Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1
von peter burghardt

B


ei den Kahls im Hamburger
Westen ist das Schiff längst an-
gelandet. „Freunde der Vier-
mastbarkPekinge. V.“ steht auf
dem weißen Poloshirt des Haus-
herrn, Mathias Kahl ist der Vereinsvorsit-
zende. In einer Vitrine im Gang steht ein
Modell derPeking, die bald wieder zur At-
traktion im Hamburger Hafen werden soll.
Schwarzweißroter Rumpf, detailgetreuer
Aufbau – ein Schmuckstück aus Bayern, er-
standen auf Ebay. An den Wänden hängen
Fotos und Gemälde, etliche davon fotogra-
fiert oder gemalt von Angelika Kahl, viele
davon zeigen: diePeking.
Die echtePekingliegt an diesem Vormit-
tag noch bei der Peters Werft in Wewels-
fleth, einige Kilometer die Elbe hinab, zwi-
schen Glückstadt und Brokdorf. Dort wird
sie renoviert. Genauer: Sie wird in jenen Zu-
stand versetzt, in dem sie ihre Heimat vor
fast neun Jahrzehnten zuletzt verlassen
hatte. Es naht das Finale einer Odyssee, die
aus Hamburger Docks über Weltmeere
führte, durch Stürme, nach Südamerika,
zu den Briten, in ein New Yorker Schatten-
dasein und vor zwei Jahren endlich zu-
rück. 2020 soll diePekingam Ende ihrer
langen Reise als schwimmendes Relikt der
Seefahrt und der Hamburger Geschichte
im Hamburger Hafen festmachen. Dort,
wo alles begonnen hatte.


Mathias Kahl ist Jahrgang 1950. Er war
noch nicht geboren, als diePekingam



  1. Februar 1911 bei Blohm+Voss vom Sta-
    pel lief, als sie am 16. Mai 1911 der Reederei
    F.Laeisz übergeben wurde und am 22. Ju-
    ni unter Kapitän Hinrich Nissen zu ihrer
    ersten Fahrt nach Chile ablegte, um Salpe-
    ter abzuholen. Vorbei an Kap Hoorn, davon
    wird noch die Rede sein. Doch Kahls Vater
    fuhr ab 1928 als junger Mann ein paar Jah-
    re lang auf derPeking, einem der damals
    bedeutendsten Frachtsegler der Welt.
    „Kahl, Karl“, ist in einer alten Liste der Be-
    satzung zu lesen. Datum: 4. 5. 1928. Lohn:
    null. Der Schiffsjunge Karl Kahl schuftete
    anfangs nach dem Prinzip „Hand gegen Ko-
    je“, dann gab es ein paar Reichsmark Heu-
    er. Später wurde er Kapitän, wenn auch
    nicht auf derPeking.
    Der Vater starb, als der Sohn neun Jahre
    alt war, „aber er hat mir wahnsinnig viel
    von seinen Reisen erzählt“, sagt Mathias
    Kahl. „Seit Kindheit kenn’ ich die Geschich-


