Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER2019 THEMA DES TAGES 3


Thunberg machen. Ich habe gera-
de ihren Auftritt in der (populä-
ren US-Talkshow) „Daily Show“
gesehen. Ich finde es toll, was für
eine Energie diese Bewegung
entwickelt. Sie hilft, ein Bewusst-
sein zu schaffen. Das ist ja beim
Thema Klimawandel immer
schwer, weil die schlimmsten Ef-
fekte in der Zukunft liegen und
weil es um komplexe Wissen-
schaft und Statistiken geht.


Hat Sie die junge Generation
überrascht?

Ich war eher überrascht, wie we-
nig wir vor ein paar Jahren über
Klimawandel gesprochen haben,
nachdem es vor zehn Jahren
schon einmal ein Riesenthema
war. Ich habe mich im vergange-
nen Jahrzehnt immer viel mit
Klimawandel beschäftigt und viel
gelernt. Mich macht die Entwick-
lung auch betroffen, weil mir
Afrika so sehr am Herzen liegt.
Ausgerechnet der Kontinent, der
am wenigsten zum Klimawandel
beiträgt, wird die Folgen als ers-
ter spüren.


Können die Industrieländer
überhaupt noch umsteuern?

Momentan treiben wir unsere
Welt zu 90 Prozent mit Kohlen-


wasserstoffen an. Uns davon zu
verabschieden wird sehr schwer.
Aber wir müssen das tun. Ent-
scheidend ist, dass wir die Kosten
des Klimawandels definieren –
und dann nach Innovation su-
chen, um diese Kosten zu senken.

Ist also Technologie die Lösung?
Vor zehn Jahren habe ich ange-
fangen, verschiedene Aktivitäten
auf diesem Gebiet zu fördern. Ich
unterstütze zum Beispiel eine
Firma, die an einem sehr sicheren
Kernreaktor forscht, der zu ei-
nem Durchbruch in der Energie-
versorgung führen könnte. Ich ar-
beite zurzeit an einem Buch, das
nächsten Sommer erscheinen
wird, in dem ich untersuche, was
die technischen Lösungen sein
könnten. Fleisch auf pflanzlicher
Basis zum Beispiel. Da klingt
schon vieles vielversprechend.

Der Klimawandel ist auch ein
Grund für Migration. Zuletzt
schützte Europa seine Seegren-
zen deutlich stärker vor Mig-
ranten aus Afrika. Manche
Menschen nennen das inhu-
man. Sehen Sie das auch so?
Im Afrika südlich der Sahara
leben derzeit fast eine Milliarde
Menschen. Am Ende dieses Jahr-
hunderts werden es drei Milliar-
den sein. Es dürfte weder poli-
tisch noch logistisch möglich
sein, dass diese Menschen alle in
entwickelte Länder gehen. Des-
halb müssen wir die Lebensum-
stände dieser Menschen vor Ort
verbessern. Wenn wir hier erfolg-
reich sind, ist es sehr wahr-
scheinlich, dass Europa oder die
USA in Zukunft weniger Men-
schen aufnehmen müssen.

Drei Milliarden Menschen –
kann man denn die Entwick-
lung überhaupt noch aufhalten?
Auch wenn wir alle Ziele errei-
chen, werden wir nicht verhin-
dern können, dass Afrikas Bevöl-
kerung wächst. Aber wir können
den Prozess bremsen. Es gibt ei-
nen sehr starken Zusammenhang
zwischen Wirtschaftswachstum
und Geburtenraten. In Ländern
mit besserer ökonomischer Lage
gehen mehr Mädchen in die
Schule. Sie wissen dann mehr
über Familienplanung, haben ei-
gene berufliche Pläne, bekom-
men weniger Kinder. In Asien
sanken die Geburtenraten so in
den vergangenen Jahrzehnten
extrem stark.

