Süddeutsche Zeitung - 12.09.2019

(Brent) #1
von julia bergmann

W


enn Rasem Baban über Quallen
spricht, klingt das fast wie eine
Liebeserklärung. Ein paar Klicks
auf dem Computer, und Baban öffnet eine
passende Powerpoint-Präsentation. Er eilt
durch Folien mit Fahnenquallen, Würfel-
quallen, Staatsquallen und stoppt bei der
Turritopsis dohrnii. „Sie ist biologisch un-
sterblich“, sagt er. Ein milchig-transparen-
tes Gespenst mit Dutzenden Tentakeln
und rotem Punkt inmitten des Körpers. „Al-
le Extreme, alle Träume der Menschheit


kann man bei den Quallen verwirklicht fin-
den“, sagt er. Quallen können sich selbst
versorgen, schweben schwerelos im Was-
ser, manche erzeugen ihr eigenes Licht, an-
dere sind unsterblich. Wenn Baban eine ru-
hige Minute brauche, besuche er ab und an
das Aquarium mit den Quallen. „Sie haben
etwas Beruhigendes, Sphärisches.“
Baban sitzt am Schreibtisch umgeben
von Tiergemälden, kleinen Holzpferden,
Giraffen, Krokodilen und Reisesouvenirs.
Babans Büro ist bunt, es gibt viele Details
zu entdecken. „Ich habe es gerne wohnlich


im Büro“, sagt er. Nüchtern und reduziert –
das wäre nicht sein Ding. Wenn er könnte,
würde er auch die Pinnwände mit den Ta-
bellen und Plänen loswerden. Aber die
brauche es im Arbeitsalltag, um den Über-
blick zu bewahren.
Neben dem Computerbildschirm liegt
Babans Taschenuhr, hergestellt 1910. Ein
Erbstück seines Urgroßvaters – für Baban
mehr als ein Schmuckstück. Sie ist Symbol
dafür, dass es auch ohne Digitales geht.
„Für mich wird hier auch der Zeitbegriff
fassbar, fühlbar und hörbar“, sagt er. Ein
schöner Kontrast zum oft so schnellen und
hektischen Alltag.
Nicht weit davon steht neben einem Tür-
kis und einem Büffel aus Tigerauge ein klei-
ner Soldat. Eine Art Glücksbringer, der Ra-
sem Baban seit seinem Studium begleitet.
Die vielen Tierfiguren, die hinter seinem
Schreibtisch im Schrank stehen, sind Ge-
schenke. Die Gemälde an der Wand stam-
men von seinen Kindern. „Wenn sie ge-
fragt haben, was sie mir zum Geburtstag

schenken sollen, habe ich mir Tierbilder ge-
wünscht“, sagt Baban. Mittlerweile sind
die Kinder schon erwachsen. Ihre Bilder
schaut sich Baban immer noch gerne an.
Genauso wie die Souvenirs, die er von Rei-
sen mitgebracht hat. Auf einem Schrein
hinter dem Eingang steht ein blumenge-
schmückter Buddha aus Thailand, eine Ga-
nesha-Figur aus Indien, ein bemalter To-
tenkopf aus Mexiko – Baban interessiert
sich auf Reisen nicht nur für die Kulturen
der Länder, sondern auch für ihre Zoos.
Am meisten beeindruckt haben ihn
diejenigen, die eine Botschaft vermittelt
haben. Das will er in Hellabrunn auch: Er
möchte Tieren und Natur Gehör verschaf-
fen und die Besucher über Biodiversität
aufklären. „Wir wollen aufklären über die
Gefahren, die die Artenvielfalt bedrohen
und aufzeigen, was man tun kann, um sie
zu bewahren“, sagt er. Einen goldenen Weg
gebe es nicht, eher viele verschiedene An-
sätze. Man müsse es nur schaffen, die Leu-
te zum Nachdenken zu bringen.

