Die Weltwoche - 12.09.2019

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Weltwoche Nr. 37.19 19
Bild: Kay Nietfeld (DPA, Picture Alliance)


«Das ist die echte Alice Weidel, ich stehe voll dazu»: konfrontative Töne im Bundestag.


Das ist so. Nach Biel waren wir gezogen, weil
meine Lebenspartnerin dort aufgewachsen
ist. Wobei ich immer mehrheitlich in
Deutschland war, sonst hätte ich meinen Job
ja nicht machen können. Ihr Vater war
Pfarrer, der hat die freikirchliche Gemein-
schaft geführt, sie ist da ins Gymnasium ge-
gangen, kannte entsprechend viele Leute.
Bis 2017, als herauskam, dass ich Spitzen-
kandidatin der AfD werde, lief alles wun-
derbar. Doch plötzlich gab es Lichterketten,
sogar eine Unterschriftensammlung, die
forderte, uns privat zu ächten.
Vor allem für Ihre Frau, die mit Ihrer poli­
tischen Karriere nichts zu tun hat, muss
dies hart gewesen sein.
Ja, sie steht auch nicht bei allen politischen
Fragen da, wo ich stehe. Aber sie kriegt das
alles voll ab. Ich dachte, Sippenhaft gebe es
nur in Nordkorea.
Sie ist als Filmproduzentin im Kultur­
bereich tätig, hat «Tatort»­Folgen produ­
ziert und den Kinohit «Die göttliche Ord­
nung». Leidet sie auch beruflich?
Sie würde sich selbst nie als Opfer sehen. Sie
sagt immer: Druck macht kreativ. Und
manchmal ist es genau dieser Druck, der
einen grösser denken lässt. Nun hat sie
endlich den Mut gefunden, selbst Projekte
zu entwickeln.
Gab es ein entscheidendes Ereignis, bei dem
Sie sagten: Jetzt müssen wir aus Biel weg­
ziehen, oder war das ein langsamer Prozess?
Es gab einen Schlüsselmoment. Ich habe in
den Ferien unseren Jüngsten von der Kita
abgeholt, zusammen mit dem Älteren. Ich
stiess den Kinderwagen durch die Stadt,
plötzlich brüllte mir jemand etwas Unschö-
nes hinterher. Ich dachte, das sei ein Alkoho-

liker, doch es waren Eltern mit ihren Kindern.
Ich sagte: «Sie können mich immer anspre-
chen und mit mir diskutieren, aber nicht in
diesem Ton.» Ich ging weiter, da schickten sie
mir ihre Kinder hinterher auf dem Fahrrad.
Die zirkelten um mich herum und riefen:
«Scheiss-Weidel», «Scheiss-AfD», «Scheiss-
Nazi». Das waren Kinder, kaum zehn Jahre
alt, aufgestachelt von ihren Eltern! Das war
das erste Mal, dass ich richtig ins Schwitzen
kam. Ich hoffte nur, dass meine Söhne nicht
begreifen, was da vor sich geht. Ich bin nach
Hause, habe meine Lebensgefährtin angeru-
fen und ihr gesagt: «Wir müssen wegziehen,
bevor unser Ältester eingeschult wird.» Sonst
ist er dort Freiwild. Kinder kann man zu
Salafisten oder zu Pazifisten erziehen.
Denken Sie manchmal: Ist es das alles wert?
Gerade wenn die Familie involviert ist?
Natürlich. Auch kürzlich, als der Blick ein Foto
unseres Hauses in der Zeitung publizierte
und wir daraufhin an unserem neuen Wohn-
ort die ersten Drohbriefe erhielten. Gestern
war die Polizei da. Das ist alles eher lästig. Wie
kommen Journalisten dazu, ein Foto meines
Hauses zu zeigen und zu schreiben: «Hier
wohnt Alice Weidel»? Hallo, hier gehen meine
Frau und meine Kinder ein und aus! Ich bin
die meiste Zeit gar nicht hier. Da stellt man
sich dann schon Fragen. Als wir vom Blick
belagert wurden, hat uns eine Bäuerin an-
gerufen und uns gewarnt, dass ein Fotograf
auf den Schulbus wartet, wo unser Sohn drin
ist. Das ist doch verrückt!
Haben Sie schon ernsthaft erwogen, sich
deswegen aus der Politik zurückzuziehen?
In schwachen Momenten schon. Aber ich
kann mich nicht zurückziehen. Ich mache das
ja aus Überzeugung.

