Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

Sonderveröffentlichung zum Thema „RESTRUKTURIERUNG UND TRANSFORMATION“ | September 2019 HandelsblattJournal


PRÄVENTIVE RESTRUKTURIERUNG 3


Insolvenzgründe –


wohin geht die Reise?


von Prof. Dr. Florian Jacoby


A


b welchem Krisenstadium darf ein
Gericht vorinsolvenzlich Sanierungsbe-
mühungen des Schuldners unterstüt-
zen und ab wann muss der Geschäfts-
leiter eines Krisenunternehmens durch

Insolvenzantrag ein staatliches Verfahren einleiten?
Diese beiden Fragen haben zum einen die Richtlinie
über Restrukturierung und Insolvenz (im Folgenden:


RRL) und zum anderen der Koalitionsvertrag auf die
rechtspolitische Agenda gesetzt. Vorzugswürdig ist es,
sich Änderungen an den Antragspfl ichten zu enthal-


ten und die Instrumente des präventiven Restruktu-
rierungsrahmens Schuldnern vorzubehalten, die dro-
hend zahlungsunfähig ist.


Zugang zum Restrukturierungsrahmen bei
drohender Zahlungsunfähigkeit


Die RRL verlangt vom deutschen Gesetz einen prä-
ventiven Restrukturierungsrahmen zu schaff en. Kern-
elemente dieses Rahmens sind zum einen die Unter-


stützung von Restrukturierungsbemühungen des
Schuldners in Eigenverwaltung durch einen spezifi -
schen unionsrechtlichen Schutzschirm, nämlich die


Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
nach Maßgabe von Art. 6 f. RRL. Zum anderen kön-
nen Restrukturierungspläne nach Art. 8 ff. RRL mit


Wirkung auch für nicht zustimmende Gläubiger und
Gesellschafter durch gerichtliche Bestätigung verbind-
lich werden.


Solche gerichtlichen Zwangseingriff e bedürfen
einer Legitimation. Art. 4 Abs. 1 RRL verlangt wahr-
scheinliche Insolvenz, Art. 2 Abs. 2 RRL überlässt


aber dem nationalen Gesetzgeber, dieses Erfordernis
zu defi nieren. Dafür bietet sich der Begriff der dro-


henden Zahlungsunfähigkeit an. Dieser ist eingeführt
und lässt sich daher gut handhaben, auch wenn frag-


Überschuldung belaste auch aussichtsreiche Sanie-
rungen, weil nie absehbar sei, ob nach deren Schei-
tern ex post (ggf. wahrnehmungsverzerrt) die posi-
tive Fortbestehensprognose verneint werde und die
Rechtsfolgen der Überschuldung die Beteiligten mit
aller Härte träfen. Dem lässt sich de lege ferenda
indessen dadurch begegnen, redlichen Schuldnern,
die Sanierungskonzepte auf hinreichender Grund-
lage verfolgen, einen rechtssicheren safe harbor
anzubieten.

Abstandsgebot gewahrt
Verlangt man drohende Zahlungsunfähigkeit für
den Restrukturierungsrahmen, ist der gebotene
Abstand zum Insolvenzverfahren mit der Überschul-
dung als Auslöser der Antragspfl icht gewahrt. Zwar
stimmen abstrakt die Liquiditätsprognose zur Feststel-
lung drohender Zahlungsfähigkeit und die Fortbeste-
hensprognose als Kern der Überschuldungsprüfung
überein. Unterschiede ergeben sich aber aus der jewei-
ligen Funktion dieser Merkmale in der konkreten ver-
fahrensbezogenen Handhabung. So ist drohende Zah-
lungsunfähigkeit gegeben und damit der Zugang zum
Restrukturierungsrahmen eröff net, wenn die Restruk-
turierung nicht frei, sondern nur mit Mitteln des Rah-
mens gelingen kann. Eine Insolvenzantragspfl icht auf-
grund Überschuldung besteht dann aber nicht, weil
die Wahrscheinlichkeit der Restrukturierung mittels
des Restrukturierungsrahmens die positive Fortfüh-
rungsprognose begründet.

los die Liquiditätsprognose mit Unsicherheiten belas-
tet ist. Diese Prognose zeichnet sich aber dadurch aus,
dass sie gerade auf das abstellt, worauf es für die Ent-
scheidung zwischen Solvenz und Insolvenz ankommt,
nämlich die Liquidität. Wenn Erwägungsgrund 28 der
RRL nichtfi nanzielle Schwierigkeiten wie einen Auf-
tragsverlust einbezogen wissen will, so leistet das der
Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit dann,
wenn diese Schwierigkeiten sich auf die Liquidität
auswirken.

Überschuldung als Insolvenzantragspfl icht
beibehalten
Der Koalitionsvertrag enthält die Ankündigung,
die Insolvenzantragspfl ichten angesichts der Richtli-
nienvorgaben zu reformieren. Zum einen wird kriti-
siert, dass die Voraussetzungen der Überschuldung
in Gestalt der maßgeblichen Fortbestehensprognose
schwer zu handhaben seien. Zum anderen habe sich
auf Rechtfolgenseite die Antragspfl icht als stumpf
erwiesen, weil nur selten Haftungsansprüche mit
der Verletzung der Antragspfl icht bei Überschuldung
gestützt werden.
Indessen betonte der Gesetzgeber des ESUG
zutreff end das Bedürfnis, eine frühzeitige Antragstel-
lung herbeizuführen. Diesem Ziel würde es entgegen-
wirken, eine Antragspfl icht nur noch bei eingetrete-
ner Zahlungsunfähigkeit vorzusehen. Es drohte, dass
Insolvenzanträge vielfach so spät gestellt werden,
dass eine Sanierung im Insolvenzverfahren aussichts-
los ist. Denn auch wenn ex post in wenigen Verfahren
sich Ansprüche auf Überschuldung stützen lassen,
so übt diese Antragspfl icht doch gerade auf viele kri-
selnde Unternehmen einen Druck aus, Sanierungsan-
strengungen frühzeitig zu unternehmen. Allerdings
wird darauf hingewiesen, die Antragspfl icht wegen

Prof. Dr. Florian Jacoby, Universität Bielefeld

„ Vorzugswürdig ist es, sich Änderungen


an den Antragspfl ichten zu enthalten.“

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