Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1
Mathias Peer Bangkok

D


er iPhone-Produzent Apple, der
Spielekonsolenhersteller Nintendo
und der Sportschuhkonzern Brooks
haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle
wollen raus aus China – zumindest
mit einem Teil ihrer Produktion. Grund dafür sind
die Zölle, mit denen sich die Regierungen in Wa-
shington und Peking gegenseitig überziehen. Und
weil sich in dem Handelskonflikt keine schnelle Lö-
sung abzeichnet, wächst die Liste der prominenten
China-Abwanderer beinahe wöchentlich.
In Chinas Nachbarschaft hat die Verlagerung der
Lieferketten nun einen neuen Konkurrenzkampf
ausgelöst: Mehrere asiatische Länder wetteifern
um die Gunst internationaler Unternehmen und
versuchen, sich als neue Standorte ins Spiel zu
bringen. Indien, Indonesien und Thailand haben in
den vergangenen Wochen milliardenschwere Lock-
angebote ins Leben gerufen und wollen damit im
Wettlauf um die Investorengelder eine Aufholjagd
starten. In Thailand, Südostasiens zweitgrößter
Volkswirtschaft, macht die Regierung dabei un-
missverständlich klar, wen man für den größten
Gegner im Gerangel um die Niederlassungen hält:
Vietnam.
Dem kommunistisch regierten Staat ist es gelun-
gen, wie kein anderer von den Folgen des amerika-
nisch-chinesischen Handelskonflikts zu profitieren
und eine Fabrik nach der anderen zum Umzug zu
bewegen. Doch die anderen Länder der Region
wollen der Erfolgsserie der Vietnamesen nicht län-
ger untätig zusehen.
„Wir sind überzeugt davon, dass wir mit den
neuen Anreizen wettbewerbsfähiger als Vietnam
sein werden“, sagte Kobsak Pootrakool, der im Ka-
binett von Thailands Premierminister Prayuth
Chan-o-cha die Wirtschaftspolitik
mitverantwortet. Konkret ver-
spricht die Regierung in Bangkok
mit ihrem Anfang des Monats vor-
gestellten Wirtschaftsförderungs-
paket eine Halbierung der Unter-
nehmensteuern für fünf Jahre.
Diese Reduktion wird zusätzlich
zu anderen Erleichterungen ge-
währt. Wer beispielsweise in der
Sonderwirtschaftszone EEC im Os-
ten des Landes seine Fabrik baut,
hat Anspruch auf eine Steuerbe-
freiung von bis zu 13 Jahren. Vo-
raussetzung für die neuen Ver-
günstigungen ist, dass bis spätes-
tens Dezember 2021 umgerechnet
mindestens 30 Millionen Euro in-
vestiert werden.
Die thailändischen Behörden
machen keinen Hehl daraus, dass

sie sich damit gezielt als Handelskriegsprofiteur in
Stellung bringen wollen: Man wolle die Entschei-
dung von Unternehmen, die sich angesichts des
Handelsstreits in der Region neu aufstellen, be-
schleunigen, teilte Kobsak mit.
Die Folgen der Strafzölle seien für viele Unter-
nehmen eine Frage von Leben und Tod, sagte der
zuständige Spitzenbeamte im Industrieministeri-
um, Nattapol Rangsitpol. „Geschwindigkeit ist des-
halb wichtig. Wir müssen den Unternehmen er-
möglichen, ihre Fabriken schnell zu bauen,
schnell zu produzieren und die Waren schnell zu
verkaufen.“

Die meisten Firmen wählen Vietnam
Dass die Thailänder dabei Nachholbedarf haben,
lassen die offiziellen Statistiken erahnen: Zwar stieg
das Volumen der geplanten neuen Direktinvestitio-
nen im ersten Halbjahr stark an und zwar auf 4,
Milliarden Dollar. In Vietnam, dessen Volkswirt-
schaft nur halb so groß ist wie die thailändische,
beliefen sich die Investitionszusagen ausländischer
Unternehmen im gleichen Zeitraum jedoch auf
mehr als 18 Milliarden Dollar.
Besonders die Elektronikindustrie interessiert
sich für einen Einstieg in Vietnam. Der Apple-Zulie-
ferer Goertek, der in China bisher die Produktion
der drahtlosen Kopfhörer Airpods verantwortete,
investiert 260 Millionen Dollar in eine neue Fabrik
in der Nähe von Hanoi. Der japanische Konzern
Sharp stoppte Anfang August sein Vorhaben, LCD-
Displays für den US-Markt in China herzustellen.
Stattdessen sollen sie nun in einer neuen Fabrik in
der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt gefertigt werden.
Auch Nintendo will einen Teil seiner Spielkonsolen
künftig in dem Land produzieren. Google hat laut
dem japanischen Magazin „Nikkei
Asian Review“ damit begonnen,
Produktionskapazitäten für sein
Smartphone Pixel im Norden Viet-
nams in einer alten Nokia-Fabrik
aufzubauen.
Auch andere Branchen finden in
Vietnam eine neue Heimat. Die US-
Laufschuhfirma Brooks, die zu
Warren Buffetts Konzern Berkshire
Hathaway gehört, hatte bereits im
Mai angekündigt, 8 000 Jobs von
China nach Vietnam zu verlegen.
Die Ankündigungen haben Viet-
nams Nachbarn vor Augen geführt,
welche Chancen sich durch den
Handelsstreit ergeben.
Thailand ist nicht der einzige Mit-
bewerber, der sich nun verstärkt als
Alternative zu Vietnam in Szene set-
zen will. Auch Indonesien hatte sich

ursprünglich erhofft, angesichts seines großen
Markts von mehr als 260 Millionen Einwohnern ein
attraktiver Standort für China-Abwanderer zu sein.
Die Hoffnungen erfüllten sich aber bisher kaum. Un-
ternehmen wanderten aus China aus, kämen aber
nicht nach Indonesien, weil sich andere Nachbarn
offener zeigten, zitieren lokale Medien aus einem
Bericht der Weltbank, der kürzlich dem indonesi-
schen Präsidenten Joko Widodo vorgelegt wurde.
Seine Regierung will nun gegensteuern und das
Land für Investoren attraktiver machen. Als einen
wichtigen Schritt kündigte sie eine Unterneh-
menssteuerreform an, die die Abgaben von 25 auf
20 Prozent senken soll. Widodo machte das Buh-
len um ausländische Unternehmen Anfang Sep-
tember zur Chefsache: „Ich forderte alle Ministe-
rin mit Wirtschaftsbezug dazu auf, Regularien auf-
zulisten, die Investitionen bremsen oder
verhindern“, sagte er bei einer Kabinettssitzung
und versprach, sich anschließend um Vereinfa-
chungen kümmern zu wollen.

Wohin,


wenn nicht


nach China?


Der aktuelle Zollstreit befeuert den Standortwettbewerb


in Asien. Mehrere Schwellenländer buhlen mit


Steuernachlässen um Unternehmen, die sich angesichts


des Handelsstreits von der Volksrepublik abwenden.


18


MILLIARDEN
Dollar betrugen die
Investitionszusagen
ausländischer Firmen
für Vietnam im ersten
Halbjahr 2019.

Quelle:
Regierungsangaben

Kontrahenten
Donald Trump (l.)
und Xi Jinping:
Blockade der
Wirtschaft durch
gegenseitige
Strafzölle.

Xinhua / Polaris/laif

Wirtschaft

& Politik

MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019, NR. 180
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