Die Weltwoche - 12.09.2019

(lu) #1

20 Weltwoche Nr. 37.


gilt auch für Holocaust-Leugner. Erst kürz-
lich hatten wir wieder einen solchen Fall. Das
ging dann ganz schnell. Das muss man gar
nicht diskutieren.
Gibt es Leute in der AfD, die hinter vor­
gehaltener Hand sagen: Demokratie gehört
abgeschafft?
Nein. Das würde auch dem Parteiprogramm
widersprechen.
Aber würden einige eine Verfassungsände­
rung begrüssen hin zu einem Präsidial­
system wie in der Türkei oder in Russland?
Ich glaube nicht, das wäre überhaupt nicht
mehrheitsfähig. Wenn jemand so etwas for-
mulieren würde, da gäbe es sofort ein Partei-
ausschlussverfahren. Wir wollen im Gegen-
teil Volksabstimmungen nach Schweizer
Vorbild.
Franz Josef Strauss sagte einmal, rechts von
der CSU dürfe es keine Partei mehr geben.
Wie ist das bei der AfD? Wollen Sie den rech­
ten Flügel eingemeinden, oder wollen Sie,
dass der rechte Flügel sich abspaltet?
Wenn jemand wie André Poggenburg die
Partei verlässt, weine ich ihm keine Träne
nach. Man verliert keine Wählerstimmen,
wenn solche Leute gehen. Wir vom bürgerli-
chen Flügel müssen aber auch eingestehen:
Die Mitglieder des rechten Flügels sind ein
wichtiger Teil der Partei. Wir müssen eine
gewisse Spannbreite aushalten.
Was ist der Kern dieses Flügelkampfs? Geht
es nur um Stil und Rhetorik oder auch um
Inhalte?
Es ist hauptsächlich eine atmosphärische
Frage. Der Sound passt für manche bürgerli-
che Mitglieder nicht.
Ein Apfel­Plakat der SVP wäre zu viel für Sie?
Nein, das finde ich super. Eine hervorragende
Kampagne.
Wie sehr ist die Schweizer SVP Vorbild für
die AfD? Man hört, die AfD habe das ganze
SVP­Programm kopiert als Vorlage für das
eigene. Ist das so?
Das stimmt. Das weiss ich ganz genau, weil
ich selber dafür verantwortlich war. Ich war ja
eine Zeitlang Programmchefin. Vor dem Ver-
fassen unseres neuen Parteiprogramms habe
ich allen unseren Mitgliedern das SVP-Pro-
gramm geschickt und gesagt: So muss unser
Programm auch aussehen, kurz, prägnant,
verständlich. Auch inhaltlich war ich über-
zeugt, dass wir wie die SVP eine wirtschafts-
freundliche, liberale Partei sein müssen mit
einem ganz klaren Profil.
Ist eigentlich eine Bundeskanzlerin Alice
Weidel vorstellbar?
Das ist völlig hypothetisch. An so etwas denke
ich nicht. Ich dachte auch nie, dass ich eine
Parteikarriere mache, als ich in die AfD ein-
getreten bin. Es hat sich so ergeben.
Aber eine AfD­Bundeskanzlerin oder einen
­Bundeskanzler, das halten Sie für realis­
tisch?

Weltlage


«Es brodelt unter der Oberfläche»


Alice Weidel arbeitete in China. Wie sieht sie die Entwicklung?


