Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1
von till briegleb

F


ür das geschäftstüchtige Ham-
burg war die Elbe über sehr lange
Zeit einfach eine Verkehrsfläche.
Trotz später massiv erzeugter Ha-
fenromantik wurde die Wasserkante der
Stadt zur Elbe über Jahrhunderte doch vor
allem als Wirtschaftsraum definiert und
entsprechend bebaut. Krananlagen, Spei-
cher, Gleise und Zufahrtswege verbarrika-
dierten den Zugang zum Fluss. Ein großer
Teil war als Freihafen mit einem Zaun und
Zollkontrollen abgesperrt. Und hinter ei-
ner hohen Flutschutzmauer aus Backstein
bildete eine vielspurige Straße eine weite-
re Abschreckungsmaßnahme gegen die
Wahrnehmung der Elbe als Natur- und Er-
lebnisraum. Zwischen Fischmarkt und Elb-
brücken entlang der gesamten Innenstadt
wendete Hamburg bis in die Achtziger sei-
nem Fluss den Rücken zu.
Das hatte natürlich auch seine Vorteile.
In den vernachlässigten Vierteln von Alto-
na, St. Pauli und Altstadt lebte man billig
in großen Gründerzeitwohnungen und Fa-
briketagen. Hier erwachten Punk und die
Hafenstraße, Künstlerkarrieren und ver-
schiedene Subkulturen, hier pulsierte das
Herz der Vergnügungen und der Kreativi-
tät, die Club- und die Galerienszene als
Vielvölkergemeinschaft. Im Schatten brö-
ckelnder Seehandelsbauten war Hamburg
wahrlich international und vortrefflich
nachbarschaftlich. Doch dann erfand der
Hamburger Oberbaudirektor Egbert Kos-
sack 1981 die Vision der „Perlenkette“ für
den Stadtrand am Fluss.
Mit dieser Metapher aus dem Schmuck-
kästchen der Reedersgattinen, die in Vil-
len an der Elbchaussee leben, wo der Blick
auf den Fluss zwar frei, aber sehr sehr teu-


er ist, wurde das räudige Leben am Wasser
Schritt für Schritt verdrängt für einen Im-
mobilienboom. Beflügelt durch das Ende
der Hafenwirtschaft auf Hamburgs Stadt-
seite entstand zwischen dem Elbstrand in
Övelgönne und den Gewerbegebieten in
Hamburgs Osten über 40 Jahre ein neues
Schaufenster der Stadt, die Auslage eines
Architekturjuweliers mit Perlen, Mu-
scheln, Yachten, Wellengebirgen, Riffen
und was der nasse Kontinent noch so an
Bildern hergab, in Hausform – entworfen
oft von Architekten wie Herzog & de Meu-
ron, David Chipperfield, Richard Meier,
Kees Christiaanse oder Ben van Berkel.

Und jetzt ist auch der Zaha-Hadid-Bau
fertig, den jede Stadt braucht, um sich
wirklich international zu fühlen. Zwar hat
die 2016 verstorbene Kunstarchitektin in
Hamburg keinen Schlagsahneberg in XXL-
Format entwerfen dürfen, wie sie es sonst
gewohnt war. Aber wenigstens konnte sie
das wichtigste Teilstück der neuen Elbpro-
menade konzipieren, die sukzessive die
komplette Flussseite der Stadt für Fußgän-
ger und Radfahrer zugänglich macht: den
Hochweg zwischen Landungsbrücken und
Hafencity, also Hamburgs wichtigsten
Touristenboulevard für einen Hafenblick,
wo gar kein Hafen mehr ist (sondern Musi-
caltheater).
Auch Zaha Hadid gestaltete das flussna-
he Bauwerk als wasserbezogene Meta-
pher, wenn auch als das Paradox eines stei-
nernen Flusslaufs auf einem Flutschutz-
deich. Und dafür wurde im Gegensatz zu

