Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

D


ie bisherigen Klimaschutzprogram-
me der Bundesregierung werden
absehbar die selbst gesteckten Zie-
le verfehlen. Daher brauchen wir
einen Kurswechsel: statt sich wei-
ter im Klein-Klein zu verheddern, sollte endlich
groß gedacht werden!
Das globale Pariser Klimaabkommen ist eine
historische Chance, die wir nicht verspielen dür-
fen. Und die Zeit drängt. Das unterstreichen etwa
die beschleunigten Tauprozesse der arktischen
Permafrostböden. Daher ist es völlig richtig, dass
die jüngere Generation mit ihren Demonstratio-
nen das Thema in den Mittelpunkt der Debatte
geholt und die entscheidende Frage gestellt hat,
ob politisch eigentlich genug passiert, um diese
Verpflichtungen einzuhalten. Europa und gerade
auch Deutschland sollten deshalb mit gutem Bei-
spiel vorangehen. Entscheidend ist dabei jedoch,
Klimaschutz durch Innovation kompatibel mit
dem modernen Leben zu machen – auch weil
aufstrebende Weltregionen den Weg nicht mit -
gehen werden, wenn sie den Eindruck haben,
der Westen wolle ihnen so ihren fairen Anteil am
wachsenden Wohlstand vorenthalten. Wer Klima-
schutz mit Kapitalismuskritik verwechselt, be-
geht daher einen gefährlichen Fehler. Denn gera-
de durch technologischen Fortschritt, unterneh-
merische Erfindungsstärke und die Kräfte der
Marktwirtschaft können wir uns von der Abhän-
gigkeit von fossilen Brennstoffen befreien. Diese
optimistische Grundhaltung ist kein hehrer
Wunsch, sondern reale (historische) Perspektive,
gerade in unserer Ingenieurnation.
Das ist kein Appell fürs politische Nichtstun – im
Gegenteil. Innovation ist keine Ausrede, Innovati-
on ist der Ausweg. Und sie setzt entschlossenes


Handeln und einen generationengerechten Ord-
nungsrahmen voraus. Die dringlichste Maßnahme
bleibt, CO 2 endlich in allen relevanten Sektoren ei-
nen Preis zu geben. Die mittlerweile erreichte Ei-
nigkeit bei diesem Ziel sollte aber nicht zur zweit-
besten Lösung führen. Eine CO 2 -Steuer kann den
Ausstoß verteuern, aber eine Steuer hat noch in
keinem Fall zum Verschwinden des besteuerten
Guts geführt. Mitte des Jahrhunderts muss aber
die Klimaneutralität stehen! Daher ist die Auswei-
tung des Emissionshandels auf alle Sektoren das
überzeugendere Konzept. Denn nur so kann auch
die Gesamtmenge der Emissionen mit einem fes-
ten Deckel versehen werden. Gerne schnell natio-
nal für die fehlenden Sektoren, so bald als mög-
lich dann gesamteuropäisch und sektorenüber-
greifend. Im Zuge dessen sollten wir den oft
widersprüchlichen Wildwuchs an Steuern und
Abgaben in diesen Bereichen zurückführen und
zusätzliche Belastungen vermeiden.
Zudem gilt es, technologisch entscheidende
Neuerungen und Durchbrüche zu fördern. Fünf
Beispiele:
Erstens: Die Einstellung der Flugstrecken Köln-
Frankfurt und Nürnberg-Berlin zeigt: Der Bau von
Zugrennstrecken macht Inlandsflüge oft überflüs-
sig. Diese Möglichkeit brauchen wir zwischen al-
len deutschen und europäischen Metropolen.
Dann braucht der Zug zukünftig trotz gleicher
Distanz nicht mehr doppelt so lange von Barcelo-
na nach Brüssel wie von Schanghai nach Peking.
Zweitens: Beim Ausbau der e-Ladeinfrastruk-
tur braucht es mehr Tempo bei echten Schnell -
ladesäulen, um die Fragen der Bürger zur Lang-
streckentauglichkeit zu beantworten. Zudem
müssen alle CO 2 -neutralen Antriebe endlich glei-
chermaßen gefördert werden, etwa bei den eu-

ropäischen Flottengrenzwerten für Autos. So las-
sen sich Batterie, Wasserstoff und synthetische
Kraftstoffe – deren Marktreife mit Blick auf das
CO 2 -neutrale Fliegen entscheidend ist – gleicher-
maßen voranbringen.
Drittens sollten wir die innovativsten Wissen-
schaftler und die Industrie zusammenbringen, da-
mit sie gemeinsam an der weitgehend treibhaus-
gasneutralen Produktion der Zukunft arbeiten.
Unsere Initiative IN4climate.NRW zeigt, dass so
sogar die klimaneutrale Stahlproduktion am be-
stehenden Hochofen Wirklichkeit werden kann.
Viertens: Nutzen wir das völlig berechtigte
weltweite Erschrecken über die Amazonas-Re-
genwaldbrände, um endlich ein System zu schaf-
fen, in dem sich effektiver Waldschutz und Auf-
forstung weltweit lohnen.
Seien wir fünftens mutig bei ganz großen Lö-
sungen: Reaktivieren wir zusammen mit unseren
Nachbarn am Mittelmeer die Idee „Desertec“, in
der das dortige, für die ganze Menschheit x-fach
ausreichende Potenzial an Sonnenenergie nutz-
bar gemacht wird. Nur diesmal nicht mit dem
Ziel, den Strom nach Europa zu transportieren,
sondern um vor Ort die Energie in Wasserstoff
und synthetische Kraftstoffe umzuwandeln, die
dann in die ganze Welt exportiert werden kön-
nen. Was für ein faszinierendes Projekt!
Das wäre das große Denken, welches wir in
der Klimapolitik brauchen – nicht irgendwann,
sondern jetzt.

Groß denken in


der Klimapolitik


Wer Klimaschutz mit Kapitalismuskritik


verwechselt, begeht einen gefährlichen Fehler,


warnen Andreas Pinkwart und Johannes Vogel.


Andreas Pinkwart (FDP) ist Minister für
Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung
und Energie in Nordrhein-Westfalen.
Johannes Vogel ist Generalsekretär der
Freien Demokraten NRW.

laif, International School of Management [M]

Durch


Technologie


und die Kräfte


der Markt-


wirtschaft


können wir uns


von der


Abhängigkeit


von fossilen


Brennstoffen


befreien. Diese


optimistische


Grundhaltung


ist eine reale


Perspektive,


gerade in unserer


Ingenieurnation.


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Gastkommentar
MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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