Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

Technologieführerschaft bei Elektro, Wasserstoff
oder mit synthetischen Kraftstoffen zu etablieren.
Wer das Auto abschaffen will, schafft damit Arbeits-
plätze ab.


Bei der Automesse IAA wirkten die deutschen Her-
steller verzagt.
Die IAA ist ein Weckruf. Wenn die deutsche Industrie
ein Kreislaufsystem ist, dann ist das Auto das Herz.
Normalerweise ist die IAA ein Fitnesstest für dieses
Herz, doch diesmal hätte man ein Krankenblatt
schreiben können. Wenn wir wieder fit werden wol-
len, braucht die Autoindustrie neue Technologien
und Innovationen für das klimafreundliche und au-
tonome Fahrzeug der Zukunft. Die internationale
Konkurrenz schläft nicht und möchte unsere Markt-
anteile übernehmen.


Was bedeutet das für das Klimapaket? Was muss es
aus Ihrer Sicht unbedingt beinhalten?
Ich halte drei Dinge für unverzichtbar.
Wir brauchen erstens eine Innovati-
onsoffensive, also eine nationale
Strategie für Wasserstofftechnik
sowie synthetische Kraftstoffe.
Ohne Innovation schaffen wir
die Klimaziele nicht. Und pa-
rallel müssen wir die Elektro-
mobilität voranbringen. Dazu
brauchen wir eine Million
neue Ladestationen. Denn das
eigentliche Hindernis für den
Kauf eines E-Autos ist weniger der
Preis als die Infrastruktur. Gerade auf
dem Land fragen sich viele Bürger, was
ihnen ein Elektroauto bringt, das sie nirgends
aufladen können.


Und die anderen beiden Punkte?
Wir brauchen eine kluge Förderung für energetische
Gebäudesanierung und den Austausch von Ölhei-
zungen. Wir dürfen Menschen, die sich keine neue
Heizung leisten können, nicht im Kalten sitzen las-
sen. Wir müssen aufpassen, dass aus einer gut ge-
meinten ökologischen Idee keine soziale Spaltung
entsteht. Deshalb brauchen wir hier eine sehr groß-
zügige Förderung.


Sollte es ursprünglich bei dem Klimapaket nicht um
Anreize zum CO 2 -Sparen gehen und weniger darum,
Geld zu verteilen?
Wichtig ist, die Klimaziele zu erfüllen. Dazu braucht
es ein Bündel von Maßnahmen. Wir dürfen aber
nicht den Fehler machen, den CO 2 -Preis zum alleini-
gen Heiligen Gral des Klimaschutzes zu erklären. Es
braucht eine CO 2 -Bepreisung, die zu einer CO 2 -Re-
duktion führt. Daher sind Zertifikate wirksamer als
eine bloße Erhöhung der Ökosteuer.


Der Gebäude- und Verkehrssektor bräuchten dann
Zertifikate für CO 2 -Emissionen. Allerdings läuft es
jetzt darauf hinaus, dass dabei eine Spannbreite mit
einem minimalen und einem maximalen Preis fest-
gelegt wird. Ist das dann nicht eine verkappte
CO 2 -Steuer?
Nein, CO 2 -Zertifikate sind der marktwirtschaftliche
We g, um CO 2 zu verknappen. Bei der Steuer geht es
nur darum, dass der Staat kassiert. Wer es sich leis-
ten kann, macht weiter wie bisher. Mit dem Zertifika-
tehandel können wir die CO 2 -Emissionen tatsächlich
senken.


Eine Million Ladesäulen, viele neue Förderpro-
gramme – jetzt würde uns doch interessieren, wie
teuer das Klimapaket wird.
Da jetzt eine endgültige Summe zu nennen, wäre un-
seriös. Es hängt alles mit allem zusammen. Ändert
man eine Stellschraube, ändert sich die Rechnung.
Einiges wird Geld kosten wie die Förderprogramme,
anderes wird etwas einbringen wie der Zertifikate-
handel. Am Ende muss die Bilanz stimmen und die
schwarze Null stehen bleiben.


Trotzdem stellt sich die Frage, wo das Geld herkom-
men soll. Schließlich steigen die Steuereinnahmen
nicht mehr ganz so stark angesichts der schwäche-
ren Wirtschaftsentwicklung.
Das Klimapaket wird deshalb auch gleichzeitig ein
Konjunkturpaket. Die Förderung der energetischen
Gebäudesanierung wird direkt spürbar werden,


auch die Innovationsoffensive wird unsere Wirtschaft
stärken. Ich glaube ohnehin, dass wir uns bald noch
mit anderen Konjunkturpaketen beschäftigen wer-
den müssen.

