Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DONNERSTAG, 19. SEPTEMBER 2019 BÜCHER 25


WELT AM SONNTAG Kompakt und DIE WELT Kompakt erscheinen im Verlag Axel Springer SE, Axel-Springer-Str. 65, Gläubiger-ID-Nr.: DE7600100000007913 | 10162278 | 10162926
10888 Berlin, 0800/588 97 60. Vertreten durch den Vorstand, Amtsgericht Charlottenburg, HRB 154517 B.

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„Ständige Ausstellung. Das NA-
ZI-PARADIES. Krieg Hunger Lü-
ge Gestapo. Wie lange noch?“ Al-
les ist wahr, nichts ausgedacht.
„Am Anfang habe ich noch den
Fehler gemacht, Dialoge zu erfin-
den“, sagt Ohler. Dass sich das
Ergebnis trotzdem nicht liest wie
Wikipedia, liegt daran, dass Oh-
ler gut schreiben kann, was auch
unter Schriftstellern recht selten
vorkommt. Eine Kostprobe, es
geht ums Reichsluftfahrtministe-
rium, in dem Harro Zuflucht ge-
funden hat, nachdem er früh mit
den Nazis aneinandergeriet und
den Marsch durch die Institutio-
nen plant, um Kriegsgeheimnisse
an die Alliierten zu verraten: „Im
Gehirn des Nationalsozialis-
mus“, schreibt Ohler, „ist dieses
neue, enorm gewucherte RLM ei-
ne Schaltstelle – und ein Tumor.
Hier wird Gift produziert, in Me-
tall gegossen und über die Him-
mel gejagt, um die Menschen
drunten am Boden zu töten. Hier
schwingt sich das Nazitum in hö-
here Sphären auf, greift nach den
Sternen, will stählerne Prothesen
über alle Gebirge und Weltmeere
schicken.“
Das liest sich stark und
schnell, braust wie mit der ex-
pressionistischen Eisenbahn
über die Seiten und ist doch in je-
dem Halbsatz mit Intelligenz
und Empathie gefedert. Ein biss-


chen, ehrlich gesagt, wie Harro
und Libertas selber. Hollywood
interessiert sich schon für die
Rechte. Unter dem Titel „The Bo-
hemians: The Lovers Who Led
Germany’s Resistance Against
the Nazis“ erscheint das Buch
nächstes Jahr in den USA, in Chi-
na, Italien und Frankreich. Zu
verlockend die Kulisse von „Ba-
bylon Berlin“, halb Isherwood,
halb Philip Kerr, als dass der in-
ternationale Unterhaltungskom-
plex es liegen lassen könnte. Ob
aus dem Film am Ende was wird?
Ohler schreibt zurzeit, quasi zur
Erholung – „ich kann mich nicht
lösen von diesem Laptop“ –, am
englischen Drehbuch von „Der
totale Rausch“. Leonardo DiCa-
prio will es zusammen mit Para-
mount verfilmen, der Schauspie-
ler hat sich in die Rolle von Hit-
lers Leibarzt Morell verliebt.
Auch diesmal, in „Harro und
Libertas“, sind die atemberau-
bendsten Stellen jene, die, mit
der Kamera jäh von oben heran-
rasend, bald hier- bald dorthin
zoomen, auf kahle Nazischädel,
auf Görings fetten Wanst, der
längst nur mehr in maßgeschnei-
derte Fantasieuniformen passt,
oder auf Pistolen vom Typ 6,35-
mm-Haenel-Schmeisser, stets
schussbereit unter langen Luft-
waffenmänteln. Ohler quittiert
das Lob mit dem Satz: „Ja, die

