Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1
von win schumacher

D


ie Straße zum Herrscher des
Dschungels führt in den Morast.
Am frühen Morgen hat ein wü-
tender Tropenregen den Urwald
unter Wasser gesetzt, die Tropfen klat-
schen gegen die Windschutzscheibe, dass
die Scheibenwischer kaum nachkommen.
In der Regenzeit zeigt sich die Heimat des
Jaguars als Welt unter Wasser. Eine Fahrt
auf der Transpantaneira, der einzigen Stra-
ße ins brasilianische Pantanal, führt in den
größten Sumpf der Erde – das Reich der
mächtigsten Raubkatze Amerikas.
Es ist ein Kontrastbild zu den Fotos, die
seit Wochen die Welt bewegen: Der Amazo-
nasregenwald, die grüne Lunge der Erde,
steht in Flammen. Das Feuer machte auch
vor dem Pantanal in den westlichen Bun-
desstaaten Mato Grosso und Mato Grosso
do Sul nicht Halt. Der Norden rund um die
Transpantaneira blieb bisher jedoch weit-
gehend verschont. Die Region ist Heimat
einer einzigartigen Artenvielfalt und Rück-
zugsort für unzählige bedrohte Tiere. Der
Herrscher über dieses Labyrinth aus Was-
ser und Urwald ist noch immer der Jaguar.
„Kaum irgendwo sonst gibt es mehr Ja-
guare pro Quadratkilometer“, sagt Rafael
Hoogesteijn. Der aus Venezuela stammen-
de Wissenschaftler erforscht seit mehr als
zehn Jahren die Raubkatzen im Pantanal.
Für Panthera, eine Organisation, die sich
weltweit für den Schutz von Großkatzen
engagiert, setzt er sich vor allem für Jagua-
re ein, die mit Viehzüchtern in Konflikt ge-
raten. Die anhaltenden Brände erfüllen
ihn mit Sorge. „Der Verlust von Lebens-
raum durch die Feuer bedeutet einen Be-
standseinbruch“, sagt der Artenschützer,
„vor allem im Süden des Pantanals, in der
Gegend um Corumbá und an der Grenze
zu Bolivien, gab es viele Feuer. Gott sei
Dank brannte es hier im Norden aber
kaum.“


In der Trockenzeit liefern sich um die
zahllosen Wassergräben entlang des 147 Ki-
lometer langen Highways unzählige Tiere
ein Schaulaufen. Mehr als 120 teils aben-
teuerliche Brücken führen ins Herz des
Pantanals. Ameisenbären tragen ihren
Nachwuchs Huckepack, Nasenbären re-
cken ihre geringelten Schwänze in die Hö-
he, und Krabbenfüchse halten am Straßen-
rand Ausschau nach einem Frühstücks-
happen. Hunderte Wasserschweine ho-
cken neben Heerscharen von Kaimanen
entlang der Ufer von Tümpeln und Tei-
chen. Die auch Capybaras genannten
Sumpfbewohner sind keine Schweine, son-
dern entfernte Verwandte der Meer-
schweinchen und somit die größten Nage-
tiere der Welt – Hauptbeute der Jaguare.
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren
Jaguare von Zentralargentinien über Mit-
telamerika bis in den Süden der USA ver-
breitet. Mit Ausnahme von verschiedenen
Schutzgebieten sind sie inzwischen fast
überall selten geworden und gebietsweise
ausgerottet. Durch die fortschreitende Zer-
störung der Regenwälder verliert die dritt-
größte Katze der Welt immer weitere Teile
ihres einstigen Lebensraums. Laut des bra-
silianischen Instituts für Weltraumfor-
schung wurden in den ersten acht Mona-
ten dieses Jahres bereits 6404 Quadratkilo-
meter Wald zerstört – fast doppelt so viel
wie im Vorjahr. Bis Jahresende könnten
10000 Quadratkilometer vernichtet sein.
Das entspricht der vierfachen Fläche des
Saarlands und, durchschnittlich berech-
net, 250 Jaguar-Revieren.
Die schlimmsten Befürchtungen von
Umwelt- und Klimaschützern haben sich
mittlerweile bewahrheitet. Die Politik des


rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsona-
ro, seine Förderung von Rinderzucht, Land-
wirtschaft und Bergbau in Amazonien und
die Ankündigung der Verkleinerung von
Schutzgebieten ist nicht nur eine existenzi-
elle Bedrohung für die letzten indigenen
Völker. Auch die Rückzugsorte der Jaguare
schrumpfen drastisch. Verantwortlich für
die dramatische Lage machen Naturschüt-
zer wie Hoogesteijn Bolsonaros Umweltpo-
litik. Er hat die Auflagen zum Waldschutz
gelockert und unterstützt offen die Agrar-
lobby. Ein Großteil der verheerenden Feu-
er geht auf Brandrodungen durch Farmer
zurück.
Für Hoogesteijn ist der Jaguar der
Wächter der Wildnis und der Motor des Na-
turtourismus, der im Norden des Panta-
nals inzwischen ein Millionengeschäft ist.
„Bisher konnten selbst die Nachrichten
über die Brände den Erfolg des Jaguar-Tou-
rismus nicht aufhalten“, sagt der Arten-
schützer. Nirgendwo in Südamerika lässt
sich die Tierwelt des Kontinents in solcher
Vielfalt und Dichte beobachten wie im Nor-
den des Pantanals. Mögen Amazonien und
die Bergwälder der Anden noch artenrei-
cher sein – die meisten ihrer Bewohner
bleiben den Touristen verborgen. Das Pan-
tanal aber ist ein Mosaik aus Grasebenen,
Feuchtgebieten und Wäldern. Dies ermög-
licht Besuchern Tierbeobachtungen, wie
man sie sonst nur in Afrika erleben kann.
Der Schutz der Jaguare hat somit nicht nur
einen enormen ökonomischen Wert, er er-
hält gleichzeitig die biologische Vielfalt.
„Fehlt die Raubkatze als wichtiges Glied in
der Nahrungskette, verändert sich das ge-
samte Ökosystem“, sagt Hoogesteijn.
Porto Jofre am Ende der Transpantanei-
ra hat sich in nur wenigen Jahren von einer
weltabgeschiedenen Fischersiedlung zu ei-
nem beliebten Treffpunkt für Ökotouris-
ten und Naturfotografen verwandelt. Sie
kommen fast alle mit der Hoffnung, dem
Jaguar zu begegnen. „Ich kannte Jaguare
als Kind nur als vorbeihuschende Schat-
ten“, sagt Ailton Alves de Lara, „sie waren
immer bereits verschwunden, bevor man
sie richtig wahrgenommen hatte.“
Der 38-jährige Naturführer bricht im
Morgengrauen von Porto Jofre aus mit
dem Motorboot auf, um die scheue Raub-
katze aufzuspüren. Über dem São Louren-
ço-Fluss wabern Dunstschwaden. Unzähli-

ge Inselchen aus Schwimmpflanzen trei-
ben dem Boot entgegen. Noch ist die Sonne
nicht aufgegangen, doch das Leben im Pan-
tanal ist längst erwacht. Am Flussufer ha-
ben sich Scharen von weißen Reihern ver-
sammelt. Amazonas- und Grünfischer, far-
benprächtige Verwandte des europäi-
schen Eisvogels, spähen aus der Ufervege-
tation nach Beute.
Seit 1998 führt de Lara Touristen durch
das Pantanal. Kaum jemand kennt die ein-
zigartige Tier- und Pflanzenwelt besser als
er. „Ein Tapir!“, ruft der Naturführer plötz-
lich. In einiger Entfernung schwimmt das
größte Landtier Südamerikas durch den
Fluss. Von seinem mächtigen Körper ist al-
lerdings nur der Kopf zu sehen. Am ande-
ren Ufer angekommen, ist er sogleich im
Unterholz verschwunden.
Die ersten Sonnenstrahlen brechen
durch das Blätterdach der Urwaldbäume.
Unbekannte Vogelstimmen flüstern aus
dem Ufergebüsch. Ein Schlangenhalsvo-
gel trocknet seine Flügel in der Morgenson-
ne. „Im Pantanal wurden mehr als 650 Vo-
gelarten gezählt“, erklärt de Lara. Der Na-
turführer kennt die allermeisten nicht nur

