Die Weltwoche - 12.09.2019

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Weltwoche Nr. 37.19 17


F


ür die Schweizer Boulevardzeitung Blick
war es ein grosser Coup. Das Blatt nannte
den Ort und zeigte ein Bild des Wohnhauses
der deutschen AfD-Politikerin in der Zentral-
schweiz. Einige Monate zuvor war sie mit ih-
rer Frau und ihren zwei Kindern aus Biel weg-
gezogen. Der Familie war in der linken Stadt
offen zu verstehen gegeben worden, dass sie
hier nicht mehr erwünscht sei. Durch die Be-
richterstattung des Blicks war es für die Familie
nun auch in der neuen Heimat vorbei mit der
Ruhe: Drohungen gingen ein, die Polizei er-
richtete ein neues Dispositiv. Wie geht die
Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion
mit dieser Situation um? Denkt sie manchmal
ans Aufhören? Was ist mit ihrer Familie? Wir
treffen die vierzigjährige Politikerin in einem
Landgasthof nahe der Wohnung, in der sie mit
ihrer Frau und ihren zwei Kindern lebt, wenn
sie Pause hat von der Politik in Deutschland.

Frau Weidel, Sie sind wohl eine der um­
strittensten und meistangefeindeten Poli­
tikerinnen Deutschlands. Was waren die
prägenden Ereignisse in Ihrem Leben? Wie
sind Sie zu der Person geworden, die Sie
heute sind?
Natürlich bin ich stark durch meine Eltern
geprägt. Mein Vater war selbständig, ein
Handelsvertreter für Büromöbel. Einige
hundert Meter neben dem Elternhaus hat-
ten wir unser Geschäft. Ich habe zwei Ge-
schwister, bin das Nesthäkchen, sie sind
zehn respektive elf Jahre älter. Beide leben
übrigens im Umkreis von Zürich, haben
auch in der Schweiz studiert. Ich bin die Ein-
zige, die nicht in der Schweiz studiert hat...
Woher kommt in Ihrer Familie diese
Affinität zur Schweiz?
Das war der Urlaubsort. Wir sind immer
wandern gegangen, die ganze Familie hat
einen Hang zur Natur und zu den Bergen.
Auch jetzt noch. In den Sommermonaten
war ich sehr viel wandern. Über meinen
Schweizer Wohnsitz wurde ja viel speku-
liert. Dabei ist es doch das Normalste der
Welt, dass man auch einen Wohnsitz in der
Schweiz hat, wenn man mit einer Schweize-
rin liiert ist. Ich muss hier sogar offiziell
meinen Zweitwohnsitz haben, da ich mit
meiner Frau in einer eingetragenen Partner-
schaft lebe. Sonst würden wir Ärger be-
kommen mit den Behörden.
Für viele Leute scheint es ein Problem zu
sein, wenn eine Politikerin zeitweise nicht
im eigenen Land lebt.
Dass die deutschen Zeitungen ständig den
Zweitwohnsitz erwähnen, bedient die nie-
deren Neidreflexe: Die Schweiz, das bedeu-
tet Bankgeheimnis, Schwarzgeld, illegale
Parteispenden... Man will mich dadurch in
ein schiefes Licht rücken, dabei hat dieser
Zweitwohnsitz einen rein privaten Hinter-
grund und bestand schon vor meiner Partei-

karriere. Aber so funktioniert der Medien-
mechanismus.
Sie wollten noch über Ihr Elternhaus er­
zählen.
Meine Eltern waren hochpolitisch, aber nie in
einer Partei. Mein Vater beklagte sich immer
über die hohen Steuern. Schon am Frühstücks-
tisch beschwerte er sich über die Verhältnisse
in Deutschland. Das Nichtzulassen von unter-
nehmerischer Freiheit war bei uns immer ein
Thema. Er hat als Selbständiger auch nie in
das staatliche Rentensystem einbezahlt, weil
er schon damals, in den siebziger Jahren,
wusste: Da wird er nie die Summe rauskrie-
gen, die er einbezahlt. Er hat sich dem System
verweigert.
War das Elternhaus wohlhabend?
Wir waren guter Mittelstand. Ich gehöre zur
Generation der Westdeutschen, die in den
1980er Jahren gross geworden sind. Als Kind
ging es uns richtig gut. Mein Vater konnte als
Selbständiger alleine für eine Familie sorgen.
Das ist heute unmöglich, heute müssen beide
Elternteile arbeiten, um sich irgendwie über
Wasser zu halten. Das hat, neben der hohen
Steuer- und Abgabenbelastung, auch mit der
Erosion der realen Kaufkraft zu tun. Ich habe
also noch die guten Zeiten erlebt, meine
Geschwister noch viel mehr.
Man liest, Sie seien eine exzellente Schüle­
rin gewesen.
Im Gymnasium schickten mich die Lehrer
ziemlich oft vor die Tür, ich war da bereits sehr
streitbar. Wenn es beispielsweise um Mathe-
matik oder Physik ging, wo man Leistung