Warum ist das in Afrika nicht
passiert?
Diese Frage wird in der For-
schung stark diskutiert. Manche
führen das zurück auf den Kolo-
nialismus, unter dem Afrika
mehr gelitten habe als Asien, was
sicher auch stimmt. Andere er-
klären es mit der Geografie, etwa
damit, dass es weniger schiffbare
Flüsse gibt. Oder dass es in afri-
kanischen Ländern weniger na-
tionalen Zusammenhalt gibt und
deshalb weniger Interesse, den
Staat voranzubringen. Die gute
Nachricht ist: Der Aufstieg
Asiens hat dazu geführt, dass
heute mehr Geld für Afrikas Ent-
wicklung zur Verfügung steht.

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K


urz vor der Entscheidung
des „Klimakabinetts“ am
kommenden Freitag
schwelt der Grundsatzstreit noch
immer: Soll der Ausstoß von
Treibhausgasen in Deutschland
künftig durch hohe Energiesteu-
ern reguliert werden? Oder wäre
es zielführender, den CO 2 -Ausstoß
durch Ausgabe von Berechti-
gungsscheinen mengenmäßig zu
begrenzen?

VON DANIEL WETZEL

In der Streitfrage CO 2 -Steuer
oder Emissionshandel verweisen
die Freunde harter Staatseingriffe
gern auf das Beispiel Schweden,
das ihnen als Vorbild gilt. Denn
dem skandinavischen Land gelang,
woran Deutschland bislang schei-
terte: den CO 2 -Ausstoß des Ver-
kehrs zu senken.
In Deutschland nahmen die
Emissionen des Straßenverkehrs
seit 1990 um vier Prozent zu. In
Schweden nahmen sie um elf Pro-
zent ab. Dass für den Erfolg der
Skandinavier die weltweit höchste
Klimasteuervon 115 Euro pro Ton-
ne CO 2 verantwortlich sein müsse,
gilt in der deutschen Debatte bis-
lang als ausgemacht.
Doch dieser Eindruck täuscht.
Wissenschaftler des Instituts der
Deutschen Wirtschaft (IW Köln)
haben einmal genauer nach Nor-
den geschaut und glauben nun
nicht mehr, dass sich Schwedens
Klimarezept hierzulande kopieren
ließe. „Zunächst zeigt die schwe-
dische Entwicklung, dass die Ein-
ffführung einer COührung einer CO 2 -Steuer nicht
garantiert, dass ein bestimmtes
Reduktionsziel erreicht wird“,
schreiben die Autoren der IW-
KKKurzstudie, Thomas Puls und Thi-urzstudie, Thomas Puls und Thi-
lo Schaefer. Ohnedies lasse sich
„kein Beleg dafür finden, dass die
CO 2 -Steuer einen zentralen Bei-
trag zur schwedischen Erfolgsge-
schichte geleistet hat“.
So stellen die Autoren fest, dass
Schweden die CO 2 -Steuer bereits
1 991 einführte. Doch die Emissio-
nen stiegen noch 15 Jahre lang
weiter, teilweise sogar in noch hö-
herer Geschwindigkeit als zuvor.
Die Steuer hat nach Einschätzung
der Wissenschaftler CO 2 -Emissio-
nen in diesem Zeitraum besten-
fffalls gebremst, aber nicht verhin-alls gebremst, aber nicht verhin-
dert. Erst 2010 kam es in Schwe-
den zu einem deutlichen Rück-
gang des Kohlendioxidausstoßes
im Verkehr, was allerdings „mit
einem Hochlauf des Einsatzes von
Biokraftstoffen zusammenfällt“.
AAAus der schwedischen Ver-us der schwedischen Ver-
kehrsstatistik können die For-
scher ableiten, dass die seither ra-
sante Emissionsminderung dort
stark auf Nutzfahrzeuge zurück-
zuführen ist. Der Einsatz von Bio-
kraftstoffen in diesem Bereich
vervierfachte sich in Schweden
zwischen 2010 und 2017 nahezu
von fünf Terawattstunden auf 19
Terawattstunden. Politisch flan-
kiert wurde der Biodiesel-Boom in
Schweden durch eine weitgehen-
de Steuerbefreiung. Dass die CO 2 -
Steuer zusätzlich fossile Kraft-
stoffe teurer machte, verbesserte
zwar die Wettbewerbsfähigkeit
der Biokraftstoffe, war aber vor
dem Hintergrund ohnehin

