Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1

E


r habe ziemlich viel Adrenalin in
sich drin, sagt Enrico Mentana,
und das ist eine kolossale Unter-
treibung. Während er schnell
redet, klickt er mit der Maus al-
les weg, was so reinläuft auf seinem Com-
puter, Agenturmeldungen, Mails. Klick,
klick. Das Handy liegt neben dem Schreib-
tisch, zum Laden, es leuchtet so oft auf,
dass er ständig reflexhaft draufschauen
muss. „Ein bisschen getrieben bin ich
schon“, sagt er und presst ein Lächeln in
sein Gesicht. Klick, klick, klick. „Ist ja auch
ein Spaß, was ich hier mache, und bezahlt
werde ich dafür auch noch.“
Ein dunkles Büro im fünften und obers-
ten Stock eines quadratischen, braunen
Gebäudes im Norden Roms, ein Vorhang
sperrt die Nachmittagssonne aus. Hier
draußen hat La7 ihren Sitz, Italiens poli-
tischster, spannendster Fernsehsender.
Und Enrico Mentana, 64, Mailänder, ist
sein Star, der bekannteste Politikjourna-
list im Land, ein Erklärer. Er führt durch al-
le Dramen der Republik, durch Wahlen
und Regierungskrisen. Die jüngste, die
Sommerkrise, nennt man in Rom jetzt „la
più pazza di sempre“, die verrückteste aller
Zeiten, und das will was heißen in einer
Stadt, die von sich sagt, sie sei ewig.
Seine Sendung heißt „#MaratonaMen-
tana“, Marathon Mentana. So etwas gibt es
sonst nirgendwo in Europa. Das Pro-
gramm dauert jeweils fünf, acht, zehn,
auch mal zwanzig Stunden, nonstop, solan-
ge es eben sein muss. Millionen schauen
zu. „In der Werbepause essen wir Pizza
vom Kurier“, sagt Mentana.


Er schickt seine Reporter vor alle römi-
schen Machtpaläste, damit sie dort war-
ten, bis etwas passiert, manchmal passiert
stundenlang nichts. Die Reporter rennen
den Politikern nach für ein paar Zitate, Ka-
meraleute im Schlepptau, und stellen sich
auch vor wegfahrende Autos. Wenn das Si-
gnal mal ausfällt, die Bilder zittrig sind,
schärft das nur das Drama. Im kargen,
schlecht ausgeleuchteten Studio an der Via
Novaro sitzen Gäste an einem Tisch, sie
wechseln sich ab, geht ja so lange. Die meis-
ten sind Kommentatoren großer Zeitun-
gen, sie analysieren und fabulieren. Oft le-
sen sie zugesteckte Informationen einfach
von ihrem Handy ab. Alles live, unver-
fälscht, die Pannen gehören dazu.
Mitten im Studio steht der „Direttore“
mit seiner runden Brille und dem spitzen
Hemdkragen, als Moderator, Regisseur,
Souffleur. Mentanas Sprechkadenz ist ei-
genartig, er wird dafür oft parodiert. Zu Be-
ginn hebt er die Stimme immer stark an
und zieht die Worte lange, wie in Zeitlupe:
„Wie ihr gerade gehört habt ...“ – so begin-
nen die meisten seiner Monologe. Menta-
na erklärt die Finten der Politiker, die Re-
geln des Parlaments, er macht Sprüche, er-
findet surreale Metaphern, nicht selten
handeln sie vom Fußball. Mentana ist ein
großer Fan von Inter Mailand.
„Ich bin schon etwas älter“, sagt er, er ha-
be schon einiges erlebt. Aber eine Regie-
rungskrise rund um den sakrosankten Ur-
laub zu Ferragosto, zu Mariä Himmelfahrt,
gab es noch nie.
Dann ruht normalerweise alles, Firmen,
Ämter, Schulen, die Politik sowieso. Der Au-