erbringen muss, hatte ich nie Probleme. In
Ethik und Religion gab es ständig Konflikte
mit den Lehrern. Ich bin auch gerne mit unse-
ren Autos zur Schule gefahren, das passte
nicht allen.
Wo genau lagen die Streitpunkte?
An unserem Gymnasium gab es keinen
Wirtschaftsunterricht. Dieser wirtschaftliche
Analphabetismus hat mich genervt. Wir
hatten zum Beispiel einen Soziologielehrer,
der wusste den Unterschied nicht zwischen
Umsatz und Gewinn. Solche Leute trichterten
uns dann ein, dass der Kapitalismus etwas
Schlechtes sei, das vom Staat reguliert werden
müsse. Schon damals sagte ich: «Das ist tota-
ler Schwachsinn.» Die linken Lehrer mochten
mich nicht, und ich konnte keinen Respekt
vor ihnen haben. Weil ich aber in der Schule
sehr gut war, konnten sie wenig gegen mich
machen. Es gab aber auch Lehrer, mit denen
ich sehr gut auskam.
Harsewinkel, wo Sie aufgewachsen sind,
war eher ländlich geprägt.

Trotzdem war das Dorf schon zu meiner
Kindheit mit den Problemen der Migration
konfrontiert. Da gab es riesige Sozialbauten,
wo alle reinkamen: Türken, Armenier, Russen,
Kasachen, Afghanen. Die Dynamik haben wir
als einheimische Mädchen stark zu spüren be-
kommen. Im Freibad stand ich als damals
Blonde voll im Fokus der Migranten, die sich
immer in Gruppen bewegten. Plötzlich galt es
für uns als unsicher, abends alleine durch den
Park heimzulaufen. Man geht als junges Mäd-
chen und Teenager nicht mehr gerne ins Frei-
bad, wenn einem ständig «Schlampe» oder
sonst etwas nachgerufen wird. Gut erinnern
kann ich mich auch an den türkischen
Nachbarsjungen, der mir einmal erklärt hat,
weshalb er unbedingt eine Muslimin heiraten
möchte und bloss keine deutsche Frau, so wie
ich es bin. Und dies, obschon er hier auf-
gewachsen ist. Bereits da habe ich gemerkt:
Bei gewissen Ausländergruppen, vor allem
Muslimen, funktioniert das nicht mit der
Integration. Als Frau habe ich bei diesem Kul-
turkreis schon früh Störgefühle entwickelt.
Dann kam die Phase mit dem Studium. Im
Anschluss haben Sie bei Goldman Sachs ge­
arbeitet, lebten fünf Jahre in China. Was
waren da die wesentlichen Erfahrungen?
Ursprünglich wollte ich Medizinerin werden.
Mein Vater fand aber, ich solle doch etwas
«Vernünftiges» studieren. Also habe ich mit
BWL und VWL angefangen. Während des
Studiums war ich längere Zeit in Kanada, in
Japan und China. Ich lernte den asiatischen
Raum gut kennen. Mein zweites Praktikum
machte ich dann in Singapur bei der Credit
Suisse.
Danach gingen Sie zu Goldman Sachs?
Ja, direkt nach dem Studium. 2004 habe ich in
VWL abgeschlossen, 2005 mit BWL. Ich habe
die zwei Fächer parallel studiert, während der
Regelstudienzeit. In VWL war ich die Jahr-
gangsbeste. Für einen solchen Werdegang
gab es zu meiner Zeit eigentlich nur zwei
Möglichkeiten: McKinsey oder Goldman
Sachs. Ich habe mich für Goldman Sachs ent-
schieden. Es war für mich dann aber eher
langweilig, ich empfand den Betrieb als zu
statisch. In der Retrospektive muss ich sagen:
Vielleicht hätte ich trotzdem länger dortblei-
ben sollen. Ich hätte ja für Goldman Sachs
nach Asien gehen können, stattdessen ging
ich mit einem Forschungsstipendium nach
China. Ich war damals sehr umtriebig.
Was genau haben Sie in China gemacht?
Sinologie studiert, zudem war ich bei Roland
Berger als externe Beraterin tätig, habe Markt-
eintrittsstrategien gemacht und grosse Insti-
tutionen beraten wie die Bank of China. Und
ich habe meine Dissertation geschrieben über
die Reform des Rentensystems in China. Für
mich war das eine super Erfahrung.
Sie waren nie Mitglied einer Partei, hätten
in der Privatwirtschaft eine grosse Karriere

«Im Freibad stand ich als Blonde
voll im Fokus der Migranten, die
sich immer in Gruppen bewegten.»
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