Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1
Es ist ja immer gut, einen potenziellen
Angreifer nicht sofort niederzuknüppeln,
sondern erst mal das Gespräch zu suchen.
Kommunikation ist schließlich alles; nur
hilft Kommunikation nichts, wenn die
Botschaft nicht ankommt. Das gilt erstaun-
licherweise auch in der Tierwelt, an den
Stränden des Atlantiks. Dort lebt die West-
atlantische Reiterkrabbe (Ocypode quadra-
ta), auch sie muss Feinden irgendwie
klarmachen, dass mit ihr nicht zu scherzen
ist. Normalerweise reiben die Krabben ihre
Scheren aneinander und produzieren der-
art abschreckende Geräusche, dass ihnen
niemand zu Leibe rücken will. Stridulation
nennen Experten diese Taktik. Doch ge-
ben die Tiere auch dann Laute von sich,
wenn ihre Zangen ruhen. Wie kann das
sein? Ein Team um die Biologin Jennifer
Taylor von der University of California
konnte mittels Schwingungsmessungen
und Röntgenaufnahmen zeigen, dass die
Tiere kleine Zähne im Magen tragen, die
sie ebenfalls für ihre Abschreckungstöne
aneinanderreiben. Diese Magenmühle hal-
te Angreifer fern, schreiben die Forscher
im FachblattProceedings of the Royal Socie-
ty B.Wohl bekomm’s. fehu

Schreckliches


Magenknurren


von kathrin burger

I


m Jahr 1950 hat ein Bauer in Deutsch-
land gerade mal zehn Menschen er-
nährt, heute sind es 155. Doch hat die
gesteigerte Produktivität ihren Preis: Die
Böden sind vielerorts ausgelaugt, die
Artenvielfalt schwindet. Die Klimakrise
macht Dürren wie im vergangenen Som-
mer in Zukunft wahrscheinlicher. Und
gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung
weiter. Die Landwirtschaft steht also vor
immensen Herausforderungen. Josef
Bosch, Landwirt und Unternehmer südlich
von Regensburg setzt darum auf die Digita-
lisierung der Landwirtschaft, auch „Smart
Farming“ genannt.
Dafür hat er seinen Traktor mit GPS-An-
tennen ausgerüstet und nutzt Daten von
Sentinel-2-Satelliten, die im Rahmen des
Erdbeobachtungsprogramms „Coperni-
cus“ von der Europäischen Weltraumorga-
nisation Esa ins All gesandt wurden. Aus
790 Kilometern Höhe machen die Satelli-
ten Luftaufnahmen von jedem Quadratzen-
timeter der Erde. Die Münchner Firma
Vista hat sich in seinem Auftrag die Daten
seiner 93 Hektar großen Felder herunterge-
laden und berechnet daraus sogenannte
„Düngekarten“. Damit kann Bosch den
Traktor füttern. „Denn ein Acker ist nicht
homogen“, sagt Bosch. „Es gibt Stellen, die
sind fruchtbarer, andere weniger.“
Mit dem Schlepper kann er nun ganz
präzise düngen, dabei lenkt die Maschine
von selber. Wo der Boden bereits viele
Nährstoffe hat, braucht der Landwirt nun
weniger Stickstoffdünger, um den glei-
chen Ertrag für seine Zuckerrüben oder

den Winterweizen einzufahren. Während
Bosch früher durchschnittlich 240 Kilo-
gramm Stickstoff pro Hektar benötigte,
sind es heute 30 bis 45 Kilogramm weni-
ger. Davon profitiert die Umwelt. Überdün-
gung schadet den Gewässern sowie der
Artenvielfalt. Wegen der hohen Nitratbe-
lastung des Grundwassers droht die EU-
Kommission Deutschland derzeit sogar
mit einer Klage.
Der Regensburger Landwirt spart nicht
nur Dünger, auch Pflanzenschutzmittel
werden dank einer automatischen Steue-
rung der Spritze nur dort aufgetragen, wo
es nötig ist. Früher wurden einige Stellen
immer doppelt behandelt, weil sich die
Fahrspuren überlappten. Und auch das
Saatgut kann effizienter gepflanzt werden.
All das senkt natürlich auch Kosten.

