Die Weltwoche - 12.09.2019

(lu) #1

18 Weltwoche Nr. 37.


machen können. Wann wurde das Thema
AfD für Sie aktuell?
Durch die Euro-Rettungspolitik. Damit
fing alles an. Wenn sich Exekutiven über
geltendes Recht hinwegsetzen, dann ver-
heisst das nichts Gutes. Staatliche Institu-
tionen wie Gesetze müssen stabil und
durchsetzbar sein. Wenn sie das nicht sind,
entsteht Unsicherheit, und das gesellschaft-
liche Vertrauenskapital erodiert. Und das
halte ich für eine sehr gefährliche Entwick-
lung, mit der wir uns alle auseinander setzen
müssen.
Hat Sie AfD­Gründer Bernd Lucke an­
gesprochen?
Nein, ich bin von mir aus zur Partei ge-
gangen. Wenn man sieht, dass etwas der-
massen schiefläuft wie bei der Euro-Ret-
tung, wird man ja verrückt, wenn man
nichts dagegen tut und sich nicht engagiert!
Was war genau der Moment, als Sie gesagt
haben: Jetzt gehe ich in die Politik?
Das weiss ich noch genau: als es die AfD
beim ersten Anlauf nicht in den Bundestag
geschafft hat. Im September 2013 waren die
Wahlen, im Oktober bin ich der Partei bei-
getreten. Ich wollte dieser Partei helfen, sie
in der Programmatik unterstützen. Ich war
ja anfangs nur im Hintergrund tätig, habe
am Parteiprogramm mit geschrieben. Etwas
anderes hatte ich auch gar nicht vor.
Weshalb sind Sie nicht in eine FDP oder
eine CDU gegangen? Sie hätten ja auch
ver suchen können, die Ausrichtung dieser
Parteien zu ändern?
Weil die CDU damals bei der Euro-Rettung
für die Rechtsbeugung eingestanden ist,
die FDP auch. Ich hatte 2013 abgewartet, bis
die FDP sich positionierte. Es gab eine Mit-
gliederentscheidung über die Euro-Ret-
tung. Nachdem die Entscheidung gefällt
war, war für mich klar: Ich muss in die AfD
als die einzige Euro-kritische Partei. Die
FDP hat überhaupt kein Profil mehr, auch
kein liberales. Wenn ich FDP-Chefin wäre,
hätte ich damals einen nationalliberalen
Flügel gegründet. Nun sind diese Leute bei
uns eingebunden.
Anfangs war die AfD noch eine Partei von
Professoren, die mit der Euro­Politik nicht
einverstanden waren. Trotzdem galt die
Partei bereits als gefährlich, als rechts.
Hatten Sie keine Angst vor dem Stigma?
Ich wusste genau, was auf mich zukommen
wird. Das war ein bewusst eingegangenes
Risiko.
Was haben Ihre Eltern gesagt?
Der Vater fand das gut, der ist mittlerweile
auch in der AfD. Die Mutter leidet bis heute
wegen der Presseberichterstattung. Für sie
bin ich immer noch das Nesthäkchen, die
Vorzeigetochter. Es ist für sie extrem
schwierig, mit ansehen zu müssen, wie ich
angegriffen werde. Ich muss sie oft trösten.

Die heute so dominante Migrationsfrage
spielte zu Beginn bei der AfD noch keine
grosse Rolle.
Das stimmt nicht ganz. Wir hatten von An-
fang an ein sicheres Grenzmanagement und
das kanadische Migrationsmodell in unserem
Programm. Also das Punktesystem, das qua-
lifizierte Zuwanderung ermöglicht und die
Zuwanderung in den Sozialstaat unterbindet.
Ich verbrachte ja während des Studiums ein
paar Monate in Kanada, deshalb kenne ich das
so gut.
Bald einmal wurde Ihre Partei in den Medien
als «rechtsextrem» eingestuft. Was macht das
mit Ihnen, was mit Ihren Freunden?
Ich habe fast meinen gesamten Freundeskreis
verloren. Die haben alle irgendwann gesagt:
Wenn du in einer solchen Partei dabei bist,
dann wollen wir nichts mehr mit dir zu tun
haben.
Die Rhetorik lautet: «Die AfD war mal in
Ordnung, jetzt aber wird sie von den
Rechtsextremen übernommen.»
Das sagte man schon immer.
Besteht die Gefahr, dass echte Extremisten
das Kommando übernehmen, wie Partei­
gründer Bernd Lucke befürchtete?
Bernd Lucke ist an sich selbst gescheitert, ge-
nau wie Frauke Petry. Beide waren nicht in der
Lage, die Partei zu führen. Beide wären auch
nicht imstande gewesen, die Bundestagsfrak-
tion zu managen, die heute aus 91 Abgeordne-
ten besteht. Da geht es um Menschenführung
und Befindlichkeiten. Mit Abgeordneten um-
gehen zu können, die Sie nicht wie im Unter-
nehmen bezahlen, ist nicht immer ganz ein-
fach. Viele haben breite Schultern, einige
glauben, sie könnten es besser machen als
Gauland und ich. Damit müssen wir um-