mit Namen, sondern weiß auch über ihr
Verhalten einiges zu erzählen. Der Scheren-
schnabel fischt seine Beute mit geöffne-
tem Schnabel von der Wasseroberfläche.
„Wenn der Wehrvogel ruft, ist oft ein Jagu-
ar nicht weit“, sagt de Lara. Der aber lässt
noch auf seinen Auftritt warten.
In einem Altwasserarm treibt sich eine
Gruppe Riesenotter spielerisch durchs
Wasser. Mit einer Länge von mehr als ein-
einhalb Metern sind sie deutlich größer als
ihre in Europa heimischen Verwandten.
Neugierig beäugen sie das sich nähernde
Boot, lassen sich aber von dem Menschen-
volk nicht weiter ablenken. „Sie sind die
wahren Herrscher am Fluss“, sagt de Lara.
„Ich habe schon beobachtet, wie eine Grup-
pe einen Jaguar in die Flucht schlug.“
Inzwischen ist es Mittag geworden. De
Lara zieht sich mit seinem Boot vor der un-
erbittlichen Hitze unter die tief hängenden
Zweige eines alten Pfefferbaums zurück.
„Als wir vor 20 Jahren mit den Jaguar-Tou-
ren begannen, bekamen wir nur mit viel
Glück ein Exemplar zu Gesicht“, erzählt de
Lara. „Damals wurden die Tiere noch regel-
mäßig von Viehzüchtern getötet.“ Am En-
de der Transpantaneira um Porto Jofre, wo
es weniger Viehweiden gab, fingen Fischer
an, die Tiere mit Fangabfällen zu füttern.
Die Jaguare verloren allmählich ihr Miss-
trauen und lockten bald die ersten Naturfo-
tografen. „Sie haben gelernt, dass ihnen
hier vom Menschen keine Gefahr droht“,
erzählt de Lara, „erst seit wenigen Jahren
sehen wir in der Trockenzeit bei fast jeder
Bootsfahrt welche.“ Die Region gilt inzwi-
schen als der beste Ort überhaupt, um die
Tiere zu beobachten.
Noch ist das Pantanal über natürliche
Korridore mit Amazonien und bis nach Ar-
gentinien verbunden. „Wir müssen verhin-
dern, dass die Bestände wie bei Löwen und
Tigern in isolierte Populationen zerfallen“,
sagt Artenschützer Hoogesteijn, „ohne
den Jaguar geht es nicht.“ „Der Jaguar hat
bereits fast die Hälfte seines historischen
Verbreitungsgebiets verloren“, sagt de La-
ra, „und noch immer büßt er weiter an Le-
bensraum ein.“
Den noch jungen Jaguar-Tourismus
sieht de Lara als Garant für den nachhalti-
gen Schutz der Tiere und den Erhalt der Re-
genwälder. Er ist eine lukrative Alternative
zu Soja- und Zuckerrohrpflanzungen, ex-
tensiver Rinderzucht und der damit einher-
gehenden Entwaldung. Die Pantaneiros ha-
ben das inzwischen begriffen. „Zuerst wa-
ren die meisten Farmer sehr kritisch“, sagt

de Lara, „heute unterstützen uns alle 15
der Fazendas um Porto Jofre.“ Die meisten
haben inzwischen eigene Gästezimmer.
„Ohne den Jaguar wäre diese Entwicklung
undenkbar.“ Auch Hoogesteijn setzt auf
die Katze als Hoffnungsträger für die ge-
samte Region. „Wo der Jaguar geschützt
wird, geht es dem gesamten Ökosystem
gut. Am Ende profitiert auch der Mensch.“
Als die Nachmittagssonne tiefer steht,
drängt Ailton zum Aufbruch. Zunächst
fährt sein Motorboot den wild mäandern-
den Três-Irmãos-Fluss hinauf, vorbei an
ockerfarbenen Sandbänken, auf denen
kleine Grüppchen von Capybaras Aus-