dem nüchternen Vorgängerbollwerk im
Stil der kantigen Nachkriegsmoderne jetzt
voll auf flüssiges Design gesetzt. Alles ist
gerundet an dieser 1,5 Kilometer langen
Maßnahme, vom weißen Treppenstein bis
zum grauen Geländer. Das ist hübsch anzu-
schauen, wirkt lebendig, weltläufig, flott
und zeitgemäß, macht dieses Verkehrsbau-
werk sehr eigen, was man für solche Art
Funktionsarchitektur sonst nicht immer
behaupten kann.
Aber dieser Stil zäh fließender Formen
ist eben auch Zaha Hadids Markenzei-
chen, und das wird dann in formalisti-
scher Konsequenz selbst dort durchgezo-
gen, wo es nicht den geringsten Sinn er-
gibt. Sechs weitläufig geschwungene Trep-
penkaskaden, die als Amphitheater be-
zeichnet werden, müssen aus offensicht-
lich rein ästhetischen Gründen nicht nur
zur Wasserseite in den Flutschutzdeich ge-
schnitten werden, wo sie ein echter Ge-
winn für Ausblicksuchende mit müden
Stadtrundgangfüßen sind. Auch zur Nord-
seite, wo nur die viel befahrene Hafenrand-
tangente und parkende Autos zu sehen
sind, wurden aufwendige Prunktreppen
eingeschnitten, als bräuchte es hier ein
Luftbad für Feinstaub. Von solch unsinni-
gen Details eines rein künstlerischen De-
signs hat der Boulevard (der nirgends dar-
auf hinweist, dass er nur wegen der dem
Klimawandel geschuldeten steigenden Pe-
gel gebaut werden musste) noch einige zu
bieten. Etwa Pavillons, die dank der Verzer-
rungsdoktrin des Londoner Büros in extre-
men Spitzen auslaufen, die räumlich für
nichts zu nutzen sind. Oder Sitzgelegenhei-
ten, die auf Mülleimer schauen. Aber be-
sonders absurd an der schönen Hochwas-
serbarriere mit Aussicht auf die Elbphil-
harmonie ist die fehlende Barrierefreiheit.

Nach zwei Dritteln des Weges, wo die
Promenade abbiegt Richtung Binnenals-
ter, gibt es nur noch Treppen. Weder Roll-
stuhl- noch Fahrradfahrer kommen dort
weiter. Das freut zwar die Obdachlosen,
die sich hier unter den Brücken häuslich
eingerichtet haben. Aber die Chance, eine
attraktive Wegverbindung zwischen den
beiden großen Flüssen der Stadt herzustel-
len, wurde im siffigen Untergrund unbe-
fahrbarer Wasserrandwege kläglich ver-
tan. Dabei wird auch das kantige Becken
der Binnenalster gerade Schritt für Schritt
besuchertauglich aufgefrischt nach der
Einsicht, dass Menschen gerne nahe ans
Wasser kommen. Oder wie Hamburgs
Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Sta-
pelfeld es jüngst auf einer Veranstaltung
zur Neugestaltung des Alsterraums knapp
und treffend erklärte, dieser sei zwar
„sehr schön“, dürfte aber „noch besser zu-
gänglich sein“-
Nachdem 2005 bereits der Jungfern-
stieg zur Binnenalster hin abgetreppt wur-
de und Pontons auf Wasserniveau an lau-
en Sommerabenden kiffende Jugendliche
mit Ghettoblastern anziehen, soll nun ein
Konzept entwickelt werden, wie Ham-
burgs Hausteich Flaniercharakter erhält,
damit Menschen wie in der guten alten
Zeit hier wieder versonnen am Geländer
stehen und ins Wasser starren. Und dieser
entschleunigte Bezug zur nassen Verkehrs-
fläche wird mittlerweile an zahlreichen
Punkten der Hamburger Wasserkante in-
szeniert. Von einem Café mit goldenem
Turm auf der Entenwerder-Insel über den
neu aufgeschütteten „Himmelsberg“ in ei-
nem Becken der Hafencity bis zu den som-
mers rege besuchten Altonaer Hafenkais
ist „Waterkant“ wieder ein Sehnsuchtsort,
nicht nur für Touristen.