Wie Bosch, der mit der Firma Farm
Facts digitale Lösungen verkauft, setzen
auch Bauernverbände verstärkt auf die Di-
gitalisierung, um mit weniger Ressourcen
mehr Ertrag einzufahren. In Deutschland
nutzt laut einer Umfrage des Digitalverban-
des Bitkom einer von fünf landwirtschaftli-
chen Betrieben solche Technologien, bei
großen Höfen mit mehr als 100 Mitarbei-
tern ist es jeder Dritte. Die EU-Kommissi-
on und das Bundesministerium für Ernäh-
rung und Landwirtschaft (BMEL) fördern
derzeit massiv entsprechende Forschungs-
projekte. Laut einem wissenschaftlichen

Gutachten des EU-Parlaments ließen sich
auf den europäischen Äckern mit Informa-
tionstechnologie zehn Prozent Dieselkraft-
stoffe einsparen, auch die Bodenerosion
könnte begrenzt werden, von derzeit
17 Tonnen Erdreich pro Hektar auf eine
Tonne. Herbizide könnten um bis zu
80 Prozent, Nitratrückstände durch Über-
düngung im Boden um 30 bis 50 Prozent
reduziert werden.
Neben der Digitalisierung großer Land-
maschinen wie Schleppern und Mähdre-
schern werden völlig neue Drohnen und
Feldroboter entwickelt. Jens Karl Wege-
ner, Ingenieur am Julius-Kühn-Institut in
Braunschweig, erforscht, wie man schwere
Landmaschinen durch kleine, autonome
Roboter ersetzen kann. Diese sollen einen
neuen Typ Feld bewirtschaften, auf dem
verschiedene Pflanzen in amorphen
„Spots“ wachsen, anstatt in Reih und Glied
als Monokultur. Beim „Spot-Farming“ wer-
den Rüben, Mais oder Getreide gezielt dort
angepflanzt, wo sie die besten Bedingun-
gen zum Gedeihen vorfinden. „Kleine, wen-
dige Feldroboter, die über GPS navigieren
und sich mit Sensoren Umweltinformatio-
nen beschaffen, können eine Einzelpflan-
zenbetreuung realisieren, wie man es aus
dem Gewächshaus kennt“, erklärt Wege-
ner. „Sie versorgen jede einzelne Pflanze
nach Bedarf mit Nährstoffen und schützen
diese vor Krankheiten und Schädlingen.“
Ressourcenschonend arbeitet auch Boni
Rob, ein Feldroboter auf Rädern, entwi-
ckelt von der deutschen Firma Deepfield
Robotics. Der kann Unkraut mithilfe eines
Rammstabes im Boden versenken – und
damit Herbizide wie Glyphosat ersetzen.

Zudem wird an Drohnen geforscht, die ein-
mal die Bestäubungsarbeit der Bienen ver-
richten können, falls es nicht gelingt, das
massenhafte Bienensterben einzudäm-
men. Auf dem Markt sind bereits Drohnen,
die Schlupfwespen-Eier tragen und diese
in Kapselform über einem Maisfeld abwer-
fen, das etwa vom Zünsler befallen ist. Die
Wespen schlüpfen und legen ihre Eier in
die des Maiszünslers, was den Schädling
bekämpft und Ernteverluste begrenzt. Die
Drohne fliegt autonom und wirft alle zehn
Meter eine Kapsel ab.

