Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1

18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER


N


atürlich waren die
anderen schuld. Als
Sozialistenführer Pe-
dro Sánchez am Mitt-
wochabend vor die Presse trat,
um kundzutun, dass Spanien
nun doch keine Regierung be-
kommt, war von Selbstkritik
nichts zu hören. Im Gegenteil:
„„„Wir haben alles probiert. AberWir haben alles probiert. Aber
die anderen haben es uns un-
möglich gemacht.“ Nun gibt es
Neuwahlen, die vierten in vier
Jahren, was niemand in Spanien
will, außer vielleicht Pedro
Sánchez. Wie der Mann tickt,
der noch vor kurzem als Hoff-
nungsträger der europäischen
Sozialdemokratie galt und nun
alles verspielt hat, ist immer
mehr Spaniern ein Rätsel.


VON ANNETTE PROSINGER
AUS MADRID

Im April war er noch der
strahlende Wahlsieger, der den
großen progressiven Aufbruch
verhieß, ein ganz neues Spanien.
AAAber dann hat sich Sánchez vorber dann hat sich Sánchez vor
allem um seine Außendarstel-


lung gekümmert, hat Bella Figu-
ra gemacht in Brüssel, Paris,
beim G-7-Gipfel in Biarritz. Und
sich nicht darum gekümmert, zu
Hause Allianzen zu schmieden.
Dabei hätte er nichts dringender
tun müssen.
Schließlich gewannen die So-
zialisten nur 123 der 350 Parla-
mentsmandate, ohne Unterstüt-
zung anderer Parteien konnten
sie nicht regieren. Doch Sánchez
blieb merkwürdig passiv: Den
Linkspopulisten von Unidas Po-
demos, die unbedingt mit ihm
regieren wollten, begegnete er
nur widerwillig. Und die rechts-
liberalen Ciudadanos, die
Sánchez viel lieber als Koaliti-
onspartnern gehabt hätte, wol-
len mit ihm nichts zu tun haben.
Im Juli ließ das Parlament ihn
bei der Wahl zum Ministerpräsi-
denten zweimal durchfallen.
AAAuch die letzte Frist, noch bisuch die letzte Frist, noch bis
Ende September Verbündete zu
fffinden, verstrich ohne nennens-inden, verstrich ohne nennens-
werte Verhandlungen. Sánchez
und seine PSOE sind geschei-
tert. Doch das hinderte Sánchez
nicht daran, die Neuwahl am 10.
November als Chance darzu-
stellen: Jetzt seien immerhin
klare Verhältnisse geschaffen
worden. Das dürften seine Wäh-
ler anders sehen. Die meisten
fffragen sich, was der ganze Zir-ragen sich, was der ganze Zir-
kus überhaupt sollte. Wozu die-
se hochfliegenden „Wir schaffen
ein ganz neues Land“-Verspre-
chen, wenn Sánchez nicht fähig
oder willens war, vernünftige
Koalitionsverhandlungen zu
ffführen? Hatte er die Lage falschühren? Hatte er die Lage falsch


eingeschätzt, war zu viel Eitel-
keit im Spiel oder schlicht poli-
tisches Unvermögen?
Der Ärger in Spanien ist ge-
waltig: Schließlich lebt das Land
seit Jahren mit schwachen Re-
gierungen von kurzer Haltbar-
keitsdauer, schon die Konserva-
tiven haben Wahlen wiederho-
len müssen, weil ihnen die
Mehrheit im Parlament fehlten.
Dass sich Spaniens Politiker so
schwertun, Regierungskoalitio-
nen zu bilden, hat zu einem po-
litischen Stillstand geführt: Es
kann kein Haushalt verabschie-
det werden, Gesetzesentwürfe
werden nicht bewilligt, wichtige
Reformen nicht weitergedacht,
das ganze Land hängt in einer
WWWarteschleife.arteschleife.
Und ausgerechnet Pedro
Sánchez, der doch stets mit gro-
ßer Geste versprach, Spanien zu
einem fortschrittlichen, zu-
kunftsfesten Land umzukrem-
peln, sorgt nun dafür, dass es
noch mehr an Stabilität verliert.
Denn auf den langen Sommer
der Blockade könnte ein heißer
Herbst folgen, der Spanien auch
fffür die EU zu einem Risikofak-ür die EU zu einem Risikofak-
tor werden lässt.
WWWarnungen gab es genug: Inarnungen gab es genug: In
den Zeitungen hatten Kolum-
nisten Sánchez, aber auch die
Führer der anderen großen Par-
teien seit Wochen geradezu an-
gefleht, sich endlich zu einigen.
Schließlich stehe viel auf dem
Spiel, die Zeitung „El País“
sprach gar von einem „dreifa-
chen Notstand“. Tatsächlich
sind es große Herausforderun-