schau nach dem Jaguar halten – genauso
wie der Naturführer. Am Ende gibt der gel-
lende Ruf eines Wehrvogels den entschei-
denden Hinweis für den Auftritt des Kö-
nigs – oder besser: der Königin.
Eine Flussbiegung weiter schleicht ein
ausgewachsenes Weibchen an einem
Schilfgürtel vorbei. Furcht vor den drei
Booten, die ihm langsam näher kommen,
zeigt das Tier nicht. „Ihr Name ist Patricia“,
sagt Ailton Alves de Lara. „Sie ist eine wun-
derbare Kaimanjägerin und bei Touristen
ganz entspannt.“ Er hat sie an zwei markan-
ten Rosetten auf der Schulter erkannt.
„Wenn wir ein Tier noch nicht kennen, dür-

fen die Touristen, die uns begleiten, ihm ei-
nen Namen geben“, sagt er. Die Chancen
für seine Gäste stehen gar nicht schlecht.
Zwischen 4000 und 7000 Jaguare soll es
im Pantanal geben – aber erst 125 Tiere ha-
ben die Guides von Porto Jofre bereits ge-
tauft.
Die Audienz bei der Königin dauert nur
wenige Minuten: ein höfischer Blick aus
ungezähmten Katzenaugen, protokollge-
mäßer Schaulauf über den Ufersand, zur
Freude der Fotografen. Geschmeidig dreht
sie ihnen bald wieder den Rücken zu. So
schnell wie sie aufgetaucht ist, verschwin-
det Ihre Majestät auch schon im Schilf.

Poconé

Mato Grosso

Mato Grosso
do Sul

São LourençoSão Lourenço

BRASILIEN

BOLIVIEN

40 km
SZ-Karte: Mainka/
Maps4News

Porto
Jofre

Transpantaneira

Pantanal

DEFGH Nr. 211, Donnerstag, 12. September 2019 HF2 REISE 31


Eine Flussbiegung weiter
schleicht einausgewachsenes
Weibchen vorbei

Anreise:Zum Beispiel mit Lufthansa, http://www.lufthan-
sa.de,LATAM, http://www.latam.com, oder mit TAP Air Por-
tugal, http://www.flytap.com, über Lissabon nach São Pau-
lo. Von dort fliegt z. B. Azul, http://www.voeazul.com.br,
oder GOL Linhas Aréas, http://www.voegol.com.br, mehr-
mals täglich nach Cuiabá nördlich des Pantanals.
Reisearrangement:Der Brasilien-Spezialist Gateway
Brazil stellt maßgeschneiderte Reisen zusammen
und hat mehrere Pantanal-Angebote im Programm,
z. B. Große Pantanal-Rundreise: zehn Tage inklusive
Transfers, Ausflüge und Verpflegung ab Cuiabá, DZ
ab 3094 Euro p. P., http://www.gateway-brazil.de
Übernachtung:Araras Eco Lodge, 2-bis-4-Nächte-Pa-
ket ab 683 Euro, http://www.araraslodge.com.br. Pousada
Rio Claro, 2-bis-4-Nächte-Paket ab 592 Euro,
http://www.pousadarioclaro.com.br, beides inkl. Transfers,
Ausflüge und VP. Pousada Porto Jofre, DZ inkl. VP ab
186 Euro, http://www.pousadaportojofre.com.br
Weitere Auskünfte:www.visitbrasil.com

Zuflucht im Sumpf


In Brasilien stehen die Regenwälder des Amazonas in Flammen. Damit ist auch der Lebensraum des Jaguars bedroht.


Im halb offenen Gelände des Pantanals, eines der artenreichsten Gebiete der Erde, sind die Tiere halbwegs sicher – noch


Die Raubkatze hält den


Umwelttourimus in Schwung –


ein lohnendes Geschäft


Noch vor wenigen Jahrzehnten
waren Jaguare von Zentral-
argentinien über Mittelamerika
bis in den Süden der USA
verbreitet. Mit Ausnahme
von verschiedenen
Schutzgebieten sind sie
inzwischen selten geworden
und in manchen Regionen
ganz ausgerottet.
FOTO: NATURE PICTURE LIBRARY/
IMAGO IMAGES

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