Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1

14 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER


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F

ür die Raucher unter
den Mitarbeitern ist es
ein willkommenes Ge-
schenk: 600 Zigaret-
ten bekommen sie im Monat
von ihrem Arbeitgeber gratis.
Die Gewerkschaft Nahrung Ge-
nuss Gaststätten (NGG) hat
dies ausgehandelt. Seit vier
Jahrzehnten ist es ein vertrau-
tes Ritual in der Belegschaft


von Philip Morris, British Ame-
rican Tobacco (BAT), Reemts-
ma, Japan Tobacco oder kleine-
ren Herstellern.

VON BIRGER NICOLAI

War es, müsste es heißen.
Denn die Tabakkonzerne
schließen oder verkleinern der-
zeit ein Werk nach dem ande-

ren in Deutschland. Auch in der
Verwaltung wird gekürzt. Mit
dem Ende der Zigarettenpro-
duktion entfällt die Basis für
die Gratiszigaretten. Zuletzt
haben die Beschäftigten von
BATerfahren, dass ihr Deputat
ausläuft. Nach einem Vor-
standsbeschluss aus der Londo-
ner Konzernzentrale werden
im Stammwerk in Bayreuth nur

noch Feinschnitttabak und Spe-
zialitäten hergestellt. In den
riesigen Werkshallen kostet das
fast 1000 Mitarbeiter ihre Jobs.
Doch nun kommt es für die
Belegschaft noch schlimmer,
denn BAT will zum Jahresende
in Deutschland auch die For-
schung und Entwicklung aufge-
ben. Bis zu 200 Wissenschaftler
und andere meist gut ausgebil-
dete Angestellte sollen ihre Ar-
beit verlieren. Die Aufgaben
sollen Kollegen am Standort in
Southampton übernehmen.
Was von dem Hersteller der
Kultmarke HB neben der Spe-
zialitätenfertigung in Deutsch-
land verbleibt, ist eine Ver-
triebs- und Marketinggesell-
schaft mit Sitz an der feinen
Außenalster in Hamburg.
Der britische Konzern ist ein
typisches Beispiel dafür, wie
sich die Tabakindustrie aus
Deutschland davonschleicht.
Waren im Jahr 2002 mehr als
12.000 Mitarbeiter bei den Ziga-
rettenherstellern beschäftigt,
werden es Ende nächsten Jah-
res nur noch halb so viele sein.
Die etwa 75 Milliarden Zigaret-
ten, die hierzulande im Jahr
insgesamt verkauft werden,
kommen dann vornehmlich aus
osteuropäischen Werken in Po-
len, Rumänien, Ungarn oder
Kroatien.
Dabei beschert der deutsche
Markt Unternehmen wie BAT,
Philip Morrisoder Reemtsma
mit die höchsten Renditen im
weltweiten Geschäft. Nur in
den USA wird mehr verdient.
Ein Zigarettenlobbyist, der sei-
nen Namen nicht öffentlich le-
sen möchte, spricht für das ver-
gangene Geschäftsjahr von „Re-
kordgewinnen, bis der Arzt
kommt“. Anders beschrieben:
Von jedem Euro Umsatz, der im
deutschen Tabakmarkt einge-
nommen wird, fließen rund 50
Prozent als Vorsteuergewinn in
die Kassen der Tabakkonzerne.
Das liegt vor allem daran, dass
die rund 20 Millionen deut-
schen Raucher nicht vor Pac-
kungspreisen von sieben Euro
und mehr zurückschrecken und
eine Preiserhöhung nach der
anderen mitmachen.
Am Geld liegt es also nicht,
wenn sich die Tabakkonzerne

verabschieden. Vielmehr steckt
dahinter der größte Struktur-
wandel seit Jahrzehnten in der
Tabakindustrie. Und Deutsch-
land ist dabei der große Verlie-
rer. Der Weg führt weg vom Ta-
bak – oder seiner herkömmli-
chen Verbrennung in der Ziga-
rette – hin zu gleich mehreren
neuen Produkten. In der Mehr-
zahl sind dies E-Zigaretten mit
Flüssigkeiten. Günstiger ist
dies nicht: Umgerechnet auf
eine einzelne Zigarette kom-
men für den Raucher ähnliche
Preise dabei heraus.
Die Begleiterscheinungen
dieses Wandels sind für die Ar-
beitsplätze so radikal, wie sie
bei den Argumenten der Tabak-
konzerne paradox sind. So
warnt Philip Morris seit Kur-
zem in einer Kampagne vor
dem Einstieg in das Rauchen.
Zugleich fordert der weltweit
zweitgrößte Zigarettenverkäu-
fer seine Kundschaft zum Aus-
stieg oder wenigstens Umstieg
auf – der dann mit dem Einstieg
in die neue Produktwelt des
Marlboro-Konzerns verbunden
sein sollte. Während diese An-
zeigen plakatiert werden,
macht Philip Morris parallel da-
zu das Berliner Hauptwerk
dicht. Auch hier sind rund 1000
Mitarbeiter betroffen. Stattdes-
sen werden bestehende Pro-
duktionen etwa in Griechen-
land oder Italien ausgeweitet.
Hierzulande dagegen gebe es
keinen Zigarettenkonzern, der
nicht irgendwo ein Thema zum
Personalabbau auf dem Tisch
liegen habe, heißt es dazu bei
der Gewerkschaft. „In Deutsch-
land stirbt die Tabakindustrie“,
sagt Ina Korte-Grimberg von
der Gewerkschaft NGG.
Weltmarktführer BAT mit
Konzernsitz in London hat im
vergangenen Jahr aus dem Um-
satz von 24 Milliarden Pfund
(27 Milliarden Euro) einen Ge-
winn nach Steuern von sechs
Milliarden Pfund erwirtschaf-
tet. Einen derart profitablen In-
dustriezweig muss man lange
suchen. Und das meiste Geld
wird mit klassischen Tabakpro-
dukten verdient. Branchenex-
perten sagen, dass dies noch auf
viele Jahre hinweg so bleiben
wird. Ausgegeben werden die
Erträge für die Entwicklung
und Markteinführung der neu-
en Produkte. Allein bei Philip
Morris flossen bislang rund vier
Milliarden Euro in diese Arbeit.
Solange jede dritte in Deutsch-
land gerauchte Tabakzigarette
eine Marlboro ist, kann der
Konzern viele Milliarden Euro
für den Wandel aufbringen. Für
die Mitarbeiter hat diese Ent-
wicklung verheerende Folgen.
Tausende Jobs verschwinden
oder werden durch andere Ar-
beit ersetzt. Statt nach gut be-
zahlten Mechanikern für die Zi-
garettenproduktion hält Philip
Morris nun Ausschau nach
Werbeverkäufern – intern
Coaches genannt – für Iqos-Lä-
den. So heißt eines der neuen
Produkte. Dessen Marktanteil
in Deutschland liegt derzeit bei
gut einem Prozent.

Die letzte Zigarette


Tabakkonzerne schließen derzeit ein Werk nach dem anderen in Deutschland


Quelle: Statistisches Bundesamt


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Beschäftigte in der deutschen Tabakverarbeitung
Anzahl



Quelle: Statistisches Bundesamt


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Steueranteile von Zigaretten in Deutschland
TabaksteuerMehrwertsteuerTabaksteuerMehrwertsteuer

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in Millionen Euro
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