gust ist so heilig, dass es sich die Politik in
der gesamten republikanischen Geschich-
te mit ihren nunmehr 66 Regierungen
noch nicht ein einziges Mal erlaubt hatte,
die Ruhe zu stören. Sie erfand gar ein Mo-
dell, damit das nicht geschieht. Das „Gover-
no balneare“, wörtlich: das Badekabinett,
eine Übergangsregierung. Die wurde je-
weils dann eingesetzt, wenn eigentlich Re-
gierungskrise gewesen wäre, die aber dum-
merweise in den August fiel.
Diesmal nicht, diesmal passierte im Au-
gust Unfassbares, vermeintlich sehr Dum-
mes auch. In Serie, mit tausend Wendun-
gen und Kapriolen. Mentana war fast dau-
ernd auf Sendung, Marathon um Mara-
thon. „Wer hätte das für möglich gehal-
ten?“, sagt er. Besseren Stoff für Livesen-
dungen gibt es nicht.
Am Ende dieses verrückten Sommers
steht Matteo Salvini, der unschlagbar
stark gewähnte Mann mit den vielen Uni-
formen, der Hafenschließer und Hetzer,
der „Padrone d’Italia“, plötzlich nackt da,
nicht einmal mehr halbstark. Er wollte „al-
le Vollmachten“ und sitzt nun in der Oppo-
sition. Sogar die rechte Presse kritisiert
ihn. „Schettino der Rechten“ schrieb eine
Zeitung. Die Anspielung auf den Komman-
danten derCosta Concordia, der sein Schiff
auf einen Felsen setzte, weil er seinen Pas-
sagieren eine Show bieten wollte, den Knie-
fall vor der Insel Giglio – sie ist tragisch
geschmacklos. Doch Salvini trägt den Spitz-
namen „Capitano“. Er war der Kapitän ei-
nes schier unbremsbaren Kahns. Zehn,
zwanzig Jahre würde er regieren, hieß es.
Alles weg, die ganze Aura der Unschlag-
barkeit, verblasst in einem Sommer. Statt-
dessen kursieren jetzt wieder die Fotos, die
ihn in Badehose am Papeete Beach zeigen,
einem Strandbad in Milano Marittima an
der Adria, Ende Juli. Mit Mojito. Sie dienen
der Satire als Steilvorlage. Eines zeigt Salvi-
ni, wie er vor einem Podium tanzt, auf dem
sich eine junge Dame räkelt, dazu lief die
italienische Nationalhymne. Auf einem an-
deren Foto steht er zwischen zwei DJs hin-
ter einer Konsole, Kopfhörer auf.
Nun könnte man sagen, dass auch ein In-
nenminister ein Recht auf Strandferien
hat, zehn Tage, die Plauze in der Sonne, ein
Holzkreuz auf der Brust. Doch Salvini traf
sich am Papeete Beach jeden Tag mit sei-
ner politischen Entourage, telefonierte
immer sehr geschäftig herum. Auch die
Bodyguards trugen Sommerkleidung, al-
les wirkte inszeniert.
Ein Zelt diente als „War Room“, als Ein-
satzzentrale, es galt ja auch, das eine oder
andere Schiff von Seenotrettern am Einlau-
fen in einen Hafen im Süden zu hindern.
Im Zelt am Papeete Beach hielt er auch ei-
ne denkwürdige Pressekonferenz, in der er
einem Journalisten vonLa Repubblicavor-
hielt, pädophil zu sein. Der hatte gefilmt,
wie Salvinis 16-jähriger Sohn auf dem Jet-
ski der Polizei eine Runde drehte. Es ging
darum zu zeigen, dass der Innenminister
seinen Jungen auf einen blauen Jetski der

Polizei setzte, als wäre er ein gemietetes
Tretboot.
So war Salvini drauf in diesem verrück-
ten Sommer. Er glaubte, er könne sich alles
leisten. Kein Wunder, umschwärmt wie er
war. Nichts schadete ihm. Auch die Fotos
vom Strand waren kein großes Thema, als
sie in die Zeitungen kamen, erst nachher.
Und jeden Tag gab es ein Bad in der Menge,
samt Selfies. „Die klassische Hybris“, sagt
Mentana. „Er hielt sich für allmächtig.“
Die politische Selbstdemontage, man-
che nennen es einen Suizid, begann am
Papeete Beach. Salvini war so erfreut über
die Wirkung seiner Bilder, dass er eine
„Strandtour“ durch den Süden des Landes
machte: Sabaudia, Pescara, Termoli, Po-
lignano, Policoro, Tropea, Taormina. Nur
Sardinien ließ er aus, weil ihm dort die Her-
steller von Schafskäse wohl den Hintern
versohlt hätten. Salvini hatte ihnen einen
höheren Verkaufspreis für ihre Milch ver-
sprochen, aber nicht geliefert.