Was schwebt Ihnen vor?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Re-
form der Unternehmenssteuern voranbringen müs-
sen. Deutschland ist im internationalen Wettbewerb
zurückgefallen. Zudem müssen wir die Stromkosten
senken, indem wir die EEG-Umlage deutlich reduzie-
ren. Und schließlich braucht es für den Mittelstand
bessere Abschreibungsmöglichkeiten. Das ist ein un-
mittelbarer Investitionsanreiz und würde einer Re-
zession vorbeugen.

Jetzt haben Sie uns auf die Frage nach einer Finan-
zierung des Klimapakets mit der Forderung nach
einer Steuersenkung geantwortet. Soll das heißen,
dass Sie sich von der schwarzen Null, also
dem ausgeglichenen Haushalt, verab-
schieden?
Auf keinen Fall. Ich rate dringend
dazu, die schwarze Null zu hal-
ten. Es wäre auch ein verhee-
rendes Signal an die Südeuro-
päer, wenn ausgerechnet
Deutschland bei der ersten
kleinen konjunkturellen Ein-
trübung gleich den schulden-
freien Haushalt aufgibt.

Dann stellt sich uns umso mehr
die Finanzierungsfrage. Mehr Aus-
gaben, weniger Einnahmen, keine
Schulden – wie soll das zusammenpassen?
Indem wir Prioritäten setzen! Die Welt ist kein Robin-
son Club und der Bundeshaushalt kein All-inclusive-
Angebot. Wir müssen unsere Ausgabenstrukturen
immer wieder überprüfen, was wir uns leisten kön-
nen und was nicht. Deutschland will bis 2025 nur
drei Milliarden Euro für Künstliche Intelligenz ausge-
ben. Das ist im internationalen Vergleich ein Tropfen
auf den heißen Stein. Gleichzeitig fordert die SPD,
mehrere Milliarden Euro jährlich neu für eine bedin-
gungslose Grundrente auszugeben. Das wäre eine
falsche Prioritätensetzung im weltweiten Wettbe-
werb.

Was halten Sie von der Idee der Klimaanleihe? Der
Staat bietet den Bürgern zwei Prozent Zinsen, damit
diese Geld für Klimaschutzprojekte verleihen.
Das finde ich eine spannende Idee, weil man zwei
Probleme auf einmal lösen könnte. Wir können den
Klimaschutz finanzieren, und die Sparer würden in
Zeiten von Nullzinsen endlich wieder eine attraktive
und sichere Anlagemöglichkeit erhalten.

Bisher klingt es bei Ihnen nach einem Wohlfühl-Kli-
mapaket. Müssten Sie die Menschen nicht auch auf
Verzicht einstimmen?
Ich glaube nicht, dass es richtig ist, die Deutschen
umerziehen zu wollen. Die Menschen haben schon
ein sehr hohes Bewusstsein für den Klimaschutz. Die
meisten wollen sich aber nicht von den Grünen eine
komplett andere Lebensweise vorschreiben lassen,
zumal viele grüne Protagonisten sich ja selbst nicht
daran halten. Gerade Grüne fliegen am meisten. Das
ist eine Doppelmoral.

Aber verhalten sich nicht die meisten Bürger so? Al-
le fordern mehr Klimaschutz, gleichzeitig steigen
die Zulassungszahlen für SUVs auf ein Rekordhoch,
genauso wie die Flugzahlen.
Der CO 2 -Anteil der Inlandsflüge am gesamten
CO 2 -Ausstoß in Deutschland ist eher gering. Die mo-
ralische Debatte über den Sinn und Unsinn von In-
landsflügen ist dafür umso größer. Für SUVs gilt das-
selbe. Wir wollen doch nicht mit dem Klimapaket in
die 80er-Jahre zurück. Die Grünen wollen nur verbie-
ten: Fleischverbot, Flugverbot, Autoverbot und Hei-
zungsverbot. Das sind alles geistige Barrikaden, die
unsere Gesellschaft spalten.

Was wollen Sie?
Ich will vor allem den Menschen nicht ihre Freiheit
nehmen. Ich glaube: Freiheit und Klimaschutz pas-
sen gut zusammen. Wir brauchen keinen altbacke-
nen Umerziehungsstaat, sondern eine moderne und
ökologisch-freiheitliche Gesellschaft.