gen, die nun auf Spanien zuei-
len: Da ist die sich anbahnende
neue europäische Rezession, die
das Land, das sich noch von der
letzten Finanzkrise nicht richtig
erholt hat, schwer treffen kann.
Da ist die Krise in Katalonien,
die für einen heißen Herbst sor-
gen könnte. In wenigen Wochen
wird der Oberste Gerichtshof
sein Urteil über die inhaftierten
Separatistenführer fällen, und
die Unabhängigkeitsbewegung
hat bereits einen „Tsunami an
Protestaktionen“ angekündigt.
Und da ist der Brexit, der Spa-
nien, wo so viele Briten leben,
teuer zu stehen kommen könnte.
Die nächsten Monate werden al-
so hart, es ist der denkbar

schlechteste Zeitpunkt für einen
WWWahlkampf. In dieser Lage Neu-ahlkampf. In dieser Lage Neu-
wahlen auszurufen, schimpfte
ein Kolumnist vor einigen Tagen,
sei politischer Selbstmord.
Dennoch ist Pedro Sánchez,
ein promovierter Ökonom, un-
beirrt darauf zugesteuert, er

schien das Land lieber regie-
rungslos in drei massive Krisen
laufen zu lassen, als sich mit an-
deren Parteien zu arrangieren.
Dabei gibt er sich doch so gern
europäisch. Warum tat er sich
dann mit einer Koalitionsbil-
dung, wie sie in so vielen Parla-
menten Europas längst normal
ist, so schwer?
„Zu viel Ego“, vermuteten die
Kommentatoren, Machoverhal-
ten warfen sie ihm vor, Politik
lasse sich nicht wie Pokerspiel
betreiben. Der konservative Poli-
tiker Alberto Núñez Feijóo, der
am liebsten eine große Koalition
wie in Deutschland empfahl, be-
klagte mangelndes Format bei
den spanischen Parteiführern:

„„„Wenn wir nicht diese ganzenWenn wir nicht diese ganzen
Jugendlichen in der Politik hät-
ten, sondern echte Staatsleute,
dann hätten wir längst eine Ko-
alitionsregierung.“
AAAllerdings ist Sánchez 47 Jah-llerdings ist Sánchez 47 Jah-
re alt. Und seine PSOE hat er
fffest im Griff, offene Kritik anest im Griff, offene Kritik an