Auf jeder Etappe gab es auch Protestak-
tionen. Leute, die „Bella Ciao“ intonierten,
das antifaschistische Partisanenlied. Oder
im Chor „Buffone, buffone!“ skandierten.
Und Salvini, der sonst gerne Luftküsse an
seine Kritiker verteilte, war plötzlich ner-
vös. Er wies die Ordnungsdienste an, die
„Zecken“, dieses „rote Pack“, fernzuhalten
von seinen Bühnen.
Im Parlament liefen die letzten Geschäf-
te vor dem Urlaub. Salvini brachte sein
zweites Sicherheitsdekret durch, mit dem
er die Seenotretter kriminalisierte. Die Cin-
que Stelle machten wieder mit. Auch die
Schnellzugverbindung von Turin nach Ly-
on passierte das Parlament. Die Fünf Ster-
ne stimmten dagegen, aber das war egal.
Alle hatten schon gepackt, in der Garde-
robe des Parlaments türmten sich die Kof-
fer. Die Präsidentin des Senats wünschte
schon vor der Debatte allen einen schönen
Sommer: „Nachher, im großen Ferienstru-
del, hört mir sowieso niemand mehr zu.“ In
den Buchhandlungen, auf den Stapeln mit
den Bestsellern, lag das neue Buch von

Giampaolo Pansa, weiß Gott kein linker Au-
tor. Der Titel: „Der Diktator“. Es erzählt die
Geschichte von Salvinis Aufstieg. Aber
jetzt war erst mal Sommer, und in den Zei-
tungen erschien eine jener typischen Ge-
schichten, die diese wundervoll leichte Zeit
einläuten: Auf der Spanischen Treppe in
Rom, konnte man lesen, dürfe sich nie-
mand mehr hinsetzen, nicht mehr essen,
trinken. Polizisten würden darüber wa-
chen, ganz sicher.
Salvini aber war schon einen Schritt wei-
ter. Er nutzte dieses „No“ seiner Bündnis-
partner zur Schnellzugverbindung für den
Koalitionsbruch. Er habe es satt, dass die
Sterne immer Nein sagten, Italien brauche
viele Jas. Es war ein Vorwand, um frühzeiti-
ge Neuwahlen zu erzwingen, die er, da war
er sich sicher, hoch gewinnen würde. Mit
35, vielleicht sogar 40 Prozent der Stim-
men. Die Umfrageinstitute bestärkten ihn,
jeden Tag wurden die Prognosen noch bes-
ser. „Salvini glaubte, es gebe keine Alterna-
tive zu Neuwahlen“, sagt Mentana. „Viel-
leicht hoffte er auch, alle auf dem falschen
Fuß zu erwischen, so mitten in den Ferien.“
Das war ein erstaunlicher Fehler. Im
Parlament gab es sehr wohl eine Alternati-
ve zur Koalition zwischen Lega und Cinque
Stelle, die mindestens so plausibel, genau-
so legitim und ideologisch sogar kohären-
ter ist: Fünf Sterne und Partito Democrati-
co. Die beiden Parteien hatten vor einein-
halb Jahren schon mal miteinander verhan-
delt, obwohl sie sich gerne neckten und
zuweilen auch böse bekämpften. Rechne-
risch ging also auch diese Kombination.
Doch Salvini, sagt Mentana, war über-
zeugt, dass die beiden Parteichefs, Luigi Di
Maio von den Cinque Stelle und Nicola Zin-
garetti von den Sozialdemokraten, sich
nicht zusammentun würden. Bei „Zinga“
war er sich hundertprozentig sicher. Denn
der war zwar Sekretär seiner Partei gewor-
den, im Parlament aber saßen fast nur Sozi-
aldemokraten, die auf seinen Vorgänger
und internen Rivalen hörten: auf Matteo
Renzi, den ehemaligen Premier. Ändern
lassen hätte sich das nur mit Neuwahlen,
baldigen. Di Maio wiederum hatte die Lin-
ke im Juli so frontal angegriffen, dass jede
Umkehr eine gefährlich akrobatische Ver-
renkung voraussetzte.
„Salvini sagte sich: ‚Die sind wie Katz
und Hund, wie Löwe und Gazelle, die wer-
den sich schon nicht gegen mich verei-
nen.‘“ Er habe die Bühne vor sich gesehen,
sagt Mentana, mit allen Akteuren drauf.
Von allen wusste er, was sie tun würden. Er
war sich so gewiss, dass er die Parlamenta-
rier aufforderte, ihre „Ärsche zu erheben“
und nach Rom zu bewegen, sofort, es sei
schließlich Regierungskrise. „Doch er ließ
die Figuren außer Acht, die nicht auf der
Bühne standen, nicht im Scheinwerfer-
licht“, sagt Mentana.
Diese Figuren sollten das ganze Stück ra-
dikal verändern. Matteo Renzi eben, ein Ge-
neral im zwischenzeitlichen Ruhestand,
der ein aktives Heer im Parlament führt.

