Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1
Netanjahu in der Wahlkampfzentrale seiner Partei

AFP

/ JACK GUEZ

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER


Mahmud Hussein


M


it dem heutigen Tag
bricht für den Journa-
listen MahmudHus-
seinder 1000. Tag in Haft an.
Am 23. Dezember 2016 war Hus-
sein, der für den Nachrichten-
sender al-Dschasira arbeitete,
während eines privaten Aufent-
halts in Kairo verschwunden.
Erst zwei Tage später bestätigte
das ägyptische Innenministeri-


um, dass Hussein wegen des
Verdachts auf „Hetze gegen
staatliche Einrichtungen“ und
der „Verbreitung falscher Nach-
richten“ festgehalten werde.
Der eigentliche Grund für
Husseins Verhaftung dürfte der-
weil wohl das angespannte Ver-
hältnis zwischen Ägypten und
al-Dschasira sein. Regierungs-
vertreter hatten dem Sender in
der Vergangenheit wiederholt
vorgeworfen, radikale Islamis-
ten in Ägypten zu unterstützen.
Obwohl Hussein bereits seit
mehr als zweieinhalb Jahren un-
ter Arrest steht, wurde ihm noch
immer kein Prozess gemacht.
Bisher wurde seine Haft im
berüchtigten Hochsicherheits-
gefängnis Tora immer wieder
verlängert, obwohl die eigent-
lich nach ägyptischem Recht
erlaubte 18-Monats-Frist bis zu
einer Verhandlung längst über-
schritten ist.


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In Kooperation mit
REPORTER OHNE GRENZEN


Ein wütender Vater hat den
britischen Premierminister
Boris Johnson während dessen
Visite in einem Krankenhaus
verbal angegriffen. Das Kran-
kenversicherungssystem des
Landes sei zerstört worden,
schimpfte Omar Salem am
Mittwoch an Johnson gerichtet
und klagte: „Und jetzt kom-
men Sie hierher für einen Pres-
setermin.“ Als der Premier ent-
gegnete, die Presse sei gar
nicht da, zeigte Salem auf die
anwesenden Fernsehkameras.
Johnson besuchte das Londo-
ner Krankenhaus Whipps
Cross University Hospital, als
der Mann ihn mit dem Thema
konfrontierte und erklärte, sei-
ne Tochter sei dort über Nacht
nicht behandelt worden, ob-
wohl sie Hilfe gebraucht habe.


Wütender Vater


beschimpft


Boris Johnson


E

s war eine für Israel in
vielerlei Hinsicht unge-
wöhnliche Parlaments-
wahl. Das änderte sich
auch nicht, als die Fernsehsender
um Punkt zehn Uhr abends Orts-
zeit mit Schließung der Wahllo-
kale ihre Hochrechnungen veröf-
fentlichten.