gehen können. Lucke, der immer nur mit
Studenten zu tun hatte, schaffte das nicht.
Auch inhaltlich lagen wir zum Teil diametral
aus einander.
Wo zum Beispiel?
Er wollte, dass die Schwachwährungsländer
aus dem Euro austreten. Ich sagte, das gehe
nicht. Diese Länder wären sofort insolvent.
Die Schulden würden durch die Abwertung
ihrer neuen, nationalen Währungen sofort
durch die Decke gehen. Diese Länder würden
dann jahrelang am Tropf hängen. Stattdessen
müssten die Starkwährungsländer, eines
nach dem andern, den Euro verlassen. Das hat
er nie eingesehen.
Sie wurden trotz dieser Auseinanderset­
zungen in den Vorstand der Partei gewählt.
Ja, in Essen 2015, als Lucke abgewählt wurde.
Das war eine interessante Geschichte. Sowohl

Lucke als auch seine Konkurrentin Frauke
Petry hatten mich auf dem Tableau für den
Vorstand. Petry kannte mich gar nicht, die
hatte mich nur drauf genommen, weil Lucke
mich drauf hatte, da er mich aus der Pro-
grammarbeit kannte.
Eine junge, hochintelligente und welt­
gewandte Frau wie Sie, dazu gutaussehend,
ist ein hervorragender Imageträger.
Das hat erst Gauland erkannt. (Lacht) Alexan-
der Gauland und ich ergänzen uns sehr gut.
Mit Ihrem Lebensstil – Sie leben mit einer
Frau zusammen, die aus Sri Lanka stammt,
und ziehen gemeinsam zwei Kinder gross


  • entsprechen Sie nicht gerade dem AfD­
    Klischee einer Partei mit konservativem
    Familienbild. Hatten Sie parteiintern je
    Probleme deswegen?
    Klar. Heute noch.
    Können Sie das ausführen?
    Als ich mich in Baden-Württemberg erstmals
    auf die Liste habe setzen lassen, das war 2016,
    da hat der damalige rechte Parteiflügel mobi-
    lisiert, dass jemand wie ich doch nicht die
    Liste anführen könne, weil ich das konserva-
    tive Familienbild nicht repräsentiere.
    Wie haben Sie reagiert?
    Ich wurde Gott sei Dank darauf angespro-
    chen, am Tag der Wahl, auf der Toilette. Ich
    kann ziemlich laut werden. Dieser Frau habe
    ich deutlich meine Meinung gesagt. Danach
    war sie möglicherweise eine Zeitlang taub.
    Das sind einschneidende Erfahrungen.
    Ja, ich muss zugeben, dass mich das auch
    verletzt.
    Führen solche Erlebnisse zu Entfrem­
    dungsgefühlen gegenüber der Partei? Im
    Sinne von: «Zu dieser Gruppe will ich nicht
    gehören»? Oder muss man das einfach weg­
    stecken können?
    Es passiert ja nicht häufig. Aber wenn es
    passiert, so nehme ich das persönlich, das
    trifft mich, und da reagiere ich auch darauf.
    Das führt aber nicht zu einer Entfremdung,
    weil das Einzelfälle sind. Bei uns ist das über-
    haupt nicht hoffähig: Kommt so etwas raus,
    wird die Person abgestraft.
    Sie hatten jahrelang Ihren Zweitwohnsitz
    in Biel, lebten da mit Ihrer Familie. Plötz­
    lich ging das nicht mehr, und Sie zogen
    weg. Was ist genau passiert?
    Wir hatten einen grossen Freundeskreis, aus
    einem eher linksliberalen Milieu, der sich zu-
    nehmend von uns abwendete. Entscheidend
    aber war, dass unser ältester Sohn, der heute
    sechs Jahre alt ist, damals fünf, plötzlich nie-
    manden mehr zum Spielen hatte am Nach-
    mittag. Wir hatten immer ein offenes Haus,
    bei uns gingen die Kinder aus der Nachbar-
    schaft ein und aus. Doch irgendwann er-
    laubten die linksliberalen Demokraten ihren
    Kindern nicht mehr, zu uns zu kommen.
    Biel ist nicht gerade das Idealbiotop für
    Konservative.


«Irgendwann erlaubten die Eltern
ihren Kindern nicht mehr, zu uns
zu kommen.»
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