ten“, Bilder von Windjammern hingen
schon in seinem Kinderzimmer. Seine
Frau sagt, dass ihr Mann immer von derPe-
kinggesprochen habe, sie malte ihr erstes
Bild derPeking1984. Jetzt gehören sie zu je-
nen Enthusiasten, die dieses prächtige
Stück Hamburger Vergangenheit nach
Hause geholt haben.
Eine sagenhafte Rückkehr. Vorstand
Kahl fuhr zwar selbst nie berufsmäßig zur
See wie sein Vater, der auf derPekingnoch
ohne Sicherung in den Riggs hing, so mach-
te man das seinerzeit. Aber der Diplom-
Kaufmann war 42 Jahre lang in der Schiff-
fahrtsbranche tätig und ist seit seiner Pen-
sionierung hauptsächlich für diePekingim
Einsatz. Für eine Erinnerung an eine Epo-
che ohne Motor, ohne Dampf, ohne Diesel,
ohne Container.
Dem Besucher legt er Papiere vor, auch
hält er ständig Vorträge über diePeking.
Chronik und Daten kennt er praktisch aus-
wendig, wie vermutlich jeder aus der Riege
von Verein und Stiftung, die mit äußerst
großzügiger Hilfe von Staat und Politik die-
se Kursänderung hingekriegt haben. Die
Pekingist 115 Meter lang und 14,40 Meter
breit, Tiefgang 7,20 Meter, der Rumpf ist
aus genietetem Stahl. Die Masten ragen 62
Meter über den Kiel und 51 Meter über das
Deck hinaus, bestückt mit 34 Segeln.
Der schnelle Transportsegler gehört zu
den Flying-P-Linern der Laeisz-Flotte, de-
ren Name jeweils mit P beginnt. Vier davon
gibt es noch: DiePekingist demnächst also
wieder in Hamburg, diePaduasegelt als
russisches SchulschiffKruzenshternwei-
ter, diePommernliegt als Museumsschiff
in Finnland, diePassatlässt sich seit 1960
in Travemünde besichtigen. Außer Dienst
gestellt wurde diePassat1957, nachdem
sie mit schwerer Schlagseite einen Sturm
überstanden hatte und ein anderer
P-Liner wenige Wochen zuvor im Hurri-
kan gesunken war: Auf der Rückfahrt von
Buenos Aires ging diePamirim aufge-
peitschten Atlantik unter, 80 der 86 Besat-
zungsmitglieder starben.
Mathias Kahl stand als Bub mit seinem
Vater an der Elbe, als diePamirein letztes
Mal auslief. Er erinnert sich, wie ihm Trä-
nen in die Augen schossen, als er hörte,
dass sie verloren war.
DiePekinghielt Winden und Wogen
stand, ehe ihre Flaute anbrach. 34 Mal um-
rundete sie Kap Hoorn, die berüchtigte
Südspitze Südamerikas. Im Netz ist ein
Schwarz-Weiß-Film des US-Abenteurers
Irving Johnson von 1929 zu sehen, Titel:
„Around Cape Horn“ oder „ThePekingbatt-
les Cape Horn“, da wühlt sich diePeking
durch die Monsterwellen an diesem Ein-
gang zur Vorhölle. Es ging damals ohne Mo-

tor und Strom nicht anders von Europa zu
den chilenischen Pazifik-Häfen, wo Salpe-
ter aus der Atacama-Wüste geladen wur-
de, trotz Panama-Kanal. Ungefähr 90 Tage
dauerte die Tour, einfach, 4100 Quadrat-
meter Segel machten diePeking17 Knoten
flott, 31 Stundenkilometer. An Bord waren
30 Mann und später 42 Kadetten, als Provi-
ant an Bord unter anderem Schweine und
Hühner. 1921 musste das Schiff dann als
Reparationszahlung nach dem Ersten
Weltkrieg Italien überlassen werden, für
8500 Pfund bekam die Reederei Laeisz sie
1923 zurück. Für den Aufstieg von Ham-
burgs Hafen waren solche Schiffe und ihre
Ladung entscheidend. Doch als der synthe-
tische Dünger und Sprengstoff Salpeter
langsam überflüssig machten, die Produk-
tionsstätten in Chiles Norden zu Geister-
städten verkamen und die Weltwirtschafts-
krise hereinbrach, schien diePekingfür im-
mer aus Hamburg zu verschwinden.
1932 wurde der Viermaster für 6250
Pfund nach England verkauft und blieb bis
1974 als stationäres Ausbildungsschiff
Arethusaauf dem Medway River und im
Zweiten Weltkrieg alsHMS Pekinder Roy-
al British Navy. Nächste Etappe der Irr-
fahrt: 1975 zog ein holländischer Schlep-
per diePekingüber den Atlantik nach New
York, das South Street Seaport Museum
hatte für 70 000 US-Dollar zugegriffen.
Die Heimatlose bekam wieder ihren alten
Namen und ihre alten Farben, doch da lag
sie nun. East River, Pier 16, unweit der
Brooklyn Bridge. Bis 2017.