VON GIL YARON
AUS TEL AVIV

Zum ersten Mal seit Israels
Staatsgründung tönte aus kei-
nem Parteihauptquartier Jubel –
und das völlig zurecht. Israels
Wähler, die in weitaus größeren
Zahlen als erwartet in der zwei-
ten Parlamentswahl im selben
Jahr von ihrem Wahlrecht ge-
braucht gemacht hatten, be-
scherten ihrem Land erneut eine
höchst verzwickte Pattsituation.
Weder das rechts-konservati-
ve, religiöse Lager unter Premier
Benjamin Netanjahu noch die
linke Opposition unter dem ehe-
maligen Generalstabchef Benny
Gantz errangen eine regierungs-
fähige Mehrheit von 61 der insge-
samt 120 Sitze in der Knesset.
Netanjahus Koalition erreichte
nach Auszählung von rund 90
Prozent der Stimmen nur maxi-
mal 56, Gantzs Bündnis maximal
55 Sitze. Viele scheinen nun rat-
los. Sogar eine dritte Wahlrunde
ist möglich.
Gantz, der Vorsitzende der
Mitte-links-Liste Blau-Weiß, hat
sich derweil für die Bildung einer
Einheitsregierung ausgespro-
chen. „Wir werden uns dafür ein-
setzen, eine breite Regierung der
nationalen Einheit zu bilden, die
den Willen des Volkes zum Aus-
druck bringt“, sagte Gantz am
Mittwoch vor Anhängern in Tel
Aviv. „Wir haben die Verhandlun-
gen aufgenommen, und ich wer-
de mit allen sprechen.“ Nur: Ist
das realistisch? Es gibt drei wahr-
scheinliche Szenarien.
Die Hauptverantwortlichen
dafür, dass Netanjahu keine
Mehrheit errang, sind ausgerech-
net seine innenpolitischen Erz-
feinde, Israels arabische Bürger,
und dessen ehemaliger Verbün-
deter Avigdor Lieberman. Der
ehemalige Verteidigungsminis-
ter, der international als Hardli-
ner bekannt ist, kündigte seinem
ehemaligen Boss vor einem Jahr
die Gefolgschaft auf und erfand
sich für diese Wahlen neu. Dabei
konzentrierte er sich hauptsäch-
lich auf innenpolitische Themen.
Sein zentrales Motto: „Make
Israel normal again – macht Isra-
el wieder normal“ half ihm vom
allgemeinen Unmut in der Bevöl-
kerung über die zunehmende
Macht der Rabbiner und radika-
ler Parteien zu profitieren. Net-
anjahu hatte diesen gegenüber
nach den letzten Wahlen im April
in Koalitionsverhandlungen
enorme Zugeständnisse ge-
macht, und Vertreter religiöser
Randgruppen zu Ministern er-
nannt.
Die Wähler dankten Lieber-
man seinen Sinneswandel, und
machten seine Partei – laut den
ersten Hochrechnungen – zur
viertgrößten Fraktion in der

Knesset. Ohne ihn können weder
Netanjahu noch Gantz vom Prä-
sident das Mandat erhalten, eine
Regierung zu bilden. Im Wahl-
kampf stellte Lieberman eine kla-
re Bedingung für seine Zustim-
mung: Er werde nur dem Politi-
ker seine Stimme geben, der eine
säkulare, nationale Einheitsre-
gierung bilde.
Lieberman gerät dadurch in
ein Dilemma: Sollten Gantz und
Netanjahu nämlich tatsächlich
zusammenkommen, hätten sie
auch ohne Lieberman die not-
wendige Mehrheit im Parlament.
Warum ihn also einbinden?

Gantz und Netanjahu sind zwar
von Lieberman abhängig, aber
nur solange sie nicht miteinan-
der auskommen. Das verleiht ih-
nen ein Druckmittel gegenüber
dem Königsmacher. Sie können
ihm androhen, ihn zu ignorieren


  • um ihn letztlich doch auf ihre
    Seite zu kriegen. Beide werden
    versuchen ihn umzustimmen,
    um ihren großen Rivalen außen
    vor lassen zu können, und sich
    das Einiges kosten lassen. Diese
    werden entscheiden, ob Israel ei-
    ne schmale rechte oder linke,
    oder eine breite nationale Ein-
    heitsregierung erhält.


Lieberman selbst rief nach der
Wahl zur Bildung einer großen
Koalition auf. Er forderte am
Dienstagabend eine „nationale,
liberale breite Regierung“. Diese
müsse aus seiner eigenen Partei,
dem Likud von Netanjahu und
dem Bündnis von Gantz beste-
hen. Eine breite Koalition sei
notwendig, weil Israel sich in ei-
nem Notstand befinde.
Ein neuer Faktor, der bei die-
ser Wahl hinzukam und langfris-
tigen Einfluss auf Israels Politik
haben könnte, sind die arabi-
schen Staatsbürger – rund 20
Prozent der Bevölkerung. Seit

Wer gibt zuerst


in Israel nach?


Ministerpräsident Netanjahu muss um sein Amt bangen:


Nach der Parlamentswahl zeichnet sich ein knappes Rennen


zwischen ihm und seinem Herausforderer Benny Gantz ab.


Jetzt gibt es drei wahrscheinliche Szenarien


Gantz ist der Vorsitzende der Mitte-links-Liste Blau-Weiß

AFP

/ EMMANUEL DUNAND
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