MÜNCHNER
CHEFZIMMER

Die Geschichte des Tierparks Hellabrunn ist
wechselhaft. Schon mehrmals musste der
Zoo seit seiner Eröffnung 1911 vorüberge-
hend schließen. Einmal mehrere Monate
lang wegen der schweren Bombenschäden
während des Zweiten Weltkriegs. Das erste
Mal aber bereits elf Jahre nach seiner Eröff-
nung. Während der Inflation geriet auch der
Tierpark in finanzielle Not. Nach einer
Zwangspause von drei Jahren konnte 1925
mit dem Wiederaufbau des Geländes begon-

nen werden. Am 23. Mai 1928 eröffnete der
Tierpark schließlich als erster Geo-Zoo der
Welt wieder seine Pforten. Die dort unterge-
brachten Tierarten wurden nach ihrer geo-
grafischen Herkunft auf dem Areal angeord-
net. Ein Konzept, das bald Zoos auf der gan-
zen Welt übernahmen. Unter der Leitung
von Rasem Baban, der seit 2014 im Amt ist,
rückt das Konzept des Geo-Zoos wieder ver-
stärkt in den Vordergrund. Baban setzt sich
außerdem für Biodiversität ein. BERJ

Tierpark Hellabrunn


Nüchtern und reduziert – das wäre nichts für Rasem Baban. Schreibtisch, Bürosessel und Ordner, die braucht es zwar in jedem
Büro. Wo es geht, hat der Tierpark-Chef aber persönliche Erinnerungsstücke untergebracht. FOTOS: CORINNA GUTHKNECHT

Giraffen, Krokodile und Holzpferde


Der Mini-Zoo im Büro des Zoodirektors: In seinem Arbeitszimmer ist Rasem Baban umgeben von vielen Tieren. Sie stehen hinter seinem Schreibtisch in Miniaturformat
im Schrank, an der Wand hängen Zeichnungen – die Bilder des Zebras oder der Schildkröte haben seine Kinder als Geburtstagsgeschenk gemalt

Mini-Zoo: In Rasem
Babans Schrankwand
stehen Miniaturtiere, die er
geschenkt bekommen hat
(oben links), an den
Wänden hängen
Buntstift-Gemälde seiner
Kinder (unten rechts) und
dazwischen gibt es immer
wieder Souvenirs, die der
Tierpark-Chef von Reisen
mitgebracht hat (oben
rechts). Eines der
wichtigsten Stücke aber ist
die Taschenuhr, die immer
in Griffweite liegt: Sie
stammt von Babans
Urgroßvater.

Ein Besuch bei
Rasem Baban, Direktor
des Tierparks Hellabrunn
SZ-Serie · Folge 10

Die Französin Sylvie Marchand ist promo-
vierte Ethnologin, Filmemacherin und Lei-
terin der multimedialen Gigacircus Com-
pany. In ihrer Arbeit verbindet sie unter-
schiedliche Menschen, es geht ihr um kul-
turelle Fragen der Migration. Marchand
hat viele Projekte mit indigenen Künstlern
in Amerika und Asien entwickelt, genauso
wie mit Einwanderern aus aller Welt. Der-
zeit arbeitet sie in der Villa Waldberta, dem
Künstlerhaus der Stadt München, an ih-
rem Film über Elvira Palma, eine Poetin
aus dem Volk der Raramuri in Mexiko, die
traditionelle Gesänge ins Spanische über-
setzt. Zur Eröffnung des Frauen-Kunst-
Festivals „Knot“ zeigt sie den Film an die-
sem Donnerstag um 19.30 Uhr im Instituto
Cervantes, Alfons-Goppel-Straße 7 (Ein-
tritt frei) und am Samstag, 15 Uhr im Eine-
Welt-Haus, Schwanthalerstraße 80.


SZ: Frau Marchand, was hat München,
was Ihre Heimat nicht hat?
Sylvie Marchand: Ich bin für meine Projek-
te viel auf Reisen, aber mein Basecamp ist
ein alter Bauernhof in der Nähe von La Ro-
chelle. Dort ist es sehr ruhig. Verglichen da-
mit ist München eine richtige Großstadt.
Aber eine Großstadt mit einer fantasti-
schen Natur ringsum. Und dann gibt es da


noch zwei Orte, die ich noch nirgendwo
sonst gesehen habe: diese umgebaute Toi-
lette (das „Klohäusl“, Anm. der Red.). Was
für ein wunderbarer Ort! Und in der Nähe
das Schiff über den Bahngleisen – ein wah-
res Traumbild!