Woher kommt eigentlich diese Wandlung des Mar-
kus Söder?
Was meinen Sie?

Dieses ökologische Bewusstsein hätte Ihnen noch
vor einigen Monaten kaum jemand zugetraut
Wir können nicht immer alte Antworten auf neue
Fragen geben. Die Menschen gerade in Bayern wol-
len eine nachhaltige Work-Life-Balance. Da geht es
nicht oberflächlich um das Verhältnis von Arbeit und
Freizeit. Es geht vielmehr um die Arbeit von morgen
und wie wir ökologisch bewusst wirtschaften. Wir
wollen Wachstum, aber mit Sinn und Ethik. Dazu ge-
hört modernes Leben im Einklang mit der Natur. Da-
rauf suche und gebe ich Antworten.

Sind da nicht die Grünen das Original?
Die CSU hat schon immer der Bewahrung der
Schöpfung oberste Priorität eingeräumt. Was uns
aber von den Grünen unterscheidet, ist die Verläss-
lichkeit in anderen Politikbereichen. Die Grünen sind
am Ende immer eine linke Partei. Im Zweifel bevor-
zugen ihre Funktionäre Rot-Rot-Grün. Außerdem
predigen sie einen moralischen Unilateralismus, der
Deutschland international isolieren könnte. Die Grü-
nen haben interessante Philosophen, aber will man
ihnen wirklich Millionen von Arbeitsplätzen in Zeiten
internationaler Spannungen und Rezession anver-
trauen?

Die letzte Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel
läuft. Ist die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Kar-
renbauer als Kanzlerkandidatin für die Union ge-
setzt?
Über die Kanzlerkandidatur entscheiden die Vorsit-
zenden von CDU und CSU gemeinsam und das zum
geeigneten Zeitpunkt. Deshalb müssen Sie jetzt auch
nicht fragen, wer für eine Kanzlerkandidatur zur Ver-
fügung stünde.

Jubelnde Zustimmung für die CDU-Vorsitzende hört
sich anders an.
Annegret ist in den letzten Monaten in den Medien
häufig ungerecht behandelt worden. Sie hat einen
wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass CDU und CSU
wieder als geschlossene Formation auftreten. Und sie
wird auch in ihrer Arbeit als Verteidigungsministerin
überzeugen. Mit wem wir in die nächste Bundestags-
wahl gehen, werden wir zum gegebenen Zeitpunkt
entscheiden.

Steigt die SPD aus der Großen Koalition aus?
Das kann ich nicht vorhersagen. Eigentlich passt es
nicht zur SPD, aus der Verantwortung zu fliehen.
Deutschland braucht Stabilität.

Warum probiert es die Union nicht mit einer Min-
derheitsregierung, falls die SPD die Große Koalition
verlassen sollte?
Ein starkes Land wie Deutschland sollte sich in Zei-
ten wirtschaftlicher Unsicherheit keine Demokratie-
Experimente leisten. Es klingt auf den ersten Blick
charmant, sich jede Woche im Parlament wieder ei-
ne neue Mehrheit suchen zu müssen. In der Praxis
führt das aber häufig zu Blockaden und Unsicher-
heit. Sollte die SPD aus der Koalition aussteigen,
brauchen wir Neuwahlen, an deren Ende eine stabi-
le Regierung steht.

Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Ge-
spräch.

Die Fragen stellten Jan Hildebrand und Thomas
Sigmund.

Ich mache mir


Sorgen über die


Aggressivität, mit der


Grüne über das Auto


diskutieren.


Gespräch in der
Staatskanzlei:
Ministerpräsident
Söder mit Handels-
blatt-Redakteuren
Thomas Sigmund
(links) und Jan
Hildebrand (rechts).

Thomas Dashuber

Parteipolitiker Der
gebürtige Nürnberger
trat 1983 als Schüler
in die CSU ein. Nach
einem Volontariat
beim Bayerischen
Rundfunk zog er 1994
in den Landtag ein.
Von 2003 bis 2007
war Söder CSU-Gene-
ralsekretär, seit
Januar ist er Partei-
vorsitzender.

Regierungschef Der
52-jährige Franke
stieg 2007 ins bayeri-
sche Kabinett auf.
Dort war er Minister
für Bundes- und Euro-
paangelegenheiten,
für Umwelt und
Gesundheit und für
Finanzen. Im März
2018 wurde er Minis-
terpräsident.

Vita
Markus Söder

Söders Klima-Paket


MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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