Die Kahls schauten vorbei, wenn sie in
Manhattan waren. Die Liebe der Amerika-
ner zu der fremden Bark dagegen hielt sich
in Grenzen. DiePekingverrottete, beinahe
wäre sie verschrottet worden. „Dann kam
diese Geschichte“, sagt Mathias Kahl. Die
Geschichte der Rettung.
16 Jahre lang wurde verhandelt. Die In-
itiative übernahmen 2001 Reinhard Wolf,
Syndikus der Hamburger Handelskam-
mer, und Joachim Kaiser, Kapitän und
Sachverständiger für historische Schiffe.
Die Hamburger Bundestagsabgeordneten
Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse
(CDU) klärten schließlich die Finanzen:
Der Haushaltsausschuss machte 120 Milli-
onen Euro für den Bau eines Deutschen Ha-

fenmuseums in der Hansestadt inklusive
26 Millionen Euro für Heimholung und
Restaurierung derPekinglocker. Am 31.Ju-
li 2017 erreichte das Wrack im Dockschiff
Combi Dock IIIdie Elbe, knapp 86 Jahre
nach dem letzten Auslaufen.
Die Sanierung wird noch teurer als er-
wartet, 35 Millionen Euro, immerhin billi-
ger als die Reparatur derGorch Fock. Unter
anderem mussten tonnenweise verroste-
ter Stahl und die Takelage ausgetauscht

werden. An Deck wurde wieder edles Holz
verlegt, Oregon Pine. Als Vorlage dienen
Pläne der baugleichenPassat. Fahrstuhl
und barrierefreie Zugänge kommen dazu,
ansonsten soll diePekingaussehen wie zu
ihren Glanzzeiten in den Zwanzigern.
Als Liegeplatz ist ab circa Mai 2020 das
Wasser am Kleinen Grasbrook vorgese-
hen, beim künftigen Hafenmuseum, in
Sichtweite der Elbphilharmonie, dem
Wahrzeichen der Hamburger Moderne.

Klappt alles, dann könnte diePekingmehr
noch als der DreimasterRickmer Rickmers
ein Hamburger Symbol werden. Bewegen
soll sie sich dann nicht mehr, auch nicht
beim Hafengeburtstag, das wäre endgültig
zu teuer. Freundeskreischef Kahl führt
noch rasch in seinen Keller, da lagern ne-
ben Fotos und dem Koffer von seinem Va-
ter ein Bullauge und ein Stück Stahl mit
Nieten, alles von derPeking. Das eine oder
andere Teil war wohl schon am Kap Hoorn.

Hamburgs


Glanz


Schnell,erfolgreich, fast verschrottet:


Die historische Bark „Peking“


kehrt nach langer Irrfahrt in ihren


Heimathafen zurück


Das Schiff, das für den Aufstieg
Hamburgssteht, soll nun ein
Symbol der Stadt werden

Neue Wege
Hamburgsoll fahrradfreundlicher
werden. Dafür müssen auch
Parkplätze weichen. 16

Großträumen
Angela Titzrath soll den Hafen vor
der Bedeutungslosigkeit retten.
Das macht sie mit Verve. 17

Flüssiges Design
Derneu gestaltete Hochweg an den
Landungsbrücken ist hübsch,
aber nicht überall sinnvoll. 19

Ruppige Herrlichkeit
Die Hamburger ringen darum,
wie sich ihre Stadt verändern
soll. Manchmal mit Erfolg. 20

DEFGH Nr. 211, Donnerstag, 12. September 2019 SZ SPEZIAL


HAMBURG ERLEBEN

1911 fuhr der Frachtsegler


zum ersten Mal nach Chile,


um Salpeter abzuholen


Erinnerung an eine Epoche ohne Motor, ohne Dampf: DiePeking
lief1911 vom Stapel, hielt Winden und Wogen stand, wurde
ausrangiert und schließlich über den Atlantik zurückgeholt.
FOTOS: JAN SIEG, HANS HARTZ / DPA, CARSTEN REHDER / DPA

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Seit über 50 Jahren werden an den
Terminals der Hamburger Hafen und Logistik AG
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bleibt die HHLA ein zuverlässiger Dienstleister
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