Im Tierstall eröffnet insbesondere das
„Internet der Dinge“ Chancen. So sorgen et-
wa Klimaanlagen für ein besseres Wohlbe-
finden von Hühnern oder Schweinen, in-
dem sie automatisch lüften oder heizen.
Mit Sensoren ausgestattete Halsbänder
können Kühe erkennen, die auffällig viel
liegen oder wenig trinken und fressen. Sie
alarmieren den Bauern über das Smart-
phone. Das klingt zwar nicht nach bäuerli-
chem Idyll, aber: „Ob ich als Landwirt eine
Beziehung zur Kuh habe, ist aus tierethi-
scher Sicht nicht wichtig“, sagt Armin
Grunwald vom Institut für Technikfolgen-
abschätzung und Systemanalyse in Karls-
ruhe. „Wichtig ist vielmehr, dass das Tier
ordentlich gehalten wird – egal ob mit oder
ohne Digitalisierung im Stall.“
Ein weiterer Vorteil: Die gesammelten
Informationen können geteilt werden. So

könnten auch benachbarte Betriebe von
einem drohenden Schädlingsbefall erfah-
ren. Zwar wird das Smart Farming derzeit
vor allem von großen Höfen genutzt, aller-
dings können auch kleine Betriebe profitie-
ren. Laut dem Bayerischen Bauernverband
könnten etwa teure Maschinen gemein-
schaftlich genutzt werden. Ein Hindernis
für die zügige Verbreitung ist derzeit je-
doch die oft mangelnde Anbindung an
schnelles Internet auf dem Land.
Doch die weitreichende Vernetzung auf
dem Feld zieht auch große Agrar-Firmen
an. Bayer, John Deere, aber auch Amazon
und Google sammeln derzeit immense
Mengen an Agrar-Daten. Der Grund für
das Interesse: Goldman Sachs prognosti-
zierte vor zwei Jahren für das Smart Far-
ming ein Marktpotenzial von 240 Milliar-
den Dollar, bei 70 Prozent mehr Erträgen
bis 2050. „Durch die Eigentumsverhältnis-
se an Daten können jedoch rasch Macht-
verhältnisse entstehen“, warnt Grunwald.
Dass eine Abhängigkeit von großen Unter-
nehmen nicht ratsam ist, meinen auch die
Wissenschaftler der „Innovationsinitiati-
ve Landwirtschaft 4.0“. Die Forscher der
Leibniz-Institute fordern in einem Positi-
onspapier, die Vernetzung öffentlich zu
fördern, um einen monopolisierten Zu-
griff auf die Daten zu verhindern. „Diese
großen Konzerne halten dann möglicher-
weise eines Tages die Daten der Landwirte
in der Hand“, meinte der Grünen-Bun-
desvorsitzende Robert Habeck auf der „Di-
gital Farming Conference“ im Frühjahr.
Da stelle sich die Frage, wie sehr Bauern
dann noch eigenständig wirtschaften
könnten.

Unsere smarte Farm


In derLandwirtschaft soll die Digitalisierung die Umwelt schonen und den Tierschutz verbessern.


Doch die zunehmende Vernetzung könnte auch neue Abhängigkeiten schaffen


IBM und die Fraunhofer Gesellschaft wol-
len die Forschung zu Quantencomputern
mit einer neuen Partnerschaft voran-
treiben. Dafür bringt der amerikanische
Technologie-Konzern erstmals seinen
Quantencomputer „Q System One“ nach
Deutschland. Ziel sei es, hierzulande eine
Forschungsgemeinschaft rund um Fähig-
keiten, Erkenntnisse und Ausbildung im
Umgang mit der Technologie aufzubauen,
teilten die Partner mit. Ein Standort des
Systems steht noch nicht endgültig fest,
soll aber bis 2020 gefunden sein.
Quantencomputer können aufgrund ei-
ner grundsätzlich anderen Funktionswei-
se theoretisch um ein Vielfaches schneller
und leistungsfähiger sein als herkömmli-
che Computer. Noch sind sie aber eher For-
schungsobjekte, kommerzielle Anwendun-
gen gibt es bislang nicht. Wissenschaftler
erhoffen sich von Quantencomputern
Durchbrüche in vielen rechenintensiven
Disziplinen, etwa bei der Erforschung neu-
er Medikamente, bei der Entwicklung
künstlicher Intelligenz oder auch für die
Optimierung von Lieferketten in der Logis-
tik.