Erinnern Sie sich an Ihr erstes prägendes
Erlebnis in München?
Die Villa Waldberta, in der ich wohne, liegt
in Feldafing. Die Zugfahrt in die Stadt ist je-
des Mal ein Erlebnis. Einmal erzählte mir
eine Freundin, sie sei in Gauting verloren

gegangen. Ich dachte: Das gibt es doch
nicht. Ich bin schon in einer afrikanischen
Wüste verloren gegangen und im mexika-
nischen Hochgebirge, aber in Gauting?
Doch dann ist mir genau das passiert, auf
dem Rückweg von einer Vernissage in der
Stadt: Die S-Bahn fuhr nicht weiter. Aber
es sind immer Menschen da, die helfen.
Und noch ein schönes Erlebnis hatte ich:
Ich musste in Starnberg umsteigen. Den
Bahnhof finde ich wunderbar, weil er di-
rekt am See liegt. Dort traf ich zwei Eritre-
er, beide hießen Ibrahim und waren Ge-
flüchtete. Ich rede gerne mit den Leuten,
das bereichert jede Fahrt. Die beiden wa-
ren gekommen, um den See zu sehen. Sie
sagten, er erinnere sie an den großen Fluss
in ihrer Heimat. Ich kenne diese Gegend,
die Elefanten, die Bäume, das Wasser. Es
muss furchtbar sein, für lange Zeit von sei-
ner Heimat getrennt zu sein, von der Spra-
che, den Gerüchen, den Klängen. In dieser
Situation waren wir beide Fremde, sie aus
Ostafrika, ich aus Westeuropa, und wir teil-
ten die Schönheit dieses Augenblicks.

Wen wollen Sie in München unbedingt
kennenlernen?
Weil ich selbst mit Migranten arbeite,
möchte ich auf jeden Fall die Menschen

kennenlernen, die das Kulturzentrum
Bellevue di Monaco in der Müllerstraße be-
treiben, und mich mit ihnen austauschen.

Welches Vorurteil von München wollen
Sie gerne widerlegt sehen?

Gibt es das? Ich kenne es nicht. Ich denke,
Vorurteile schränken uns nur ein. Franzo-
sen hatten nach dem Zweiten Weltkrieg
lange Zeit Vorurteile gegenüber Deut-
schen, und München war die „Hauptstadt
der Bewegung“. Aber das haben wir zum

Glück längst überwunden. Auch wenn jetzt
die Rechten wieder stärker werden, bin ich
hoffnungsvoll und stehe auf der Seite des
Lebens. Wir Künstler müssen positive Visi-
onen schaffen.

Wenn Sie an München denken, welche
drei Adjektive fallen Ihnen ein?
Bier, Lachen, Grün. Ich liebe es, wie die
Münchner sich in den Biergärten, unter
dem Einfluss von ein bisschen Alkohol,
fremden Menschen öffnen und ihre
schönsten Seiten zeigen.

Wären Sie gerne zu einer anderen Zeit
nach München gekommen?
Nein. Mich interessiert die Zukunft mehr
als die Vergangenheit. Wir leben in einer
spannenden Zeit und sind heute mit der
ganzen Welt verbunden. Das ist schön.

Welche Spuren möchten Sie in München
hinterlassen?
Spuren in den Köpfen der Menschen, de-
nen ich hier begegne. Das passiert ja schon.
Einige befreundete Münchner Künstlerin-
nen haben mich schon in Mexiko besucht.
Ich fühle mich wie ein Bindeglied zwischen
Menschen.
interview: martina scherf

Sylvie Marchand interessieren besonders die neuen Impulse, die entstehen, wenn
Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sich begegnen. FOTO: PRIVAT

Lost in Gauting


Spuren in den Köpfen der Menschen hinterlassen: Die französische Multimedia-Künstlerin Sylvie Marchand betreibt gerne ethnologische Studien in der S-Bahn und im Biergarten


KOMMEN & GEHEN


Mit jedem Menschen,
der zuzieht,
verändert sich die Stadt.
Und auch mit
jedem Menschen, der
München verlässt,
verliert die Stadt
ein Stück Identität

R6 (^) LEUTE Donnerstag, 12. September 2019, Nr. 211 DEFGH

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