Nazis kenne ich mittlerweile
ganz gut.“
Eine echte Entdeckung sind
Harro und Libertas, der schneidi-
ge Enkel von Großadmiral Tir-
pitz und eminente politische
Kopf sowie seine Frau, geborene
Haas-Heye, Tochter der Gräfin
Viktoria Ada Astrid Agnes zu Eu-
lenburg, aufgewachsen auf
Schloss Liebenberg 50 Kilometer
nördlich von Berlin. Die west-
deutsche Geschichtswissen-
schaft ging lange über die beiden
hinweg, weil sie selbst der Nazi-
und später der DDR-Propaganda
aufsaß, es habe sich um eine Zelle
der Bolschewiki gehandelt.
In Wahrheit, das zeigt Ohlers
differenziertes Porträt, war alles
viel komplizierter. Es mag Sym-
pathien für kommunistische Ide-

en gegeben haben, aber vor allem
rechneten sich Harro und Liber-
tas aus, dass wirkmächtige Hilfe
gegen die Nazis in erster Linie
von der Sowjetunion zu erwarten
war. Selbst der Name Rote Kapel-
le ist ein Überbleibsel aus dem
Lexikon der Gestapo. In seinem
soeben erschienenen Standard-
werk „Im Widerstand“ schreibt
Wolfganz Benz, die Rote Kapelle
sei der ungleich berühmteren
Weißen Rose ebenbürtig, und:
„Die DDR hat die Rote Kapelle
vollkommen für sich verein-
nahmt, hat auch Leute in der Ro-
ten Kapelle, die mit Kommunis-
mus gar nichts zu tun hatten,
stillschweigend zu Kommunisten
gemacht.“ Vor annähernd zehn
Jahren, bei den Recherchen zu
„Der totale Rausch“ im Institut
für Zeitgeschichte in München,
stieß Ohler auf einen Brief von
Harro. Der Rest ist Geschichte.
Schnitt in den Spiegelpavillon
knapp unter dem Himmel über
Berlin. Von diesem Himmel
schreibt Ohler am Anfang von
„Harro und Libertas“, da trifft er
gerade den Historiker Hans Cop-
pi jr., Sohn des als Mitglied der
Roten Kapelle hingerichteten
Hans Coppi sr., er sei „so hoch
droben, dass man spürt, sein Blau
gehört zum Weltall. Dann wird
das Leben in dieser Stadt, in der
gleichzeitig so viel und rein gar

nichts passiert, kosmisch.“ Kein
Wunder, dass Wim Wenders an-
dauernd seine Bücher verfilmen
will. In den späten Neunzigern
scheiterte die gemeinsame Arbeit
an „Die Quotenmaschine“, Oh-
lers erstem Roman und Anfang
der von ihm selbst so genannten
Metropolen-Trilogie, die bei Ki-
Wi ab sofort wieder lieferbar ist.
Der zweite Roman „Mitte“ hatte
das Pech, am 11. September 2001
herauszukommen, kein Datum,
an dem sich Zeitungen und Leser
viel um Neuerscheinungen küm-
merten. Den Auslöser zu „Mitte“
hatte der seltsame Rat eines Be-
kannten gegeben: „Oh, es ist dein
zweiter Roman. Der ist am
schwierigsten. Du brauchst einen
Ghostwriter.“ Den bekam Ohler
postwendend, aber anders als ge-
dacht. In der Wohnung am Ha-
ckeschen Markt, die er damals
bezog, ging der Geist eines im
Ketaminrausch verbrannten DJs
um, der in sturmumtosten Näch-
ten seine Ansichten über die
Gentrifizierung verbreitete. Nor-
man Ohler erzählt’s und macht
Radiohead an. Den Song habe ich
vergessen. Es kann gut „Give up
the Ghost“ gewesen sein.

TNorman Ohler: Harro und
Libertas. Eine Geschichte von
Liebe und Widerstand. Kiepen-
heuer & Witsch, 496 S., 24 €.

KKKnapp unter dem Himmel übernapp unter dem Himmel über
Berlin: Norman Ohler

©

MARKUS TEDESKINO

/ AJ-PHOTO
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