Können Sie sich in Deutschland noch ohne
Personenschutz bewegen?
Also in Berlin gehe ich nicht selbst einkaufen,
auch nicht spontan in eine Bar. Das geht nicht,
das wäre zu gefährlich. Bei Veranstaltungen
habe ich Personenschutz.
Wie motivieren Sie sich in den schwachen
Momenten?
Ich muss nur schauen, was alles schiefläuft in
unserem Land. Das ist mein grosser Treiber.
Bevor ich in den Bundestag gekommen bin,
habe ich die ganze Parteiarbeit ehrenamtlich
gemacht. Fast vier Jahre lang. Aus vollster
Überzeugung. Das macht mir alles auch
Spass, weil ich weiss, wofür ich es mache.
Wenn ich im Bundestag die Merkel da sitzen
sehe mit ihrem ganzen Würstchenkabinett,
alles Leute, die meist keine Berufserfahrung
haben, dann weiss ich: Da bin ich am richtigen
Ort, um das zu korrigieren.
Wenn Sie im Bundestag ihre knallharten,
gegen Merkel gerichteten Reden halten: Ist
das die authentische Alice Weidel, oder
müssen Sie sich überwinden, den Text vor­
zutragen, die Rolle der scharfzüngigen
Oppositionellen zu spielen?
Sie sprechen wohl die Kopftuchmädchen-
Rede an, die sehr polarisiert hat. Die Ent-
stehungsgeschichte ist interessant. Mein Re-
ferent hat die Rede vorgeschrieben, die war
mir aber zu technisch. Ich sagte: «Da müssen
Beispiele rein, das musst du einfacher schrei-
ben.» Vieles in der Rede kam von mir. Am
Abend habe ich den Text nochmals durchge-
lesen und den Einschub mit den Burkas und
Kopftuchmädchen eingebracht, angelehnt an
Thilo Sarrazin. Das kommt aus meinem Ur-
Innersten heraus, aus meinen Erfahrungen als
Jugendliche, von denen ich erzählt habe. Das
ist die echte Alice Weidel, ich stehe voll dazu.
Sie sind oft bei der Basis. Was erzählen
Ihnen die Leute? Was besorgt die Menschen
in Deutschland am meisten?
Dass sie zu wenig Geld haben zum Leben.
Dass die Steuerlast so hoch ist, dass sie nichts
zurückstellen können. Dann die empfundene
Ungerechtigkeit: Die Leute, die jahrelang ins
Sozialsystem einbezahlt haben, müssen eine
Vermögensbilanz vorlegen, um im Notfall
etwas Unterstützung zu erhalten, während
illegale Einwanderer, die vor der Grenze ihren
Pass wegschmeissen, das Geld hinterher-
geworfen kriegen. Die Ausländerkriminalität
ist natürlich auch immer ein Thema, gerade
was die Gewalt- und Sexualdelikte angeht.
Der AfD wird oft vorgeworfen, sie sei «rechts­
extrem». Was genau ist «rechtsextrem»? Ab
wann ist für Sie jemand «rechtsextrem»?
Das auszuführen, würde wahrscheinlich den
Rahmen sprengen. Aber plakativ: Wenn je-
mand den Hitlergruss auf einer Demo zeigt.
Gibt es AfD­Mitglieder, die das tun?
Sicherlich nicht. Und wenn, dann schliessen
wir diese Person sofort aus der Partei aus. Das
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