Sie lebten und arbeiteten fünf Jahre lang
in China, sprechen Chinesisch. Was wür­
den Sie sagen: Ist China eine Diktatur?
China lässt sich nicht anders managen,
als es gemanagt wird. Es handelt sich um
einen staatlich gemanagten Kapitalismus.
Ich würde sogar sagen, sie haben einen
deutlich ausgeprägteren Turbokapitalis-
mus als in den USA, mit einer kommunis-
tischen Partei als Klammer, aber mit un-
terschiedlichsten Flügeln. Sie können in
einem Land mit 1,5 Milliarden Menschen
nicht allzu viele Schrauben gleichzeitig
umdrehen. Deshalb lässt man auch über
der Verbotenen Stadt das Mao-Bild hän-
gen, obwohl niemand mehr an Mao inter-
essiert ist. Die Leute wollen Geld verdie-
nen. Die Politik garantiert, dass die Leute
Geld verdienen und sich Wohlstand er-
arbeiten können, dafür mischt sich die
Wirtschaft nicht in die Politik ein. Das ist
ein konfuzianisches Einverständnis, das
funktioniert.
Will China die Welt erobern?
China will vor allem aufholen. Das Land
bezeichnet sich selbst als «Land der Mitte».
An der Weltausstellung in Schanghai 2010
sah man deutlich das Selbstverständnis der
Chinesen: Die Chinesen haben sich als
Gastgeber einen riesigen Schrein hin-
gestellt. Ein riesiger Tempel also, knallrot,
deutlich höher und markanter als alle
anderen Gebäude. Man wollte zeigen, wer
hier der Chef ist. Die Chinesen fühlen sich
durch ihre Geschichte betrogen, durch
Mao und die kommunistische Revolution.
Das Land war uns einst weit voraus. Als wir
noch im tiefsten Mittelalter steckten, sind
die schon zur See gefahren, haben riesige
Schiffe gebaut und Handel betrieben.
Nicht über einen imperialistischen Ansatz,
sondern durch Handel.
Und heute, mit der Seidenstrasse, geht
das in Richtung Weltherrschaft?
Bei den Chinesen steht nicht ein imperia-
listischer Gedanke im Zentrum, sondern
der Wille, die eigene Position zu stärken
und die Zukunft zu sichern. Zum Beispiel
über Rohstoffe. Schon vor dem sechsten
Jahrhundert machten sich die Chinesen
systematisch auswärtiges Wissen zu eigen:
Der Hof schickte Wandermönche in die
Welt hinaus, die fremde Sprachen und Phi-
losophien lernen mussten. Diese kehrten
dann mit Schriftrollen voller Wissen zu-

rück. Heute macht das China so, indem es
Ressourcen gegen den Bau von Infrastruk-
tur tauscht.
Sie haben keine Angst vor den Chinesen?
Nein.
Wie beurteilen Sie die Lage in Hong­
kong? Agiert China richtig?
Schwierig. Hongkong ist neben Singapur
ein sehr wichtiger Handels- und Finanz-
platz, und die Chinesen fürchten, dass man
in dieselbe Situation kommt wie mit
Taiwan. Auch das ist sehr spannungsgela-
den. Ich halte die Situation in Hongkong
momentan sogar für gefährlich für die
Sicherheit Südostasiens, genau wie die
Taiwan-Frage.
Immer noch?
Es brodelt noch immer unter der Oberflä-
che, und die Chinesen müssen das irgend-
wie in den Griff bekommen. Denn die
Hongkonger haben ein anderes Selbst-
verständnis als die Festlandchinesen.
Ist Staatschef Xi Jinping, dieser chine­
sische Superpolitiker, überschätzt?
Man muss wissen, dass jeder chinesische
Regierungschef eine bestimmte Laufbahn
durchgemacht haben muss: Er muss zuerst
in einer oder zwei schwierigen Provinzen
Dienst schieben. Xi Jinping ist da bestimmt
keine Ausnahme. Sie müssen nach Tibet,
nach Guangzhou im Süden oder in die
innere Mongolei, wo es Konfliktherde gibt.
Sie kennen also den Umgang mit brenzli-
gen Situationen. Was auch als Problem er-
kannt wurde, ist die Korruption. Die Füh-
rung hat bemerkt, dass ihr dadurch die
Bevölkerung irgendwann aufs Dach stei-
gen wird. Das muss man kanalisieren.
Sie sehen Xi Jinping als eine fähige Figur?
Der macht das recht gut. Vielleicht setzt er
momentan etwas zu sehr auf Konfronta-
tion, aber er hat andererseits auch keine an-
dere Wahl. In der Kombination mit Donald
Trump baut sich also etwas auf, wo alle nur
verlieren können. Das sieht man jetzt an
dem Handelsstreit. Um das zu verstehen,
muss man auch die militärische Situation
einbeziehen: Die Chinesen mögen die USA
nicht vor ihrer Haustür. Sie fühlen sich um-
stellt. Deshalb halten sie auch beispiels-
weise die schützende Hand über Nord-
korea. Nordkorea ist für die Chinesen nicht
nur ein billiger Produktionsstandort,
sondern auch eine US-freie Zone. So soll es
aus chinesischer Sicht auch bleiben.
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