Während bei herkömmlichen Compu-
tern die kleinsten Bestandteile (Bits) je-
weils den Zustand Null oder Eins anneh-
men, können sogenannte Qbits gemäß der
Quantenmechanik mehrere Zustände
gleichzeitig darstellen – ein Paradox, das
auch heute noch für Physiker eine große
Herausforderung darstellt. Die Zustände
der Qbits sind zudem sehr flüchtig und än-
dern sich schon allein bei der Betrachtung.
Das „Q-System One“ soll dagegen in der La-
ge sein, die Quantenzustände länger stabil
zu halten und somit auch die kommerzielle
Nutzung ermöglichen.
„Diese Partnerschaft ist eine wegweisen-
de Initiative für angewandtes Quanten-
computing und ein entscheidender Fort-
schritt für deutsche Forschungseinrichtun-
gen sowie Unternehmen aller Größenord-
nung in unserem Land“, sagte Reimund
Neugebauer, Präsident der Fraunhofer Ge-
sellschaft. Über die nächsten zwei Jahre
will die Bundesregierung 650 Millionen Eu-
ro in die Erforschung von Quantencompu-
tern investieren. Damit sollen grundlegen-
de Forschungsergebnisse in marktreife
Anwendungen umgesetzt werden. Ziel sei
es, dass deutsche Institute und Unterneh-
men die sogenannte zweite Quantenrevolu-
tion mitgestalten und international eine
führende Rolle übernehmen, heißt es beim
Bundesministerium für Bildung und For-
schung. Für diese Zielsetzungen habe man
mit dem IBM-Q-Netzwerk eine „wichtige
Drehscheibe für das Quantencomputing in
Europa“ hinzugewonnen.
Bundesforschungsministerin Anja Kar-
liczek lobte die Kooperation als bedeuten-
den Beitrag zur Umsetzung des Regie-
rungsprogramms. „Es ist wichtig, dass wir
schon heute verschiedene Anwendungsfel-
der des Quantencomputings erschließen,
gerade auch für mittelständische Unter-
nehmen, die für Deutschland wirtschaft-
lich eine hohe Bedeutung haben.“
An Quantencomputern wird seit Jahr-
zehnten geforscht, lange handelte es sich
nur um ein theoretisches Konzept. IBM hat-
te seinen „Q System One“ Anfang des Jah-
res auf der Elektronikmesse CES in Las Ve-
gas als ersten auch kommerziell nutzbaren
Quantencomputer vorgestellt. Am For-
schungszentrum Jülich arbeiten aktuell
Forscher unter anderem aus Spanien,
Schweden, Finnland und Deutschland ge-
meinsam mit dem Internet-Konzern Goo-
gle an dem „OpenSuper Q“, der 2021 fertig-
gestellt sein soll. Auch IBMs System ist als
europäische Forschungsinitiative ange-
legt und soll eine Drehscheibe für For-
schung und Entwicklung werden. dpa


Bayer, Amazon und Google
sammeln immense Mengen
an Agrar-Daten

Mehrere Zustände gleichzeitig:


Die Technik stellt Physiker


vor große Herausforderungen


Rechnen


mit Qbits


Fraunhofer-Gesellschaft und IBM
forschen am Quantencomputer

Neue Feldroboter versenken
Unkraut einfach im Boden


  • und sparen damit Glyphosat


14 HF2 (^) WISSEN Donnerstag, 12. September 2019, Nr. 211 DEFGH
FOTO: GETTY IMAGES
Lösungen vom Mittwoch
47
9
3
7
8
512
6
1
52
9
SZ-RÄTSEL
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
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Schwedenrätsel Sudokuleicht
4 2 5 6
8 7
7 2
9 8
4 7
6 5 3 1
2 8
8 1 9
7 5
2571 38946
1946 7 5328
83629 4751
64 59138 7 2
38 27465 1 9
97 18526 34
41356 9287
5684 27193
72938 1465
Str8ts: So geht’s
879 645
798 6534
45 978
23 57896
543 6 789
36254 78
435 67
8976 435
786 132
1
2
3
4
9
Str8tsmittelschwer

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