Es ist gar nicht so einfach, einen Pinguin
wieder loszuwerden. Schon gar nicht,
wenn man an ihm hängt, eine Verschi-
ckung als Frachtgut deshalb keinesfalls
in Betracht kommt und das Tier selbst
gewisse Vorstellungen und Ansprüche an
die Heimreise hat.
Jan und Jörn, die beiden menschlichen
Helden aus „Hamburgs Schiffe“, einem
illustrierten Erzähl-Sachbuch für Kinder
von Jan Kruse, glauben, im Hamburger
Hafen müsse sich doch eine Passage in
die Antarktis finden lassen für ihren
Freund Pip. Den hat es in die Hansestadt
verschlagen, wo es ihm zwar außeror-
dentlich gut gefällt, aber viel zu heiß ist.
Dass Pip sich in Hamburg verguckt hat,
ist eines der Probleme: Er möchte ein
Backsteinhaus, einen Leuchtturm, einen
Baum, einen Porsche sowie die Walross-
dame Pomposa aus dem Tierpark Hagen-
beck mit in die Antarktis nehmen.
So zieht das Trio los, von Anleger zu
Anleger, und prüft jedes der Schiffe auf

seine Polartauglichkeit. Jan, Jörn und Pip
lernen dabei vieles über die Seefahrt, den
Schiffsbau und das maritime Transport-
wesen – vor allem aber: Für einen Pinguin
mit Sperrgepäck und entlegenem Reise-
ziel ist nichts Passendes dabei.
Die charmante Rahmenhandlung gibt
Jan Kruse die Gelegenheit, allerlei Schiffs-
typen vorzustellen, die man in Hamburgs
Hafen antrifft: Forschungs- und Kreuz-
fahrtschiffe, Stückgut- und Ro-ro-Schiffe,
Yachten, Traditionsschiffe und Lotsenboo-
te. Meist geht es um konkrete Schiffe: den
DreimastseglerRickmer Rickmers oder
das rekordverdächtige FrachtschiffSven-
ja. Kurze Texte liefern spannende Fakten,
vor allem aber ist in den detaillierten und
verschmitzten Illustrationen viel zu ent-
decken. Auch für Pip, für den sich zuletzt
eine Lösung findet. stefan fischer

Jan Kruse: Hamburgs Schiffe. Mit Jan & Jörn auf gro-
ßer Fahrt. Junius Verlag, Hamburg 2019. 32 Seiten,
18 Euro.

Auch das kantige Becken
der Binnenalsterwird gerade
besuchertauglich gemacht

Flüssiges Design


Der neugestaltete Hochweg zwischen Landungsbrücken und Hafencity ist der wichtigste


Boulevard der Stadt. Der Zaha-Hadid-Bau ist hübsch, aber nicht überall sinnvoll


Pinguin sucht


Mitfahrgelegenheit


Ein charmantes Kinderbuch über Hamburgs Hafen


So eine große Auswahl an Schiffen. Doch keines fährt in die
Antarktis,weder das SegelschiffRickmer Rickmersnoch dieAida
Novaoder das FrachtschiffCap San Diego.ILLUSTRATIONEN: JAN KRUSE

Prunktreppen mit Blick auf die viel befahrene Hafenrandtangente und parkende Autos: Der rein künstlerische Ansatz der Elbpromenade wirft in manchen Abschnitten
Fragen auf. Barrierefrei ist die Flanierstrecke nicht, Rollstuhl- und Radfahrer kommen hier irgendwann nicht mehr weiter. FOTO: PIET NIEMANN


DEFGH Nr. 211, Donnerstag, 12. September 2019 SZ SPEZIAL – HAMBURG ERLEBEN 19


Elbstrand, Blankenese Treppenviertel, Blankenese


MÄRCHEN-


DANN


HAFT


MYTHEN-


ERST


HAFT


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