-
terschiedlichen Sozialabgaben und
Besteuerung „ist es für jeden schwer,
einen guten Gesamtüberblick über
seine Vorsorge zu gewinnen“. Alter-
nativen gebe es kaum. Banken und
Versicherer seien nicht unabhängig,
unabhängige Finanzberater wiede -
rum häufig teuer.
Stiftung Warentest empfiehlt, gut
vorbereitet in die Beratung zu gehen.
So sollte das Rentenkonto auf den
neuesten Stand gebracht werden,
und Versicherte sollten alle Renten-
mitteilungen und Standmitteilungen
ihrer Verträge parat haben. Aus eige-
ner Initiative sollte das Thema mögli-
che Rentenlücke angesprochen wer-
den. Eine wirkliche Hilfe wäre die
von Rentenexperten geforderte On-
lineplattform, auf der Versicherte ih-
re Ansprüche abrufen könnten.

Mutter mit Kind:
Weniger Arbeit
im Berufsleben
bedeutet weniger
Unsplash Altersgeld.

Frauen


schränken ihre


Erwerbstätig-


keit ein, wenn


sie eine


Familie


gründen.


Alexandra
Niessen-Ruenzi
Professorin an der
Universität Mannheim

 
    
 
 



  

 


 



 

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MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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