Und Beppe Grillo, der Gründer und Guru
der Fünf Sterne. Grillos Reden und Schrif-
ten sind oftmals extrem wirr, doch sein
Wort wiegt noch immer viel mehr als alle
Verlautbarungen der Di Maios & Co. zu-
sammen. Die beiden Männer im Schatten
machten die Alternative möglich: Renzi
mit einem Appell gegen die Gefahr eines
aufziehenden Autoritarismus imCorriere
della Seraund Grillo mit einem Blogein-
trag gegen die „neuen Barbaren“. Gemeint
war in beiden Fällen Salvini.
„Keiner hatte die doppelte Öffnung kom-
men sehen“, sagt Mentana. Auch Salvini
nicht. Und der hätte, als Hauptspieler, zu-
mindest einen Plan haben müssen, wie er
einen solchen Zug parieren könnte. Aber er
hatte keinen. Es gab da auch niemanden
mehr, der ihn richtig beriet. Um ihn herum
standen nur noch Verehrer und Klatscher.
Den Entscheid, die Koalition zu zerbre-
chen, soll Salvini ganz allein getroffen ha-
ben. Als er dann merkte, dass er sich ver-
rannt hatte, versuchte er, alles ungesche-
hen zu machen. Er schlug sogar Di Maio als
neuen Premier vor, es war reine Verzweif-
lung. Vielleicht schadet ihm diese Volte als
nostalgischer Ex mehr als der Treuebruch
selbst. Sie lässt ihn schwach erscheinen.

Und jetzt? Die Römer sind zurück aus
dem Urlaub, endlich. Man hört es den Stra-
ßen an, das Römische übertönt das Touris-
tische, die Rollkoffer auf den Pflasterstei-
nen, die halb geschrienen und nicht selten
halbschlauen Informationen der Reisefüh-
rer. Rom ist wieder Rom. Und doch ist
nichts mehr, wie es vor dem Sommer war.
Salvini, der bis im August die Agenda vor-
gab, den Gesprächsstoff für fast alle, ist
jetzt Oppositionschef. Seine Beliebtheits-
werte sind gefallen, um 15 Prozent. Der al-
te und neue Premier, Giuseppe Conte, über-
flügelt ihn. Seine Rede im Senat, diese Ge-
neralabrechnung mit Salvini, hat den oft
belächelten Provinzanwalt groß gemacht,
zum Staatsmann über Nacht, und auch das
ist eine bemerkenswerte Kapriole dieses
Sommers. Die Werte der Lega sind eben-
falls gesunken, um etwa acht Prozent. Der
Trend ist gebrochen, selbstverschuldet. In
den Feuilletons wird der „Papeetismus“
verhandelt, eine besonders skurrile Form
der politischen Selbstverblendung.
Doch Salvini ist noch da. Und auch die
Welle, die ihn hochgespült hat. Der Erfolg
der italienischen Populisten, sagt Menta-
na, habe viele Gründe, und alle seien stark
verankert. Der Hass auf das Establish-
ment, die Banken, die Schönredner. Die
geschürten Ressentiments gegen das
Fremde, die Migranten, die Gutmenschen.
Wenn man sich in Brüssel und Berlin, in Pa-
ris und Frankfurt über Contes neues Kabi-