seiner erratischen Verhand-
lungstaktik gibt es nicht. Allen-
fffalls die Altherrenriege, ange-alls die Altherrenriege, ange-
ffführt von Ex-Ministerpräsidentührt von Ex-Ministerpräsident
Felipe González, lässt schon mal
durchblicken, dass sie Sánchez
fffür ein Leichtgewicht hält. Des-ür ein Leichtgewicht hält. Des-
sen Vorbilder sind ohnehin
nicht die Urgesteine seiner Par-
tei. Er orientiert sich lieber an
Emmanuel Macron. Mit dem
fffranzösischen Präsidenten hatranzösischen Präsidenten hat
er in Brüssel die berühmten
Hinterzimmerverhandlungen
üüüber die Kommissionspostenber die Kommissionsposten
geführt, ähnlich wie Macron be-
greift sich auch Sánchez als ei-
nen, der die Dinge neu und an-
ders anpackt, mit Verstand und
Gefühl, und dabei stets gut aus-
sieht. Es war Macron, vermuten
einige Beobachter, der Sánchez
davor gewarnt haben soll, mit
Unidas Podemos in eine Regie-
rungskoalition zu gehen.
Macron sähe lieber eine links-
liberale Regierung in Madrid,
mit Ciudadanos bildet seine Par-
tei En Marche schließlich im Eu-
ropaparlament eine Fraktion.
AAAber um die Liberalen auf seineber um die Liberalen auf seine
Seite zu bringen, hätte Sánchez
sich um sie bemühen müssen,
hätte Kontakte knüpfen und Alli-
anzen schmieden müssen. Doch
solche Art von Beziehungsarbeit
ist nichts, mit dem Sánchez sich
gern aufhält – das unterscheidet
er ihn von seinem französischen
Freund. Das mühsame Klein-
Klein der Kompromissfindung
scheint ihn nicht zu interessie-
ren. Damit ist er nicht allein.
AAAuch die Chefs der drei anderenuch die Chefs der drei anderen
großen Parteien, Pablo Casado
von der konservativen Volkspar-
tei, Albert Rivera (Ciudadanos)
und Pablo Iglesias (Unidas Pode-
mos), zeichnen sich durch eine
auffällige Verhandlungsunwillig-
keit aus. Alle sind sie erst in den
vergangenen Jahren in diese
Machtpositionen gekommen, al-
le sind sie telegen, medienbe-
wwwusst und superschnell aufusst und superschnell auf
Twitter, aber völlig ungeübt im
konstruktiven Miteinander.
Das zeigte sich gerade in die-
sen dramatischen Tagen vor Ab-
lauf der Frist für eine Regie-
rungsbildung. Statt sich zu be-
mühen, Widerstände abzubauen
und tatsächlich einen partei-
üüübergreifenden Kompromiss zubergreifenden Kompromiss zu
fffinden, um das Land vor Schadeninden, um das Land vor Schaden
zu bewahren und ihm endlich ei-
ne Regierung zurückzugeben,
wwwurde weiter Machtpoker ge-urde weiter Machtpoker ge-
spielt. Viel patriotisches Pathos,
doch ansonsten alles wie immer:
bissige Polemik, durchsichtige
Angebote, beleidigte Rückzüge.
Zur Lösung dieser Staatskrise
wwwussten auch diese Parteienussten auch diese Parteien
nichts Hilfreiches beizutragen.
WWWas die Neuwahlen bringenas die Neuwahlen bringen
sollen, wenn alle Parteiführer
dieselben bleiben, wurde
Sánchez am Abend seines gro-
ßen Scheiterns noch gefragt. Er
hat es nicht erklären können.
Wie auch? Laut Umfragen würde
zzzwar die PSOE als einzige Parteiwar die PSOE als einzige Partei
zulegen, aber nur ein paar Pro-
zentpunkte, die Mehrheit hätte
sie damit erneut verfehlt. Und
einen Koalitionspartner würde
sie dann immer noch brauchen.

Pedro Sánchez hat bei der Regierungsbildung kein Glück

DPA

/ EDUARDO PARRA

Das Scheitern der


spanischen Sozialdemokraten


Vor Kurzem noch galt Pedro Sánchez als Hoffnungsträger – nun hat Spaniens Premier


alles verspielt. Zum vierten Mal in vier Jahren gibt es Neuwahlen


,,


WWWenn wir nicht diese ganzenenn wir nicht diese ganzen


Jugendlichen in der Politik hätten,


sondern echte Staatsleute, dann hätten


wwwir längst eine Koalitionsregierungir längst eine Koalitionsregierung


Alberto Núñez Feijóo, konservativer Politiker
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