schwankender Rohölnotierun-
gennicht entscheidend.
Unter dem Strich machte
nur das Zusammenspiel von
drei Faktoren den schwedi-
schen Klimaschutzerfolg mög-
lich, bilanzieren die Autoren:
WWWährend die COährend die CO 2 -Steuer „nur
mittelbar“ mit der Emissions-
minderung zusammenhing,
war entscheidend, dass in
Schweden eine CO 2 -freie
Kraftstoffalternative bereitge-
stellt wurde: „Der Reduktions-
effekt kam erst in dem Mo-
ment zustande, in dem den
Konsumenten eine CO 2 -freie
Energieform geboten wurde,
die in großer Menge verfügbar
war und die Mobilitätswünsche
nicht einschränkte.“ Drittens
war eine massive steuerliche
Förderung dieser Biokraftstof-
fffe maßgeblich.e maßgeblich.
Ließe sich aber das schwedi-
sche Biosprit-Wunder in
Deutschland reproduzieren?
Die Studienautoren halten das
gleich aus einer ganzen Reihe
von Gründen für ausgeschlos-
sen. Zunächst: Deutschland hat
einen fast neunmal so hohen
Endenergieverbrauch im Ver-
kehr wie Schweden.
Eine Verfügbarkeit von Bio-
rohstoffen in dieser Größen-
ordnung sei hierzulande ohne
WWWeiteres gar nicht gegeben. Eseiteres gar nicht gegeben. Es
erscheine „unrealistisch, den
deutschen Bedarf nach schwe-
dischem Vorbild im Wesentli-
chen über Palmöl-Produkte
und Schlacht-Abfälle zu dec-
ken“.

Damit weisen die Forscher
gleich auf ein zweites Problem
hin: In Deutschland haben Bio-
kraftstoffe einen schlechten
Ruf. Schon die Einführung des
Biosprits E10 hatte schließlich
eine aufgeregte „Tank oder Tel-
ler“-Diskussion ausgelöst, erin-
nern die IW-Autoren: „Minde-
stens genauso viele Vorbehalte
resultieren daraus, dass eine
VVVerbindung zwischen dem Bio-erbindung zwischen dem Bio-
dieseleinsatz in Europa und der
Rodung des Regenwaldes zu-
gunsten von Palmölplantagen
gezogen wird.“
Die Regenwälder in Indone-
sien und Malaysia, wichtige Ha-
bitate für bedrohte Tierarten
wie etwa den Orang-Utan, wer-
den seit Jahrzehnten für die
rasch wachsende Palmöl-Pro-
duktion gerodet. Nach den Er-
mittlungen der IW-Forscher
basiert nun allerdings das
schwedische Biosprit-Wunder
genau auf substanziellen Palm-
öl-Importen aus dieser Region.
Denn in Schweden wird ein
spezieller Biodiesel produziert,
das sogenannte Hydro treated
vegetable oil (HVO). Dessen
Herstellung ist so kosteninten-
siv, dass ein Großteil davon nur
aufgrund billiger Palmöl-Beimi-
schungen wettbewerbsfähig ist.
Zwar macht zertifiziertes
Palmöl nur fünf Prozent der
Rohstoffbasis für die HVO-Pro-
duktion aus. Doch „weitere 39
Prozent entfallen auf Palmöl-
fettsäure-Destillat (PFAD) – ein
ranziges Fett, das bei der Palm-
öl-Produktion anfällt“, heißt es
in der Studie: PFAD werde in
der schwedischen Statistik als
Abfallstoff klassifiziert und gel-
te damit als nachhaltiger Roh-
stoff. „In Summe ist festzuhal-
ten, dass die Rohstoffversor-
gung der schwedischen HVO-
Produktion zu großen Teilen
aus genau den Quellen stammt,
welche die deutsche Öffentlich-
keit als problematisch ansieht“,
lautet das Fazit des IW: „Das
und die Tatsache, dass der deut-
sche Bedarf etwa das Neunfa-
che des schwedischen ausma-
chen würde, weckt Zweifel an
der Übertragbarkeit dieses Er-
folgskonzepts.“

Schweden


taugt


nicht als


Vorbild


Die CO 2 -Steuer


im Land bringt nur
vermeintlich einen
Erfolg für das Klima
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