Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

RESTRUKTURIERUNG 11


nehmenseinheit vereinbar ist, mag man zwar mit
guten Gründen bezweifeln. Dennoch bemüht der


Bundesfi nanzhof diese Konstruktion einer ziem-
lich theoretischen Unternehmensteilung, um zu
dem Ergebnis zu gelangen, dass Umsatzsteuerfor-


derungen des Fiskus, die wegen Sollversteuerung
bei Ausführung der Lieferung vor Insolvenzeröff -
nung bereits entstanden sind und damit mit den


übrigen Gläubigerforderungen gleich zu befriedi-
gen wären, in den Rang von privilegierten Masse-
verbindlichkeiten aufgewertet werden. Ob das mit


der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass
Rangvorrechte nur durch den Gesetzgeber, nicht
aber durch den Richter geschaff en werden dürfen,


vereinbar ist, mag man auch mit guten Gründen
bezweifeln. Aber das Ergebnis ist vor allem zweier-
lei: fi skusfreundlich und sanierungsfeindlich, denn


es führt in einer frühen Phase eines Insolvenzver-
fahrens zu Liquiditätsabfl üssen, die gerade in die-
ser für die Betriebsfortführung und Sanierung sen-


siblen Phase gefährlich sind. Besonders unschön
ist das, wenn die Umsatzsteuer aus Ausgangsum-
sätzen bereits abgeführt worden war, ohne dass


das Entgelt vereinnahmt war: Dann führt nämlich
die „Berichtigung“ nach § 17 UStG zwar zu einem
Erstattungsanspruch des insolventen Unterneh-


mens, der aber wird wegen anderer Steuerforde-
rungen in der Regel nicht an das Unternehmen
ausgezahlt sondern verrechnet; bei der Vereinnah-


mung des Entgelts nach Insolvenzeröff nung wird
die Umsatzsteuer dann wegen erneuter „Berichti-
gung“ de facto ein zweites Mal abgeführt. Ob und


wie diese Rechtsprechung auf präventive Restruk-
turierungsverfahren übertragen werden würde,
wenn nicht der Gesetzgeber tätig wird, ist kaum


zu prognostizieren. Jedenfalls hat sie das Potential,
dem Vorhaben, den „Sanierungsstandort Deutsch-
land“ zu stärken, ordentlich Schlagseite zu geben.


Problematisch sind aber im Rahmen von
Restrukturierungs- und Sanierungsvorhaben vor
allem die vielen hochkomplexen steuerrechtlichen


Fragen, die in Krise und Insolvenz in kürzester Zeit
zu beantworten sind – und auf die nicht einmal auf


die Schnittstellenmaterie zwischen Insolvenz- und
Steuerrecht spezialisierte Juristen klare Antwor-
ten geben können. Die steuerrechtlichen Implika-


tionen haben oft so weitreichende wirtschaftliche
Auswirkungen, dass deren Beurteilung für Investi-
tionsentscheidungen im Rahmen von Sanierungs-


konzepten von entscheidender Bedeutung sein
kann.
In der Beratungspraxis fi ndet man dem gegen-


über auf Ebene von Finanzämtern und dorti-
gen Sachbearbeitern nicht selten Gleichgesinnte,
Sanierungsfreundliche. Geht es darum, eine ver-


bindliche Auskunft hinsichtlich der Behandlung
bestimmter Sanierungsgewinne zu erhalten, erlebt
man bei intensiver Kommunikation und früh-


zeitiger, substantieller Einbindung der „Finanz-
behörde vor Ort“ nicht selten eine erfreuliche
Off enheit, auch fi nanzverwaltungsseitig zu einer


Restrukturierung beizutragen. Es bleiben schließ-
lich Prognoseunsicherheiten, die unterschiedliche
Entscheidungen zulassen. Aber: Planungssicher-


heit sieht anders aus. Und um die herzustellen,
bedürfte es eines sanierungsfreundlichen Sanie-
rungs- und Insolvenzsteuerrechts. Es ist dies ein


komplexes Thema; es würde sich aber lohnen,
hier endlich – umfassend – Mut zu beweisen.


ADVERTORIAL


Wende oder Ende?


Die Handelsblatt Journal Redaktion im Gespräch
mit Dr. Carsten Nagel und Markus Mühlenbruch,
beide Partner bei Ebner Stolz

Herr Mühlenbruch, die Automobilindustrie befi ndet
sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess.
Welche Entwicklungen werden die Zukunft des Auto-
mobil sektors bestimmen?
Es gibt eine Vielzahl fundamentaler Entwicklun-
gen und gerade dies ist die Herausforderung. Ein
großer Trend ist sicherlich die Veränderung der
Antriebstechnologien. Bislang galt es den v.a. den
Verbrennungsmotor zu verbessern. Heute geht es um
E-Mobilität, Wasserstoff /Brennstoff zelle etc. Hinzu
kommt das autonome Fahren. All dies stellt die Bran-
che nicht nur technisch vor große Herausforderun-
gen. Neue Technologien erfordern hohe Investitionen
und Planungssicherheit – eine echte Herausforde-
rung, solange unklar ist, welche Technologien sich
langfristig durchsetzen.
Zudem nimmt der individualisierte Verkehr welt-
weit weiter an Bedeutung zu und neue Mobilitätskon-
zepte drängen in den Markt. Wie werden wir uns in
Zukunft fortbewegen? Mit Auto, Bus, Fahrrad oder
Roller? Hier gilt es neue Geschäftsmodelle zu ent-
wickeln und Märkte klug zu besetzten. Was auch
bedeutet, sich mit neuen Wettbewerbern auseinan-
derzusetzen, die Innovation radikaler und schneller
interpretieren und zudem über erhebliche fi nanzielle
Ressourcen verfügen.
Langfristig hat das Auto Zukunft. Die Frage ist: Wie
genau?

„ Hier gilt es neue


Geschäftsmodelle zu


entwickeln und Märkte


klug zu besetzten.“


Sonderveröffentlichung zum Thema „RESTRUKTURIERUNG UND TRANSFORMATION“ | September 2019


Dr. Carsten Nagel

Markus Mühlenbruch

So oder so erfordert die Zukunft eine noch stär-
kere Kooperation als schon bislang – und dafür ist ein
verbesserter Informationsaustausch essenziell: ope-
rativ – WLTP lässt grüßen – aber auch taktisch und
strategisch. Insgesamt sehen wir die deutsche Auto-
mobilindustrie besser aufgestellt als es die Unken
rufen. Allerdings ist konsequentes und kooperatives
Handeln sowie Akzeptanz für große Veränderungen
erforderlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

http://www.ebnerstolz.de

Herr Dr. Nagel, dass OEMs und Zulieferer sich den aktu-
ellen Trends widmen und entsprechend handeln müs-
sen ist unbestritten. Aber was konkret ist Ihrer Meinung
nach zu tun?
Die genannten langfristigen Herausforderungen
müssen angegangen werden, ohne dabei die kurzfris-
tigen aus den Augen zu verlieren: Dieselgate, welt-
weite Nachfrageverschiebung etc.
Angesichts des absehbaren Wandels müssen die
Zulieferer ihr Technologie- und Produktportfolio neu
sortieren und die eigenen Geschäftsmodelle weiter-
entwickeln. Viele Akteure werden sich aus tradierten
Feldern zurückziehen und in neue, innovative Tech-
nologien investieren. Dabei wird es auch dieser Wan-
del den ‚fi tten‘ Zulieferern ermöglichen Wertschöp-
fungsanteile zu gewinnen.
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