nett aus Cinque Stelle und Sozialdemokra-
ten freut, hilft das dieser Regierung nicht,
im Gegenteil. Die Freude dient vielen Italie-
nern als Beweis, dass man sie von außen
steuere, ihre Eigenständigkeit untergrabe.
Auf dieses Gefühl baut Salvini. Er sagt Tag
und Nacht, Merkel und Macron hätten Con-
te durchgesetzt, still im Hintergrund.
„Natürlich“, sagt Mentana, „diese Ver-
schwörungstheorien sind Unsinn. Ich glau-
be prinzipiell nur an das, was ich sehe und
höre.“ Doch das Verschwörerische verfängt
leicht, es ist in den Gesprächen auf der Piaz-
za, in der Bar zu hören. Die Italiener seien
nun mal keine Protestanten, sagt Menta-
na. Wenn man ihnen mit Disziplin beim
Haushalten, mit Hausaufgaben und Refor-
men komme, sei die Begeisterung schnell
weg. „Was wir haben, scheint uns angemes-
sen, von Gott gegeben. Wenn man uns aber
etwas wegnimmt, finden wir das unge-
recht und unerhört.“
Mentana erinnert an den parteilosen
Wirtschaftsprofessor Mario Monti, der
2011 Premier wurde. Italien stand damals
nahe an der Staatspleite, die Märkte wette-
ten gegen das Land. „Monti wurde wie ein
Retter des Vaterlands empfangen, von
allen.“ Als dann klar wurde, dass dieser Pro-
fessor mit dem großen internationalen Re-
nommee die Staatskasse in Ordnung brin-
gen musste, mit Tränen und Blut, wie die
Italiener zu harter Sparpolitik sagen, dann
war es mit der Verehrung schnell vorbei.
„‚Monti‘ ist für viele ein Schimpfwort ge-
worden“, sagt Mentana. Salvini nennt Con-
tes neue Regierung jetzt „Monti II“ oder
„Conte-Monti“. Das versteht jeder. Die tie-
fe Aversion gegen das Vernünftige ist ein
fruchtbares Terrain für Populismus. „Salvi-
ni braucht ein neues Narrativ“, sagt Menta-
na, das Volk langweile sich schnell. Die
Stimmungsmache gegen die Migranten?
Die reiche nicht mehr aus, nutze sich ab.
Der Markt für Populisten aber ist so in-
takt wie vor dem Sommer. In Italien gibt es
ihn schon länger als überall sonst, er hat
sich etabliert. „Vergessen wir Berlusconi
nicht.“ Mentana war im Medienkonzern
von Silvio Berlusconi groß geworden. Er
war dort lange Direktor des TG 5, der Nach-
richtensendung von Canale 5, er moderier-
te auch die ersten großen Fernsehduelle
vor den Wahlen. Zu seinem Patron aber
war Mentana immer auf Distanz, das nütz-
te seinem Ruf als Unabhängiger. „Nach Ber-
lusconis erstem Sturz“, sagt Mentana,
„1994, als er sich weniger als ein Jahr lang
an der Macht hatte halten können, hieß es
von überall: Der kommt nie wieder.“
Es wirkte wie ein weiteres Experiment
im irren Labor der italienischen Politik,
Berlusconi schien gescheitert zu sein. Ein
paar Jahre vergingen, dann war er zurück.
Und danach immer wieder. Trotz allem.
Die Vernunft ist eine heillos überschätzte
Kategorie.
Auf dem Rückweg ins Zentrum. Im Auto-
radio läuft „100 Sekunden mit Enrico Men-
tana“ auf RDS, das macht er auch noch,
zwei Schaltungen am Tag. Gerade hat Giu-
seppe Conte seine Programmrede im Parla-
ment gehalten. Mentana seziert sie in ein-
einhalb Minuten aus seinem Büro, über
der Ladestation für sein Handy steht ein
Mikrofon mit großem Sprechbausch.
Gleich wird die nächste „#MaratonaMenta-
na“ auf La7 beginnen. Ein paar Stunden
nur, höchstens vier, bis zum Ausgang der
Vertrauensabstimmung. „Wie ihr sicher al-
le gehört habt ...“ Aber die Spannung ist
weg, der Sommer vorbei. Der verrückteste
seit römischem Menschengedenken.

Es war einmal


DasLand erschien endgültig außer Rand und Band – und Matteo Salvini als Mann für die Ewigkeit.


Jetzt steht er nackt da. Über das Ende des Sommers 2019 in Italien


von oliver meiler


Er erklärt täglich Italiens Politik: Enrico
Mentana. FOTO: DIEGO SAMBUCETI/CC BY-SA 2.

„Er hielt sich für allmächtig“: Jeden Tag inszenierte sich Salvini mit seinen Fans am Strand. Die Fotos waren kein großes Thema, zunächst zumindest. FOTO: ANTONIO PARRINELLO / REUTERS

DEFGH Nr. 211, Donnerstag, 12. September 2019 (^) DIE SEITE DREI 3
Es ist wohl so wie bei Berlusconi.
Nachdessen erstem Sturz dachten
alle, der kommt nie wieder
Andere mieten sich ein Tretboot.
Salvini ließ seinen Sohn
mit einem Polizei-Jetski fahren

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